Dossier Begegnung

Flüchtige Begegnung

Münchner Migranten engagieren sich für Flüchtlinge

Ein Bericht von Susanne Schulz

180.000 Flüchtlinge sind seit Jahresbeginn in München angekommen. Sie alle brauchen Hilfe. Die Arbeit der ehrenamtlichen Helfer ist unersetzlich geworden. Was kaum einer weiß: Viele von ihnen sind selbst Migranten.

Abdi Nur kam selbst 2003 als Flüchtling aus Afghanistan in Deutschland an. Heute hilft er mit seinem Verein „Oromo Deutsche Freundschaft e.V.“ seinen Landsleuten, hier Fuß zu fassen. Foto: Abdi Nur (Abajabal)

Abdi Nur kam selbst 2003 als Flüchtling aus Äthiopien in Deutschland an. Heute hilft er mit seinem Verein „Oromo Deutsche Freundschaft e.V.“ seinen Landsleuten, hier Fuß zu fassen.
Foto: Abdi Nur (Abajabal)

Abdi Nur hat sie schon lange hinter sich – die Flucht vor dem Terrorregime in seinem Heimatland Äthiopien. Nun lebt er als anerkannter Flüchtling in München und hilft mit seinem Verein „Oromo Deutsche Freundschaft e.V.“ seinen neu ankommenden Landsleuten.

Abdi Nur weiß, was die Flüchtlinge durchgemacht haben, die am Münchner Hauptbahnhof ankommen. Er hatte es am eigenen Leib erfahren. 2003 finanzierte ihm seine Familie die Flucht nach Deutschland, denn der damalige Pharmazie-Student hatte seine Meinung gesagt und sich an Demonstrationen gegen die Naturzerstörungen durch die äthiopische Regierung beteiligt. Er gehört der Volksgruppe der Oromo an, die in ethnische Konflikte verwickelt ist und vom Staatsregime verfolgt wird. Freie Meinungsäußerungen werden von der äthiopischen Regierung laut Amnesty International mit willkürlicher Inhaftierung und „Verschwindenlassen“ bestraft.

Abdi Nur erinnert sich, wie er nach seiner Ankunft in Deutschland von seinen kargen 80 Euro Taschengeld im Monat Sprachkurse bezahlte, um schneller Deutsch zu lernen. „Ich habe beinahe jeden Job angenommen“, erzählt der 36-Jährige. Deswegen will er mit seinem 2013 gegründeten Verein jetzt vor allem den neu ankommenden Flüchtlingen helfen, die seiner Volksgruppe angehören. „Sie haben dringendere Bedürfnisse als die, die hier schon länger leben“, erklärt Abdi Nur. Er unterstützt sie bei Behördengängen, informiert über das Asylverfahren und übersetzt bei Arztbesuchen.

Erfahrene Migranten helfen den Neuankömmlingen

Damit ist Abdi Nur nicht allein. Viele Migranten organisieren sich selbst und kümmern sich um ihre fliehenden Landsleute. Einige Gruppen helfen auch unabhängig von der Herkunft all jenen, die vor Krieg und Verfolgung in Deutschland einen sicheren Hafen suchen.

Friederike Junker ist Projektkoordinatorin beim Netzwerk Münchner Migrantenorganisationen „Morgen“, das Vereinen wie dem Abdis Unterstützung anbietet. Foto: Netzwerk Münchner Migrantenorganisationen - Morgen

Friederike Junker ist Projektkoordinatorin beim Netzwerk Münchner Migrantenorganisationen „Morgen“, das Vereinen wie dem Abdis Unterstützung anbietet.
Foto: Netzwerk Münchner Migrantenorganisationen – Morgen

„Manche der Migrantenorganisationen bestehen praktisch nur aus Flüchtlingen“, erklärt Friederike Junker, Projektkoordinatorin des Netzwerks Münchner Migrantenorganisationen Morgen. „Andere Gruppen, vor allem kurdische, kümmern sich hauptsächlich um syrische Flüchtlinge“, fährt Junker fort. Das Netzwerk Morgen ist eine recht junge Einrichtung – eigentlich noch im Entstehen. „2016 kriegen wir hoffentlich unseren Status als Verein durch“, sagt Junker. Und doch versammeln sich unter dem Dach des Netzwerks schon jetzt über 50 Organisationen, die von Münchner Migranten gegründet wurden. Meist handelt es sich dabei um ethnische Gruppierungen, wie Junker erklärt, manche sind aber gemischt. Das Netzwerk Morgen stellt den Organisationen eine Plattform zur Verfügung, Räume, Beratungen und Schulungen. Finanziert wird Morgen von der Stadt München und − bis August 2016 − vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

Nicht ohne Grund unterstützen Stadt und Bundesamt die Arbeit freiwilliger Helfer: 2015 sind in München viereinhalb mal so viele Flüchtlinge wie im Vorjahr angekommen. Die meisten strandeten Anfang September am Münchner Hauptbahnhof– allein an einem Wochenende waren es 13.000 Menschen, wie die Regierung von Oberbayern mitteilte. 15.000 von ihnen sind nach Angaben der Stadt München derzeit in Münchner Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht und warten auf ihre Anerkennung als Flüchtlinge. Angesichts dieser Zahlen erklärt es sich von selbst, dass Stadt, Land und Staat jede Hilfe durch Ehrenamtliche willkommen heißen.

Die Kraft der Menschlichkeit ist universell

Dass es so viele freiwillig Engagierte gebe, führt Junker vom Netzwerk Morgen auf persönliche und kulturelle Faktoren zurück: „Es sind Idealisten, die die Gesellschaft voranbringen wollen; es sind Menschen deren Herkunftskultur es begünstigt, sich für die Gemeinschaft zu engagieren und es sind oft auch individuelle Gründe, wie die Jobsuche oder einfach der Wunsch, am gesellschaftlichen Geschehen Teil zu haben.“

Für alle steht neben der Auslebung ihrer Kultur auch der Schutz von Hilfsbedürftigen im Vordergrund. „Viele Migrantenorganisationen sind die erste Anlaufstelle für Flüchtlinge“, erklärt Junker. Manche der Gruppen hätten inzwischen spezielle Angebote für Flüchtlinge, wie Asylberatung oder Übersetzungshilfen direkt am Münchner Hauptbahnhof. Andere arbeiteten in Flüchtlingsunterkünften, fährt Junker fort.

Auch der Äthiopier Abdi Nur ist seit Anfang 2014 in einer Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge tätig. Ihn treibt sein Verantwortungsbewusstsein für seine Volksgruppe der Oromo und für seine neue Heimat Deutschland an: „Es fliehen immer mehr junge Männer aus Äthiopien“, sagt er. „Sie dürfen nicht verloren gehen – nicht für Äthiopien und nicht für Deutschland.“

Zum Autorenporträt