Dossier Begegnung
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Das Tor zum Weihnachtsdorf im Kaiserhof der Residenz in München.
Foto: Alexandra Hauser

Der Nikolaus vom Kaiserhof

Jedes Jahr, am 5. und 6. Dezember, ist er auf dem Weihnachtsdorf im Kaiserhof der Residenz in München. Die Kinder stehen bereits Schlange, wenn er um 17 Uhr den Platz betritt. An den umliegenden Markthütten herrscht geschäftiges Treiben, mit Einkaufstüten bepackte Menschen kaufen Verlegenheitsgeschenke oder stärken sich nach dem Shoppingmarathon am Bratwurststand. Währenddessen nimmt sich der Nikolaus viel Zeit und hat immer ein nettes Wort für die Jungen und Mädchen parat. Alexandra Hauser sprach mit Lothar A. Kestler, dem Mann mit dem langen Mantel und dem rot-goldenen Bischofshut, der den elektrisch betriebenen Mini-Weihnachtsmännern die Schau stiehlt.

Ein Interview von Alexandra Hauser

Herr Kestler, wie ist es, Nikolaus zu sein?
Für mich ist das Ganze kein Gag, es geht mir um die Symbolik, die hinter dieser Rolle steckt. Ich selbst spreche übrigens vom Heiligen Nikolaus, damit der christliche Ursprung deutlich wird. Ansonsten verbindet man mit dem Namen nur eine mit Silberpapier umwickelte Schokoladenfigur.

Ist der Nikolaus noch zeitgemäß?
Ja, natürlich ist er modern. Aber seine Zeit ist der 5. und 6. Dezember. Kurz vor Heiligabend hat er seinen Sinn verloren. Nach dem Nikolaustag geht es in die Maskerade hinein. Dann ist er nur noch eine Werbefigur, wie der Weihnachtsmann in seinem Bademantelkostüm.

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Ein himmelweiter Unterschied: Weihnachtsmann und Nikolaus.
Fotos: Alexandra Hauser

Die beiden Figuren werden oft verwechselt. Worin unterscheiden sie sich?
Der Unterschied ist gravierend. Von der Optik als auch vom Grundverständnis her. Der Weihnachtsmann steht für den Kommerz, der Heilige Nikolaus für die christlichen Werte. Oft vermischen die Menschen die beiden Figuren oder sprechen nur noch vom Weihnachtsmann.

Kennen die Leute den Ursprung des Brauchs noch?
Viele Leute wissen zwar, dass der Heilige Nikolaus Bischof von Myra war und diese Stadt in der heutigen Türkei liegt, doch den wenigsten ist bekannt, dass es in den Legenden um ihn um tätige Nächstenliebe geht. Es ist wie bei Sankt Martin. Daraus wurde mittlerweile vielerorts das Sonne-Mond-und-Sterne-Fest. Wenn wir diesen Gedenktag nun auch noch aufgeben, dann geht es mit der Tradition wirklich bergab.

Was macht einen guten Nikolaus aus und wie wird man einer?
Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend, Stadtverband Köln, bietet jährlich bundesweit Seminare an: die Nikolaus-Schule. Ihr Ziel ist es, Experten auszubilden, die den Heiligen Nikolaus wieder verstärkt als Vorbote des christlichen Weihnachtsfestes ins Bewusstsein bringen. Auch ich habe im vergangenen Oktober in Freising die Schulbank gedrückt.

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Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Schreit-Probe an der Nikolaus-Schule.
Foto: BDJK Köln

Wie muss man sich das vorstellen?
Wir waren insgesamt sechzehn Teilnehmer unterschiedlichster Herkunft. Der jüngste war vierundzwanzig, der älteste um die siebzig Jahre alt.

Was lernt man genau an der Nikolaus-Schule?
Kernthema war das Leben und Wirken des Heiligen Nikolaus. Sein Ursprung, die Legenden und wie man dies möglichst kindgerecht vermittelt. Wir lernten das richtige Auftreten, wie man würdig schreitet, die Bedeutung der einzelnen Bestandteile und das korrekte Anlegen der Gewandung. Man zieht das alles ja nicht nur an, damit es schön bunt aussieht.

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Abschlussklasse der Nikolaus-Schule in Freising, Oktober 2015.
Foto: Lothar A. Kestler

Hat man dabei gar keine künstlerischen Freiheiten?
Es wurde debattiert, ob Perücke und Bart wirklich sein müssen. Wenn Sie unser Gruppenbild betrachten, sehen Sie, dass kaum eine Mimik zu erkennen ist. Ein Nikolaus, der mich anlächelt, ist mir persönlich wesentlich lieber. Außerdem beschlägt durch den angeklebten Bart immer die Brille.

Gab es auch Zensuren?
Nein. Alle Teilnehmer haben mit Bravour bestanden und am Schluss ein Zertifikat erhalten.

Deutschland ist multikulturell. Wie gehen Sie auf Kinder anderer Religionen zu?
Auch das war Thema des Seminars. Wie tritt man an Kinder heran, die nicht im christlichen Glauben aufwachsen? Das Ziel ist nicht, zu missionieren, sondern die Menschen willkommen zu heißen, an unseren Bräuchen teilhaben zu lassen. Wenn man in ein fremdes Land kommt, muss man sich zwangsläufig mit den Traditionen dort auseinandersetzen. Hierzu fällt mir eine schöne Geschichte vom Weihnachtsdorf ein: Zwei asiatische Kinder, so um die vier Jahre alt, kamen zu mir auf die Bühne. Sie sprachen kein Wort Deutsch. Sie holten Blockflöten heraus und spielten ein Weihnachtslied. Ihre Mutter erklärte mir dann auf Englisch, sie seien aus Tokio und hier zu Besuch. Die beiden hatten extra für mich ein Lied einstudiert. Das war sehr bewegend.

Was erleben Sie so als Nikolaus in Aktion?
Einmal ist mir etwas Peinliches passiert. Die ersten Jahre zog ich allein durchs Weihnachtsdorf und musste mich immer bücken, um die Süßigkeiten aus dem Sack zu holen. Dabei ist mir die Mitra mitsamt der Perücke runtergefallen. Die Erwachsenen haben sich herzhaft amüsiert, die Kinder machten große Augen. Ich bekam natürlich einen knallroten Kopf. Seither empfängt der Heilige Nikolaus die Kinder oben auf der Bühne, einen Helfer habe ich nun auch.

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Dieser Nikolaus ist mit den Kindern auf Augenhöhe.
Foto: Alexandra Hauser

Einen Helfer wie den Knecht Ruprecht?
Der kommt in der Legende nirgendwo vor. Der Ursprung dieser Schreckgestalt ist unklar. Mein Gehilfe bleibt im Hintergrund.

Loben Sie denn nur?
Nein, ich gehe auch auf Schwächen ein. Nicht als strafendes Element, wie es in meiner Kindheit noch durch den Knecht Ruprecht vollzogen wurde. Ich baue die Kinder lieber auf, nach dem Motto: ,Das ist halt mal ein Jahr, da ist es blöd gelaufen, das wird schon wieder‘.

Macht ein Nikolaus denn auch mal Fehler?
Im letzten Jahr wusste ich nicht, wohin mit dem Bischofsstab. Ich habe spontan einen kleinen Jungen gefragt, ob er so nett sei und ihn hält. Ganz stolz stand er hinter mir und irgendwann hatte ich ihn völlig vergessen. Nach einer Stunde wurde die Mutter etwas ungeduldig. Dieses Jahr gibt es extra eine Halterung für den Stab in Form eines Engels.

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Wer hat hier Angst vor dem Nikolaus?
Foto: Alexandra Hauser

Wie reagieren die Kinder im Allgemeinen auf Sie?
Unterschiedlich. Manche sind ängstlich, andere gehen mit strahlenden Augen auf mich zu und sind neugierig. Ich suche immer das Gespräch. Ein Kind erzählte mir, dass sein Bruder im Krankenhaus liegt. Auf so etwas versuche ich dann einzugehen. Leider ist die Zeit oft knapp, die Schlange der Wartenden ist lang und die Geschenke im Nikolaussack werden irgendwann auch weniger. Viele kommen im folgenden Jahr wieder und kennen mich dann schon.

Gibt es ein besonders schönes Erlebnis?
Ein Junge malte einmal ein Bild für mich. Ich habe es aufgehoben (Er rollt sorgfältig ein Bild auf, es zeigt Mond und Sterne, darunter den Satz: ,Lieber Nikolaus, i mog di, Dein Maxi‘) Er hatte sich den ganzen Tag den Kopf zerbrochen, worüber ich mich freuen würde. Das zeigt, dass noch nicht alles verloren ist, dass man bei Kindern auch heute noch mit alten Traditionen das Herz erreichen kann.

Wie können Eltern den Erhalt dieses Brauchtums unterstützen?
Eine Möglichkeit wäre, sich für die Kinder Zeit zu nehmen und anhand der Legenden den Sinn der Nächstenliebe zu erklären. Die Menschen sollten freundlicher miteinander umgehen. Dann braucht es auch an Weihnachten keine riesigen Geschenke. Auf kleine Gaben am Nikolausabend muss man ja nicht verzichten. Die kommen, genau wie bei der Legende mit den verarmten Jungfrauen, in den Strumpf oder in den Stiefel.

Bekommen Sie auch Gaben zum Nikolaustag?
Ja. Das Lächeln eines Kindes kann man mit Geld nicht aufwiegen. Da stehen dem Nikolaus dann auch schon mal Tränen in den Augen.

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Schenken bringt Freude auf beiden Seiten.
Foto: Alexandra Hauser

Zur Person:

Lothar A. Kestler ist hauptberuflich als Fachkraft für Arbeitssicherheit beim Erzbischöflichen Ordinariat in München tätig.

Parallel dazu engagiert sich der gebürtige Unterfranke ehrenamtlich. Zum Beispiel als Richter, als Bladeguard bei der Münchner Blade Night und als Messdiener in der Stiftskirche Sankt Kajetan. Er ist Kanzler des Lazarus-Ordens in Deutschland und Landeskommandant Bayern des Hilfskorps St. Lazarus, einer ökumenischen Organisation, die aktiv am Bau eines Krankenhauses in Syrien mitwirkt und regelmäßig Hilfsgütertransporte organisiert.

Seit 2008 beschenkt er am 5. und 6. Dezember als Heiliger Nikolaus die Kinder auf dem Weihnachtsdorf im Kaiserhof der Residenz in München.

Im Jahr 2014 erhielt Lothar A. Kestler das Ehrenzeichen des Bayerischen Ministerpräsidenten für Verdienste von im Ehrenamt tätigen Frauen und Männern.