Dossier Begegnung

Der Sohn der Nazi-Widerständler

Ein Slideshow-Bericht von Johanna Wild

Für ihre Zivilcourage während des Nazi-Regimes kommen Josef Prölls Eltern ins Konzentrationslager. Die Geschichte eines Sohnes, der infolge des politischen Widerstands der Eltern ungewollt ein Lebensthema erbt.

„Können wir heute beim Mittagessen mal über ein anderes Thema sprechen?“, versucht Josef Pröll es als Jugendlicher manchmal. Doch seine Bitte hat keinen Erfolg. Das Leben seiner Familie dreht sich um den Holocaust.

Auch Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg sitzen seine Eltern mit ihren Bekannten am Küchentisch, um sich über ihre leidvollen Erlebnisse im Konzentrationslager zu unterhalten. „Die meisten Freunde meiner Eltern hatten entweder dasselbe Konzentrationslager wie mein Vater oder dasselbe Lager wie meine Mutter durchgestanden“, erzählt Josef Pröll, der 1953 geboren  wurde.

 Der Sohn wächst auf umgeben von den Begriffen „Todeslager“, „Nationalsozialismus“ und „Rechtsextremismus“. Ein Kind, dessen Lebensrealität aufs Engste mit einer Vergangenheit verknüpft ist, die er selbst nicht erlebt hat. „Das war für mich schon eine schwierige Situation“, gibt er heute zu.

Der Vater ist in der KPD, die Mutter druckt Flugblätter

Seine Eltern Anna und Josef Pröll und viele weitere Familienmitglieder leisten im Dritten Reich Widerstand. Der Vater ist in der KPD, die Mutter druckt in den 1930er Jahren Flugblätter gegen den Krieg und malt Anti-Hitler-Aufrufe an Haustüren. „Man hat sich einfach mit sich selber ins Reine bringen müssen“, begründet Anna Pröll später ihren mutigen Einsatz gegen das Nazi-Regime.

Beide werden für ihr Engagement ins Konzentrationslager gesteckt. Im Gegensatz zu anderen Familienmitgliedern überleben sie, doch das Unrecht, das an ihnen begangen wurde, liegt wie ein schwerer, dunkler Schatten über ihrem weiteren Leben.

Alte Nazis in Führungspositionen, ehemalige Nazi-Gegner arbeitslos

Porträtbild des frisch verheirateten Ehepaars Anna und Josef Pröll. In Festtagskleidung lächeln beide in die Kamera.

Hochzeitsbild von Anna und Josef Pröll aus dem Jahr 1938. Die Gestapo Augsburg versuchte die Heirat der beiden Widerstandsaktivisten zu unterbinden, indem sie ihre Herkunftsfamilien massiv bedrohte.
Foto: Josef Pröll

Auch weil die deutsche Nachkriegsgesellschaft die Nazi-Gegner alles andere als freundlich aufnimmt. „Jetzt kommen die KZler, jetzt müssen wir unsere Wohnungen gut zusperren“, erinnert sich Anna Pröll an die Reaktionen der Nachbarn, als die Familie in ihre neue Wohnung einzieht. Während die Widerständler in Frankreich als Ehrengäste hoch geschätzt sind, bleiben sie in ihrem Heimatland Stigmatisierte.

Anders als viele alte Nazis, die schnell wieder in Führungspositionen aufsteigen, finden die Prölls als ehemalige KZ-Häftlinge kaum Arbeit. Sie müssen um eine Zuzugsgenehmigung bitten, bevor sie sich wieder in ihrer Geburtstadt Augsburg niederlassen dürfen.

Ein Lebensalltag bestimmt vom Holocaust

Angesichts ihren übermenschlich erscheinenden Mutes und den Herausforderungen des Alltags, fällt es Josef Pröll in seiner Jugend schwer, sich von den Eltern abzugrenzen und eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln. „Ich hatte so eine Hochachtung vor ihnen, dass ich mich selber in den Hintergrund gedrückt habe, und zwar ständig.“
Selbst bei der Wahl der Partnerin stellt er das Urteil seiner Eltern vor sein eigenes. Ist die Freundin den Eltern nicht genehm, wird sie abserviert. Erst mit etwa vierzig habe er verstanden, dass es nicht gesund für ihn ist, sein eigenes Leben „bis in den Sarg nur von diesem Verbrechen“ bestimmen zu lassen.

Das Familienerbe Zivilcourage

Nach und nach befreit er sich von der Umklammerung des Themas Holocaust und findet seinen eigenen Umgang mit der Vergangenheit seiner Eltern. Inzwischen lebt er mit Frau und Kindern in der Nähe von Augsburg und schätzt auch die positiven Eigenschaften, die ihm seine Eltern mit auf den Weg gegeben haben.
Zum Beispiel, dass er sich nicht verbiegen lässt, selbst wenn das negative Auswirkungen hat. Pröll erinnert sich daran, wie er als 19-jähriger Wehrdienstpflichtiger einen halben Tag lang vom militärischen Abhördienst in die Mangel genommen wurde, weil er in die ehemalige DDR gereist war. „Deswegen habe ich die so genannte Sicherheitstufe 1 nicht bekommen, die jeder Soldat hat. Da haben mir zwar die Knie gezittert, aber da hab ich mich zum ersten Mal mutig verhalten und gespürt, was man dafür aufbringen muss.“

Geschichte des Nationalsozialismus wachhalten, damit sie nicht umsonst war

Josef Pröll hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Vermächtnis seiner inzwischen verstorbenen Eltern an die folgenden Generationen weiterzugeben. Etwa dreimal pro Woche ist er in der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Dachau und erklärt den Besuchern die Gräueltaten, die das NS-Regime dort in den Jahren 1933 bis 1945 begangen hat.

Josef Pröll zeigt auf eine Tafel, die die verschiedenen Farbkennzeichnungen für unterschiedliche Häftlingsgruppen im Konzentrationslager Dachau zeigt.

Josef Pröll in der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Dachau.
Foto: Johanna Wild

Vor allem möchte er vermitteln, auf welch grausame Weise den Häftlingen im Lager innerhalb kürzester Zeit ihre Menschenwürde genommen wurde. Angefangen beim Lagertor mit dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ als Symbol für den Verlust der eigenen Freiheit bis hin zu den entwürdigenden Aufnahme-Prozeduren: „Da wurden den neu angekommenen Häftlingen alle Haare geschoren, dann wurden sie mit einem Pflanzenschutzmittel eingesprüht und bekamen KZ-Kleidung. Dieses Unrecht, das in diesem Moment stattfand, ist unbeschreiblich.“

Damit sich derartiges Unrecht in Zukunft nicht wiederholt, setzt sich Josef Pröll dafür ein, dass Werte wie Menschenwürde und Zivilcourage stärker ins Bewusstsein der Gesellschaft rücken. „Ich habe die Zielvorstellung, dass solche Verbrechen nicht umsonst waren, dass Menschen nicht umsonst gestorben sind, indem ich diese Geschichte weitertrage und die Menschen auffordere, sich gegen solche Verbrechen zu engagieren.“

Die Zitate von Anna Pröll stammen aus dem Dokumentarfilm „Anna, ich hab Angst um dich“ (2002), den Josef Pröll zusammen mit dem Historiker Wolfgang Kucera über sie gedreht hat.