Dossier Begegnung

Papier macht süchtig

Eindrücke aus der Papierwerkstatt im Haus der Eigenarbeit, München

Eine Reportage von Carola Wildner

Im Keller der Wörthstraße 42 in München riecht es holzig, nach trockener Birkenrinde, fast nach Vanille. Ein schmaler Gang führt tiefer hinein. Aus einem Regal ragen farbige Rollen in den Raum. Zwei Stufen führen nach nebenan zu den alten Buchpressen und einer schwere Schneidemaschine. Im Raum am Ende des Flurs steht Kursleiterin Annegret Jannsen, eine rote Schürze um die Hüften, die Haare zurückgebunden am großen Werktisch der Papierwerkstatt im Haus der Eigenarbeit. Heute ist der Abschlusstag ihres Buchbindekurses

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Fertig gebunden Bücher aus der Papierwerkstatt.
Fotos: Carola Wildner

 

„Früher war ich nicht so genau“, sagt Kursteilnehmerin Catharina Niggemeier. „Seitdem ich hierher zum Buchbinden komme, bin ich auch im Alltag viel sorgfältiger geworden.“ Sie klemmt sich eine blonde Haarsträhne hinters Ohr. „Man ist immer in Eile, macht alles so huschhusch. Jetzt schaue ich oft nochmal genauer hin.“

„Hudeln wird nichts“, pflichtet Ingeborg Krause ihr bei. Sie beugt sich zu ihrer Nachbarin, schaut über den Brillenrand und hält ihr Buch, Faden und Nadel entgegen. „Sag´ mal, wie hast du das nochmal gemacht?“ Das Buch wechselt in die Hände von Gabi Atzenbeck. „Ah, da bist du falsch durch, das musst du noch mal ausfädeln.“ Ingeborg zieht den roten Faden wieder aus dem Nadelöhr und dann aus dem Buchrücken. Beim zweiten Anlauf klappt es.

Den Alltag ausblenden und in die Seiten Eintauchen

Ein roter Faden verbindet die Seiten.

Die drei Frauen sind Teilnehmerinnen des Buchbindekurses in einer der offenen Werkstätten des HEi. „Wir binden die Bücher mit Nadel und Faden zusammen, statt den Buchrücken zu verleimen“. Auf den gekerbten Arbeitsflächen im Werkraum entstehen Bücher aus leeren Blättern. Zu Hause bei Catharina, Ingeborg und Gabi werden sie zu Tagebüchern oder Rezeptsammlungen.

Gabi betrachtet die überstehenden Seiten ihres Buches. An manchen Stellen muss sie die zusammengehefteten Blätter noch gerade schneiden. Ein Pflaster klebt nachlässig auf ihrem Ringfinger. „Ich hab mir in den Finger gelocht. Ich hab´s gar nicht gemerkt. Erst als alles rot war, habe ich mich gewundert, woher das Blut kam“, sagt sie und winkt ab.

„Man kann völlig abschalten, merkt gar nicht wie die Zeit vergeht.“ Catharina schaut von ihren Seiten auf. „Man muss sich so konzentrieren, da hat nichts anderes Platz im Kopf.“

Magische Kästchen und kindliche Neugier

Während die drei die letzten Feinarbeiten machen, holt Annegret ein buntes Kästchen aus dem Schrank. „Das ist eine Magic Box, alles aus Papier und Pappe gemacht.“ Gabi wird neugierig. Vorsichtig streicht sie über die blaue Oberfläche, mit den bunten Ornamenten. Sie dreht das Kästchen in den Händen.

„Ui, wie geht denn das?“ Mit abgespreizten Fingern hebt sie den Deckel an. Er lässt sich nach links und nach rechts öffnen. Schließlich scharen sich alle um den Tisch. „Wann ist der Magic-Box-Kurs?“, fragen sie gleichzeitig.

Bewahren und erfinderisch werden

Die Magicbox macht neugierig. Sie lässt sich auch zur anderen Seite öffnen.

Gabi packt ihr fertiges Buch ein. „Man kriegt so eine Schaffenslust. Ich sammle die Kinderzeichnungen von den Enkeln und mache ein Buch draus“, sagt sie. „Die Kalender von der Au, die müssen wir aufheben, hat mein Mann gesagt. Da habe ich immer acht Stück zusammen gebunden, das Kalendarium weggeschnitten und jetzt haben wir Bilderbücher. In der Au, der Gegend um den Maria-Hilf Platz, sind wir aufgewachsen.“ Ihre Augen strahlen.

Ingeborg legt eine große Mappe auf die Arbeitsplatte und klappt sie auf. „Guck dir das mal an, Wahnsinn. Ich liebe Farben.“ Jedes Blatt in der Mappe ist ein Kunstwerk aus bunten Mustern. „Das sind marmorierte Papiere.“ Ingeborg blättert vorsichtig durch den Stapel. Am Ende hat sie drei Blätter ausgesucht. „Für mein Nähkästchen aus Papier, ich mache so ein ähnliches, wie das hier.“

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Stabiles Kästchen aus Pappe und Papier mit Zwischenboden. In den unterteilten Fächern lassen sich Nähutensilien oder Kleinzeug unterbringen.

Sie streckt sich nach einer grünen Schachtel ganz oben auf dem Regal und stellt sie mit einem dumpfen Geräusch auf den Tisch. „Die Schachteln, die man kaufen kann, sind nichts dagegen. Unsere Schachteln sind stabil wie Holz und raffiniert verarbeitet.“ Während sie die einzelnen Teile erklärt, streicht sie immer wieder über die Innenseite des Deckels. „Die Ecken sind nicht sauber eingeschnitten worden. Das war ein Anfänger.“

Das Hobby und die Sucht nach Papier

Catharina schreibt etwas aus einem Fachbuch über Papiertechnik in ihr fertiges Notizbuch ab. „Für zu Hause“, sagt sie. „Es macht süchtig.“ Aber nächsten Samstag treffen sich alle wieder hier. Die drei Frauen haben den Raum der Papierwerkstatt privat gebucht und Annegret Jannsen gleich dazu.

„Das ist das Tolle am Haus der Eigenarbeit, man kann die Werkstatt einfach nutzen. Die Liebe zum Handwerk als Hobby scheitert ja oft am Werkzeug. Hier gibt es Papierpressen und Schneidemaschinen und Material kann man auch kaufen“, sagt Catharina. „Ich bin totaler HEi-Fan inzwischen, weil ich das so einzigartig finde.“

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