Dossier Begegnung

Das Selbermacherhaus

Ein Bericht von Kristin Ewald

Unweit des Münchner Ostbahnhofs liegt das Eldorado der Hobbyhandwerker – das Haus der Eigenarbeit (HEi). Seit 1987 dient es als Bürgertreff und Stadtteilzentrum. Herzstück ist der große, professionell ausgestattete Werkstattbereich, den jeder nutzen kann.

Die Hobbyhandwerker arbeiten nachmittags in den offenen Werkstätten. Viele sind Stammkunden, so wie Christian Zarneckow, der sich im HEi gerade eine Kommode, einen Schrank und ein Kinderbett baut. Der gelernte Schreiner: „Es ist ein Ausgleich für mich und es macht mir einfach Spaß, etwas selbst zu gestalten und herzustellen.“

Werkstatt

Christian Zarneckow baut seine Möbel in der offenen Werkstatt des HEi
Fotos: Kristin Ewald

Wer an seine handwerklichen Grenzen stößt, bekommt professionelle Hilfe in der Fachberatung. Freiberufliche Mitarbeiter unterstützen die Handwerkslaien bei der Umsetzung ihrer Projekte: Sie bekommen hier Anleitung, wenn sie zum Beispiel einen Tisch oder ein Regal bauen und nicht weiter wissen. Ein umfangreiches Kursprogramm ergänzt die offene Werkstattnutzung. Ob Goldschmieden, Stricken, Polstern oder Schweißen – es gibt zahlreiche Kurse in denen Neulinge und Könner Anregungen bekommen und ihre kreativen Ideen umsetzen können.

Vormittags finden zahlreiche Schulprojekte statt. „Kinder und Jugendliche können sich hier ausprobieren und erste Erfahrungen mit dem Handwerk machen“, sagt Veronika Stegmann, Leiterin des HEi. Unter anderem nutzt die SchlaU-Schule, die junge Flüchtlinge in einem schulanalogen Unterricht für die Quali-Prüfungen vorbereitet, die Werkstätten des HEi.

Das Werkstattcafé im Empfangsraum des HEi ist ein Treffpunkt für alle: Hierher kommen die Werkstattnutzer um Pause zu machen, etwas zu essen, zu trinken oder nur zum Ratschen. Abends treffen sich die Mitglieder des Fasercafés zum gemeinsamen Handarbeiten. Ein Spieleabend lädt ein, beliebte Brett- oder Gesellschaftsspiele auszuprobieren. Beim Philosophischen Café stehen einmal im Monat gesellschaftliche Themen zur Diskussion.

Veronika Stegmann, Leiterin des HEi (l.) und Matthias Dorsch, Werkstattleiter im HEi.

Veronika Stegmann, Leiterin des HEi (l.) und Matthias Dorsch, Werkstattleiter im HEi

Vor 28 Jahren wurde das HEi als Modellprojekt von der anstiftung ins Leben gerufen. Die heutige Stiftungsgemeinschaft anstiftung & ertomis unterstützt bis heute das Förderprojekt. Der Grundgedanke damals wie heute ist, mit Eigenarbeit einen Ausgleich zur Erwerbstätigkeit zu schaffen. „Die positive Erfahrung, etwas herstellen zu können, gibt den Menschen Selbstbewusstsein und kann über Zeiten der Erwerbslosigkeit hinweghelfen“, so Veronika Stegmann. „Viele wollen nicht nur konsumieren, sondern selber etwas machen. Sie gewinnen damit Autonomie zurück und tun etwas Sinnstiftendes“. Genau diesen Aspekt greift die Kooperation mit dem Münchner Bündnis gegen Depression auf. Das HEi bietet zusammen mit diesem Bündnis depressiv-erkrankten Menschen die Möglichkeit, Kurse zu belegen. „Das Selbertun kann dabei aktiv zur Genesung beitragen“, führt Stegmann weiter aus.

Möbel selber bauen, kaputte Dinge reparieren – das gehört für viele Nutzer des HEi zu einem nachhaltigen Lebensstil dazu. „Wer seinen Tisch in vielen Arbeitsstunden gebaut hat, der wird ihn nicht so schnell wieder entsorgen“, so Matthias Dorsch, Werkstattleiter im HEi. Das Repair-Café, das vier bis fünf Mal im Jahr vom HEi organsiert wird, unterstützt die Münchner dabei, der Wegwerfgesellschaft die Stirn zu bieten. „Das ist ein besonderer Treffpunkt. Hier können die Münchner ihre kaputten elektronischen Geräte mitbringen und sie gemeinsam mit unseren ehrenamtlichen Helfern reparieren“, erläutert Dorsch. Das Repair-Café ist ein Angebot, das das HEi aus den Niederlanden nach München geholt hat. Seit 2012 findet es in München statt und es war Vorbild für viele Neugründungen in der Stadt und der Region.

Lange Zeit war das HEi die einzige Einrichtung seiner Art in Deutschland. Mittlerweile gibt es weitere Projekte, beispielsweise den Werkraum in Augsburg und das Kempodium in Kempten. „Dort konnten wir mit unseren langjährigen Erfahrungen wertvolle Starthilfe leisten“, sagt Werkstattleiter Dorsch.

Für München ist das HEi Treffpunkt sowohl für Handwerkslaien als auch für Profis, für Menschen aus allen Bevölkerungsschichten und Altersgruppen. Die jüngsten Besucher sind japanische Kindergartenkinder, die sich einmal pro Woche für einen Nachmittag treffen und ihre Kultur leben. Es gibt keine Altersbegrenzung: „Einer unserer ältesten Nutzer, der schon im Seniorenalter war, hat sich bei uns seinen Sarg gebaut“, erzählt Werkstattleiter Dorsch. „Alles ist möglich.“

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