Freiraum denken

The Sargnagel Talks Back Again

8. Mai 2018

The Sargnagel Talks Back Again

Protagonisten der Debatte um Gender Studies diskutieren in Glockenbachwerkstatt.

Die beiden Kontrahenten sitzen sich auf Barhockern an zwei kleinen Tischen gegenüber. Es ist ihre erste persönliche Begegnung. Die Gesichter: angespannt. Zuvor diskutierten die Geschlechter-Forscher Paula-Irene Villa und Vojin Sasa Vukadinovic nur in Artikeln miteinander. Oder besser: stritten. Im Zentrum ihrer Kontroverse steht die Lage der Gender Studies.

Worum es geht

Das Bühnengespräch in der Glockenbachwerkstatt setzte die überhitzte Debatte über den Forschungszweig aus dem Vorjahr fort. Der Historiker Vukadinovic hatte die Gender Studies in der feministischen Zeitschrift „Emma“ scharf kritisiert. Er bezeichnete das Fach als „Sargnagel der Frauen-Emanzipation“. Dagegen wehrte sich die Münchner Soziologin Villa im ebenfalls feministischen „Missy Magazine“. Ihre wütende Satz-für-Satz-Replik war überschrieben mit: „The Sargnagel talks back“.

Diese Auseinandersetzung wirkte bei dem Dialog in der Reihe „Gender Salon“ nach. Es kamen deutlich mehr Besucher als gewöhnlich in die Glockenbachwerkstatt. Die Einladung Vukadinovics stieß im Vorfeld auf Unverständnis. Mehrfach mussten die Organisatoren sich dafür rechtfertigen, dass sie dem Historiker ein Forum für seine Thesen bieten. Vukadinovic selbst sprach für die Veranstaltung ein Fotoverbot aus.

Als akademische Fachrichtung beschäftigen sich die Gender Studies mit der Rolle des Geschlechts in der Gesellschaft. Drei wichtige Punkte im Streit um diese wissenschaftliche Disziplin sind: die Frage nach der Emanzipation der Frau, die Haltung zum politischen Islam und dessen Umgang mit Frauen sowie das Verhältnis der Gender Studies zu Politik und Gesellschaft.

Gender Studies als Sargnagel der Frauen-Emanzipation?

Demonstrantin fordert Respekt für alle Frauen. Foto: unsplash.com / t chic mcclure

„Das Streben nach einem besseren Leben für alle dürfen wir nicht verabschieden“, sagte Vukadinovic. Der 39-Jährige tritt für eine weltweite Emanzipation ein. Menschenrechte und zivilisatorische Mindeststandards seien universell, so der Historiker. Damit richtet er sich gegen kulturrelativistische Tendenzen in den Gender Studies. Diese legitimierten etwa den Zwang, Burkas zu tragen oder die Praxis der Genitalverstümmelung mit dem Verweis auf lokale Bräuche.

Villa brachte den im Rahmen der Gender Studies viel diskutierten Begriff der „Intersektionalität“ ins Spiel. Er bedeutet, dass in einer Person mehrere Diskriminierungs-Erfahrungen zusammentreffen können. So dürfte es etwa einer Frau, die von Hartz IV lebt, deutlich anders gehen als einer Frau, die an der Spitze eines Unternehmens steht. Deshalb sei, argumentiert Villa, auch eine klare Unterscheidung von Gruppen unterdrückter Frauen und Gruppen nicht-unterdrückter Frauen nicht möglich. Genau diese werde aber in der Emanzipations-Debatte vielfach vorausgesetzt. Es gehe immer um den Einzelfall.

Die Frau im Islam als Thema der Zukunft

Emotional wohl am stärksten aufgeladen ist die Frage, wie sich das Fach zur Stellung der Frau im politischen Islam verhält. Vukadinovic ist überzeugt: „Das wird die bestimmende Debatte der nächsten zehn Jahre.“ Er beanstandet antiemanzipatorische Entwicklungen in den Gender Studies. So bezeichnete Judith Butler, eine Ikone der Fachrichtung, das Tragen einer Burka etwa als „Übung in Bescheidenheit und Stolz“. Für Vukadinovic ist der Ganzkörperschleier jedoch nichts anderes als eine Unterdrückung, die es zu bekämpfen gilt.

Dahingegen sieht es Villa nicht als Aufgabe einer wissenschaftlichen Disziplin, wertend Stellung zu beziehen. Vielmehr gehe es um die empirische Untersuchung gesellschaftlicher Phänomene. Deshalb bezog sie sich vor allem auf die Erforschung des politischen Islam in den deutschsprachigen Gender Studies. Zwar gebe es dazu einige Forschungsarbeiten, aber noch deutlich zu wenige. Entsprechende Wissenslücken hatte auch Vukadinovic bemängelt.

Es müsse, so Villa, mehr geforscht werden über Zwangsverhältnisse, mangelnde Frauenrechte und Emanzipation. „Es gibt da ein Debattenvakuum“, diagnostiziert die Soziologin. Aus Angst davor rassistisch zu wirken oder die falschen Debatten zu bedienen, schreckten Forscher vor diesen Themen zurück.

Analyse als Protest

Wie sollen die Gender Studies in Politik und Gesellschaft hineinwirken? Vukadinovic will, dass das Fach die Politik künftig mit genauen Untersuchungen der gesellschaftlichen Wirklichkeit erreicht. Seiner Auffassung nach ersetzt der Protest gegenwärtig allzu oft die Analyse. Das genaue Gegenteil müsse der Fall sein: „Analyse als Protest“. Der Historiker beklagt eine „Wagenburgmentalität“ der Gender Studies. Eine schwer zugängliche Sprache und der starke Selbstbezug der Disziplin verhinderten den Dialog mit Politik und Gesellschaft.

Zwar sieht Villa Analysen nicht als Form des Protests, aber die Ergebnisse der Forschung möchte auch sie in Politik und Gesellschaft einspeisen. Sie teilt ferner die Einschätzung, dass gute wissenschaftliche Arbeiten unverzichtbar sind und die Gender Studies zu stark um sich selbst kreisen. Jedoch ist für die Soziologin eine eigene Sprache für die wissenschaftliche Verständigung notwendig. Je nach Adressat müssten Studien angemessen übersetzt werden.

Beißreflexe auf beiden Seiten

Ausgangspunkt der Diskussion war Vukadinovics Kritik der Gender Studies in dem Sammelband „Beißreflexe“. In dem von der Berliner Aktivistin und Geschlechterforscherin Patsy l’Amour laLove herausgegebenen Buch gingen diverse Autoren den Queer-Feminismus an.

Eigentlich sollte dieser den Weg bereiten für neue Lebensformen und mehr Freiheit für Frauen wie Männer. Aber stattdessen, so stellen die Verfasser fest, zeige er nun autoritäre Tendenzen und erteile Sprechverbote. Als Reaktion auf das Erscheinen der Anthologie gab es harsche Kritik an den Autoren bis hin zu Gewaltandrohungen.

In Zeitschriften und Zeitungen entspann sich daraufhin eine sehr emotionale Auseinandersetzung. Ein Dossier zum Thema erschien in der feministischen Zeitschrift „Emma“. „Beißreflexe“-Autoren schrieben darin erneut über „Denkverbote und Psychoterror“. Vukadinovics Artikel veranlasste nicht nur Villa zu einer Antwort. Auch die Gender-Forscherinnen Judith Butler, Vordenkerin der Gender Studies, und Sabine Hark verteidigten in der Wochenzeitung „Die Zeit“ ihr Fach. Den „Emma“-Autoren warfen sie wegen deren Kritik am Islam Rassismus vor. Auf seine Kritikerinnen ging Vukadinov wiederum in einem Artikel in der „Neuen Zürcher Zeitung“ ein. Darin verzichtete er auf die vorangegangenen Polemiken und nahm der Auseinandersetzung die Schärfe.

Wegen dieser Vorgeschichte erwarteten einige Gäste in der Glockenbachwerkstatt einen hitzigen Schlagabtausch. Doch der blieb aus. Beide Gesprächspartner bemühten sich offensichtlich um Sachlichkeit und Zurückhaltung. Bisweilen fehlte dem Austausch deshalb die Würze.

 


Quelle: ARD-alpha / youtube.com