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Rezension – „Wasser und Zeit“

Rezension – „Wasser und Zeit“

Panoramaaufnahme einer isländischen Landschaft, mit schneebedeckten Bergen und zwei Gletscherzungen im Hintergrund, im Vordergrund ein See in dem sich die Berglandschaft spiegelt, am Bildrand rechts zwei Pflanzenkissen und im Bildvordergrund gelblich-grünes Gras

„Und die Zeit gleicht einem Bild,

gemalt von Wasser

und halb von mir.“

Steinn Steinarr**

Andri Snaer Magnason

„WASSER UND ZEIT“

Eine Geschichte unserer Zukunft

Klimawandel, Gletscherschmelze, Versauerung der Meere und Treibhauseffekt – Begriffe aus Wissenschaft und Forschung, die Zukunftsszenarien heraufbeschwören, die unser Auffassungsvermögen oft übersteigen. Den reinen Zahlen und Fakten setzt der isländische Autor, Journalist und Umweltschützer Andri Snaer Magnason in seinem Buch „Wasser und Zeit“ die Kraft der Geschichten entgegen.

Um in der Zukunft anzukommen, reist er zunächst in die andere Richtung der Zeitachse. Er erzählt von uralten Mythen, Geschichten isländischer Vorfahren, von einst bis weit in die Täler reichenden, eisbedeckten Gletschern. Lässt knisternd-brüchige Filmaufnahmen einer Gletschertour sprechen oder seine Eltern anhand von vergilbten Schwarz-weiß-Fotos von ihrer Hochzeitsreise auf den Vatnajöküll erzählen.

Er trifft Wissenschaftler und Geistesgrößen, auch den Dalai Lama. In der Himalaya­region schmelzen die Wasserreservoirs rapide. Doch es gibt etwas, was Tibet und Island über Gletscher hinaus verbindet: Die Menschen erzählen sich bis heute uralte Geschichten und Mythen von Heiligen Kühen.

Gletschereis das hellblau leuchtet, im Vordergrund offenes Wasser, im Hintergrund Berge im Nebel
Islands bizarre Gletscher -und Eislandschaft. Foto: mistraysoul | pixabay

Dieses Buch ist eine mäandernde Auseinandersetzung mit dem Klimawandel, ein Narrativ in Spiralenform, gewunden aus Erkenntnissen und Geschichten, die im Gedächtnis bleiben. Besonders, wenn man einen ganz persönlichen Bezug dazu herstellen kann, für wen es heute und jetzt zu handeln gilt. Das Buch endet mit einem imaginierten Gespräch zwischen Magnasons Tochter und ihren Zwillingsenkelinnen:

„Ich kenne diese Frau“, sagt Hulda Fillipia. „Ich bin nach ihr benannt. Sie wurde 1924 geboren, vor 178 Jahren. Lasst uns mal rechnen!“, schlägt sie  vor, … „Wann ist jemand, den Du liebst, noch am Leben?“

„Wie meinst Du das?“

„Ihr seid jetzt zwölf Jahre alt, wann werdet ihr neunzig sein?“

Sie kritzeln auf einen Zettel: 2090 plus 90 ist 2180.

„Und nun stellen wir uns vor, dass ihr 2170 ein Enkelkind bekommt, wann wird das neunzig sein?“ …

„2260?“

„Ja, stellt Euch das mal vor! Dieser Mensch, den ihr am meisten auf der Welt lieben werdet, erlebt noch das Jahr 2260! … Das ist die Zeitspanne, die ihr überbrückt: mehr als 250 Jahre. … Eure Zeit ist die Zeit eines Menschen, den ihr kennt und liebt, der euch prägt, und auch die Zeit eines Menschen, den ihr kennen und lieben werdet, die Zeit, die ihr prägen werdet. Alles, was ihr tut ist wichtig. Ihr erschafft die Zukunft an jedem einzelnen Tag.“

Eine Rechenaufgabe verändert das Denken und Handeln. Magnason schafft es, Fakten zu emotionalisieren. Ein ungewöhnliches Sachbuch, Science Storytelling vom Feinsten – absolut lesenswert!

**(S. 294/26) Steinn Steinarr: Timinn og vatnid / Die Zeit und das Wasser. Aus dem Isländischen von Marita Bergsson. Kleinheinrich, Münster 1987

Andri Snaer Magnason: „Wasser und Zeit. Eine Geschichte unserer Zukunft.“ Aus dem Isländischen von Tina Flecken, Insel Verlag, HC: ISBN 978-3-458-17868-2, (ab Juli 2021) TB: ISBN 978-3-458-68159-5

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