Kündigung: Erlaubt die Vertraulichkeitserwartung beleidigende Chat-Äußerungen?

Das BAG hat entschieden. Gibt es eine Vertraulichkeitserwartung für Mitglieder einer Chatgruppe? Dies ist abhängig vom Inhalt der Nachrichten sowie der Größe der Chatgruppe.

Ein Arbeitnehmer kann sich nicht immer auf die Privatsphäre eines Chats, an dem er teilnimmt, verlassen. Ist die außerordentliche Kündigung in folgendem Fall berechtigt? Die Chatgruppe bestand hier aus sieben Mitgliedern. Darf sich ein Arbeitnehmer im Chat in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte und andere Kollegen äußern? Das Bundesarbeitsgerichts (BAG) hat darüber entschieden.

Kündigung: Eine Chatgruppe von Arbeitnehmern

Der Kläger war bei der Beklagten beschäftigt. Seit 2014 gehörte er einer Chatgruppe mit fünf anderen Arbeitnehmern an. Ein weiterer Kollege wurde im November 2020 in die Gruppe aufgenommen. Nach den Feststellungen in der Vorinstanz waren alle Gruppenmitglieder langjährig befreundet. Zwei Mitglieder waren miteinander verwandt.

Der Inhalt der Themen im Chat war nicht nur rein privat. Der Kläger wie auch andere Gruppenmitglieder äußerten sich dort in beleidigender und menschenverachtender Weise über Vorgesetzte und Arbeitskollegen. Hiervon erhielt die Beklagte zufällig Kenntnis. Daraufhin kündigte sie das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos.

Kündigung: Erfolgreiche Revision der Beklagten

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht gaben der Kündigungsschutzklage des Klägers statt (u.a. LAG Niedersachsen, Urt. v. 19.12.2022 – 15 Sa 284/22). In letzter Instanz hatte aber die Revision der Beklagten vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) Erfolg. Das Berufungsurteil des LAG wurde aufgehoben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen.

Die Begründung des BAG: Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerhaft eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung des Klägers betreffend der ihm vorgeworfenen Äußerungen angenommen und das Vorliegen eines Kündigungsgrundes verneint.

Kündigung: Gilt die Vertraulichkeitserwartung?

Eine Vertraulichkeitserwartung ist nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können. Das ist abhängig vom Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der Chatgruppe. 

Sind Gegenstand der Nachrichten aber – wie vorliegend – beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige, bedarf es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten konnte, deren Inhalt werde von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben.

BAG: Landesarbeitsgericht muss neu entscheiden

Das BAG hat das Berufungsurteil insoweit aufgehoben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Dieses wird dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung geben, warum er angesichts der Größe der Chatgruppe, ihrer geänderten Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung haben durfte.

Quelle: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. August 2023 – 2 AZR 17/23, Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 19. Dezember 2022 – 15 Sa 284/22.
Das BAG hat mit Urteilen vom selben Tag in zwei parallel gelagerten Rechtsstreitigkeiten von Chatgruppen-Mitgliedern in gleicher Weise entschieden.

Besonders ausgestaltete Vertrauensbeziehungen

Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gebe es einen Bereich vertraulicher Kommunikation innerhalb besonders ausgestalteter Vertrauensbeziehungen, wozu insbesondere der engste Familienkreis gehört, der dem Ehrenschutz vorgeht („beleidigungsfreie Sphäre“). Damit solle ein persönlicher Freiraum gewährt werden, in dem man sich mit seinen engsten Verwandten frei aussprechen könne, ohne eine gerichtliche Verfolgung befürchten zu müssen.
(OLG Frankfurt am Main, vom 17.01.2019 – 16 W 54/18; OLG Frankfurt am Main, Pressemitteilung v. 30.01.2019)

Mehr zum Thema: LAG Thüringen, vom 29.06.2022 – 4 SA 212/21

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Was ist ein Chat?

Der Austausch durch Messenger-Dienste wie den Online-Chat wird für unsere Gesellschaft immer wichtiger. In einem Chat können sich die Beteiligten schnell und unkompliziert in einer Gruppe über Informationen und Meinungen austauschen. Das Wort Chat bedeutet so viel wie „plaudern” oder „sich unterhalten”. Das Besondere an einem Chat ist, dass alle Teilnehmer sofort alle neuen Nachrichten gleichzeitig auf dem Bildschirm sehen. Sie sollten aber beim Chatten die “Chatikette”, die Regeln im Chat, beachten. Was den Inhalt anbelangt, kann eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung für alle Gruppenmitglieder vorliegen.

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