Plastikfrei leben: Ab heute wird alles anders

PET, PVC, BPA: Diese Abkürzungen sind allgegenwärtig, doch kaum einer weiß, was sie bedeuten. Die Codes stehen für Kunststoffe oder Bestandteile davon. Möglicherweise geben sie krankmachende Schadstoffe an Lebensmittel und Umwelt ab. Verzicht scheint der beste Schutz. Unsere Redakteurin berichtet von ihrem Versuch, sich in Plastik-Enthaltsamkeit zu üben. Eine Reportage von Nadine Müller

Da steht es schwarz auf weiß: Du machst dich krank. Ich sitze im Wohnzimmer auf dem Sofa, vor mir eine Liste mit dem Titel BUND-Einkaufsratgeber: Mikroplastik – die unsichtbare Gefahr. Mein Shampoo, mein Duschgel, meine Handcreme – sie alle stehen drauf. Ich verstehe die Welt nicht mehr, denn ich achte beim Einkaufen auf Herkunft, Qualität und ökologische Aspekte. Und nun das. Die Liste kränkt mich einerseits in meiner Ehre, andererseits regt sich Widerstand in mir: Kurzentschlossen erkläre ich mein Bad zur plastikfreien Zone. Die Umbaumaßnahmen starten sofort.

Jeder kann plastikfrei, theoretisch

Plastikfrei liegt im Trend. Das Buch Besser leben ohne Plastik rangierte wenige Monate nach Erscheinen im Februar 2016 in den Top 20 der Spiegel-Bestsellerliste; die erste Auflage war vorübergehend ausverkauft. Dieses Buch soll mir beim Einstieg in den Ausstieg helfen. Bei der Münchner Stadtbibliothek sind 21 von 22 Exemplaren verliehen. Als ich endlich den Ratgeber – konsequenterweise aus 100 Prozent Recyclingpapier gefertigt – in Händen halte, bin ich Feuer und Flamme für mein Vorhaben.

Nur eines ist schlimmer, als Plastik zu kaufen: Plastik wegzuwerfen
(aus: Besser leben ohne Plastik)

Nach einem kurzen Abriss zu Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt geben die beiden Autorinnen Nadine Schubert und Anneliese Bunk schon erste Tipps für den Anfang. Es geht viel um Entrümpeln, Wiederverwerten und Selbermachen. „Nur eines ist schlimmer, als Plastik zu kaufen: Plastik wegzuwerfen“, heißt es. „In leere Sprühflaschen wird der selbst gemachte Reiniger gefüllt.“ Für alle Bereiche des Lebens gibt es Ideen und Rezepte, ergänzt durch schöne, große Bilder: Ob Badezusatz, Putzmittel oder Schokocreme – ich kann kaum glauben, was man alles selbst machen kann, zumal es so einfach erscheint. Inspiriert und voller Tatendrang vergesse ich fast meine Ursprungsidee – aber nur fast. Das Buch wird zugeklappt und ich mache mich auf den Weg, um nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch etwas zu verändern.

Von der Theorie zur Praxis: plastikfrei Einkaufen

Um Alternativen zu finden und weitere Tipps für mein Bad zu bekommen, gehe ich zur Plastikfreien Zone in der Schloßstraße, nahe des Max-Weber-Platzes in München-Haidhausen. Als ich die Türe öffne, umfängt mich gedimmtes Licht, in der Ecke flackert eine Kerze, auf einem Tisch liegen Bücher wie Alternativ unterwegs in München oder Statt Plastik. Schöne Sachen zum Selbermachen. Das Ideenbuch für Einfälle statt Abfälle. Links ein Turm aus losen Klopapierrollen, an den Wänden Regale – rund, eckig, gefüllt mit Waren des täglichen Bedarfs. Man kann Buchstabennudeln und Spaghetti im Glas kaufen, grammweise Getreide wie Emmer, Buchweizen und Reis erwerben. Ein Herr im Business-Dreiteiler kommt herein und fragt nach Dinkel-Vollkorn-Gries. Auch den gibt es – ohne Plastikverpackung. Wie alles hier.

Alles außer Plastik: In der Plastikfreien Zone gibt es sogar Klopapier einzeln – natürlich in Papier verpackt (Fotos: Nadine Müller)

Ein stückweit die Welt verändern

Ich suche das Regal mit Badartikeln. Inhaberin Katrin Schüler – schlank, dunkle, lange Haare, blaue Augen, blaues Strickkleid, blauer Strickschal und graue Strickjacke mit Zopfmuster – tritt hinzu. Beratung ist der 44-jährigen Soziologin wichtig und nimmt einen großen Teil ihres Tuns ein. Für sie ist die Plastikfreie Zone ein Beitrag, um das Konsumverhalten und damit ein stückweit die Welt zu verändern. Sie will ihre Kunden unterstützen, „nicht nur betroffen zu sein von Dokumentationen über weltweite Plastikverschmutzung, sondern auch aktiv zu werden“.

Plastik, ein „unkontrollierbares Material“

Ihr Beweggrund für ein plastikfreies Leben war die allgemeine Verschmutzung der Erde. Plastikmüll auf unbewohnten Inseln fernab der Zivilisation, verendete Jungvögel, in deren Kadavern Plastikzahnbürsten und Schraubverschlüsse gefunden wurden. Plastik verrottet nicht, Plastik zerbröselt nur. Deshalb will Katrin Schüler dieses „unkontrollierbare Material“ aus ihrem Leben verbannen.

Die Angst vor zerbrochenem Glas

Als ich von meinem Projekt berichte, mein Bad plastikfrei zu bekommen, antwortet Schüler, ich solle mich von meinen Sorgen frei machen, nicht in alten Denkmustern verharren. Damit meint sie meine Bedenken, dass Glasflaschen oder Gläser herunterfallen könnten. Auf meine Einwände bezüglich Schrammen in Waschbecken oder Badewanne geht sie nicht ein. Seife statt Duschgel, Olivenöl statt Bodylotion, das sind ihre Ratschläge. Anstelle einer Plastikzahnbürste könnte ich ein Produkt aus Bambus benutzen, Zahnpasta kann ersetzt werden durch Zahnputztabletten im Schraubglas.

… die wenigsten schaffen es, konsequent zu sein

Ich beginne zu realisieren, dass es um weit mehr geht als um Duschgel, Shampoo und Handcreme, wenn ich mein Bad plastikfrei bekommen will. Und ich frage mich, ob ich schlussendlich nicht auch zu den Kunden gehören werde, von denen Katrin Schüler sagt: „Viele haben den starken Wunsch, etwas zu verändern, aber die wenigsten schaffen es, konsequent zu sein.“ Dabei will sie weder bekehren noch verurteilen. Auch sie selbst kauft sich hier und da noch ein Produkt mit Plastik oder Plastikverpackung, so wie gestern eine CD. Ich verlasse den Laden und spüre, wie meine Vorfreude steigt – ich will endlich loslegen. Dazu braucht’s nur noch ein paar Kleinigkeiten.

Gefangen zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Die Ladentüre von Duft und Schönheit in der Münchner Innenstadt schwingt auf, Glöckchen klingeln. Mich empfängt warmes Licht, es riecht nach Räucherstäbchen und Duftlampen. In den Regalen am Eingang stehen bunte Seifen und aromatische Tees. Ich fühle mich sofort wohl. Aus meiner Tasche ziehe ich die Liste, auf der ich alles zusammengeschrieben habe, was ich brauche, um Handcreme selbst herstellen zu können. Diese Idee gefällt mir viel besser, als ein industriell gefertigtes Produkt kaufen zu müssen.

Plastikfrei ist nicht gleich plastikfrei

Auch der Verkäufer ist angetan. Seine Augen leuchten, er ist in seinem Element, als er mit mir die Bestandteile für die Handcreme zusammensucht. Doch vom Bienenwachs über die Sheabutter bis hin zum Lanolin – alles ist in Plastik eingepackt, in Tütchen oder durchsichtigen Wegwerfboxen. Selbst das Lavendelölfläschchen hat einen Kunststoffverschluss. Den Einkaufskorb voll mit guten, natürlichen Zutaten macht sich Ernüchterung breit – mir wird klar: Nur weil die Creme später plastikfrei ist, ist sie nicht gleich plastikfrei.

Projekt plastikfreies Badezimmer

Barfuß in meinem Bad: Ich schütte die Reste zweier Duschgels zusammen. An die leere Stelle im Regal kommt ein Stück grüne Lorbeerseife. Statt flüssigem Shampoo habe ich eine feste Haarseife gekauft, sonnengelb mit Weizenproteinen. Die selbst gemachte Lavendelhandcreme ist hinsichtlich Konsistenz und Duft perfekt geworden und steht in eine alte Edelstahldose abgefüllt auf der schmalen Glasablage unter dem Spiegel. Meine Oma kommt mir in den Sinn und einer ihrer meist verwendeten Sprüche: Mühsam nährt sich das Eichhörnchen. Ich muss mir eingestehen: Plastikfrei geht nicht von jetzt auf sofort. Die Philosophie vom plastikfreien Leben sickert langsam, Tropfen für Tropfen in meine Gehirnwindungen. Plastikfrei ist eine Haltung, in die man sich reindenken und für die man Schritt für Schritt gelernte Muster ablegen muss – auch wenn es nur ums Bad geht. Die Umbaumaßnahmen für meine plastikfreie Zone laufen unterdessen weiter.

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Fotos: Fotolia

Kommentar

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