„Ich bin ‚selbst‘ und ‚ständig‘“

Sein eigener Chef sein, nur noch das tun, was man liebt – viele träumen davon. Und so starten immer mehr Menschen ihr eigenes Business. Ein Beispiel: die Kaffeerösterei VogelMaier. Wie sieht es aus, wenn man vom Traum in die Realität gelangt? Ein Interview von Nadine Müller

Eine erfolgreiche Unternehmensberaterin und ein Manager aus München geben alles auf, um einen Traum zu verwirklichen. Das Ehepaar besichtigt Kaffeeplantagen in Ruanda und El Salvador, teilweise arbeiten die beiden auch dort. In unentgeltlichen Praktika und teuren Fortbildungen lernen sie alles rund um die aromatische Bohne. 2016 eröffnen Christiane Maier (50) und Stefan Vogelgesang (50) dann die Kaffeerösterei VogelMaier in München. Ist die Kombination aus Rösterei und Café ein wahrgewordener Lebenstraum oder nur harte Realität?

Wie entsteht so ein Lebenstraum?
Stefan Vogelgesang: Es war eher so, dass wir einen Albtraum beendet haben und so in einen Lebenstraum reingerutscht sind, den wir jetzt verwirklicht haben. Ich habe meinen Job geliebt, aber am Ende hatte ich viel Frust und Druck und das hat meine Wesensart verändert. Da entstand der Wunsch, etwas Selbstbestimmtes zu machen.

Wir haben schon immer viel gearbeitet – aber für andere.

Sie standen auf der Karriereleiter ganz oben. Jetzt arbeiten Sie fast rund um die Uhr, haben kein sicheres Einkommen. Warum haben Sie sich selbstständig gemacht?
Christiane Maier: Es ist dieses eigenbestimmte Dasein. Wir haben durch unsere Selbstständigkeit innere Freiheit gewonnen.

Ein wahr gewordener Lebenstraum: die Kaffeerösterei VogelMaier (Foto: Hauke Seyfarth)

Vogelgesang: Wenn ich am Montag hier stehe und röste, obwohl Ruhetag ist, tu ich das für uns. Wir haben schon immer viel gearbeitet – aber für andere. Das ist ein Riesenunterschied. Die Kaffeerösterei und das Café gehören uns. Wir können tun, was wir wollen. Das ist einfach schön und man muss sich immer wieder daran erinnern, dass es vorher nicht so war.

Sie haben viel Verantwortung, viel Arbeit, aber wenig Sicherheit, und damit sind Sie glücklich?
Vogelgesang: Selbstständig zu sein ist schon auch eine Herausforderung. Um 5 Uhr 15 aufstehen, gegen 6 Uhr 30 im Laden sein, Einkauf erledigen, Brezn schmieren. Um acht ist die Bude offen. Ich arbeite im Monat über 200 Stunden. Da sind die Tage, an denen ich trotz des Ruhetags arbeite, nicht mitgerechnet. Ich bin quasi „selbst“ und „ständig“ (lacht).
Maier: Ehrlich gesagt hatten wir das unterschätzt. Öffnungszeiten von 8 bis 18 Uhr hören sich nicht so schlimm an. Wir sind gewohnt, um die zehn Stunden zu arbeiten. Was wir außer Acht gelassen hatten, waren Vorbereitungszeit und Nachbereitung. Meistens gehen wir gegen 20 Uhr raus. Der Alltag hat sich stark verändert.

Du hängst permanent in einer Schleife zwischen Vertrauen und Zweifeln.

Sind Ihnen jemals Zweifel gekommen?
Maier: Ja, Zweifel gibt’s, aber ich glaube, das ist völlig normal. Du hast bestimmte Vorstellungen und schlussendlich wird alles anders. Als wir 2013 angefangen haben, dachten wir, 2014 haben wir die Rösterei und alles. Das hat aber wesentlich länger gebraucht. Du hängst permanent in einer Schleife zwischen Vertrauen und Zweifeln.

Von der ersten Idee bis zur Eröffnung der Kaffeerösterei sind drei Jahre vergangen und Sie haben noch lange nicht alle Pläne umgesetzt. Frustriert es Sie, dass das Ganze so lang braucht?
Maier: Nein, im Gegenteil. Das amüsiert mich. Wir haben ja alles exakt geplant: Projektplan, Aktivitätenplan, Excellisten – damit kannst du Häuser tapezieren. Da steht alles drin und du denkst, alles ist ganz einfach. Aber kauf mal schnell einen Etikettendrucker – das dauert in der Realität ewig.

… es schafft innere Freiheit zu sagen, ich muss das gar nicht kaufen …

Christiane Maier auf der Theke sitzend in der Kaffeerösterei Vogelmaier. Hier ist die einstige Unternehmensberaterin ihr eigener Chef
Von der Unternehmensberaterin zur Röstereibesitzerin: Christiane Maier (Foto: Hauke Seyfarth)

Müssen Sie ohne geregeltes Einkommen auf etwas verzichten?
Maier: Dicke Autos fahren, Kleidung, Schuhe … Wenn ich früher neue Schuhe wollte, bin ich halt einkaufen gegangen. Irgendwann habe ich festgestellt, dass das meiste nur Kompensation war. Viel Arbeit, Stress, da hat man sich mit Konsumgütern belohnt. Aber das bringt keine Zufriedenheit, keine Glücksgefühle. Im Gegenteil, es schafft innere Freiheit zu sagen, ich muss das gar nicht kaufen, es macht mich nicht zu einem besseren Menschen.
Vogelgesang: Wir haben einen begehbaren Kleiderschrank. Das meiste davon ziehe ich gar nicht an. Also muss ich das meiste gar nicht haben. Das zu verstehen, ist ein schönes Gefühl.

Und Sie vermissen gar nichts?
Vogelgesang: Was mir schon fehlt, ist der Sport. Daran ist momentan nicht zu denken.

Würden Sie alles wieder so machen?
Maier: Ja, allein um die Erfahrung zu machen. Es geht ja auch darum, so ein Projekt durchzuziehen, mit all seinen Konsequenzen, rauszukommen aus diesem Ich-würde-ja-gerne-aber-ich-kann-nicht. Man baut sich immer so viele Argumente auf, warum man Dinge nicht macht. Es gibt nichts Schlimmeres, als mit 75 dazustehen und zu jammern: „Ach hätte ich mal meinen Lebenstraum erfüllt.“ Das kann’s nicht sein. Also einfach mal machen und dann schauen, wie es sich anfühlt.


Das Interview fand in der Kaffeerösterei VogelMaier statt, auf den Tag genau drei Monate nach der Eröffnung. Im vorderen Café-Bereich, eingerichtet mit viel Holz im alpinen Stil, gibt es Kaffeeklassiker wie Espresso und Cappuccino, aber auch Filterkaffee sowie Süßes und Salziges zum Essen. Im hinteren Bereich stehen mit Rohkaffee gefüllte Jutesäcke und die schwarz-silberne Röstmaschine. Während des Interviews entschuldigt sich Christiane Maier für ein paar Minuten, sie muss Kunden beim Kaffeekauf beraten. Der persönliche Kontakt zu den Kunden ist ihr und ihrem Mann besonders wichtig. Hier können sie ihre Begeisterung für Kaffee weitergeben und leben. Mehr übers Kaffeerösten und über die Reisen von Stefan Vogelgesang und Christiane Maier können Sie hier lesen: Beruf Kaffeeröster. Jeder Kaffee hat seine Geschichte

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