Vorbereitungskurse sucht man vergebens
Was ist das erste Indiz dafür, dass auch die eigenen Eltern altern? Auf den gutgemeinten Rat meiner Cousine an meinen Onkel, über ein Hörgerät nachzudenken, antwortete meine Tante: „Er braucht keins, ich verstehe ihn sehr gut“. Geklingelt hat es bei mir, als plötzlich die Apothekenumschau, auch Rentner-Bravo genannt, in mein Elternhaus einzog und die „Brigitte“ ersetzte. Artikel über Osteoporose, Hörgeräte und den LIFTA Treppenlift lagen auf meinem Bett mit dem Vermerk: Lesenswert auch für dich!
Wie bitte? Ich bin doch noch ein Mädchen, dachte ich beleidigt und verschob die Gedanken ans Älterwerden in meine hinterste Gehirnschublade. Oder als mein Vater, der alterslose Held meiner Kindheit, mir erklärte, er habe seine Beerdigung minutiös geplant und wolle mich nun die Tage dem Bestatter seines Vertrauens vorstellen. Als ich meiner Mutter von Vaters Begräbnisplänen erzählte, fragte sie entrüstet: „Und was ist mit mir, wo liege ich dann?“
Ich sagte: „Mama, darum kümmern wir uns, wenn es soweit ist.“ Ich war in meinem Leben erst auf zwei Beerdigungen. Jedes Mal, wenn nur das Thema aufkommt, läuft es mir kalt den Rücken herunter. Seltsam, dass dennoch zwei meiner Lieblingsfilme „Sterben für Anfänger“ und „Harold und Maude“ sind. Aber vielleicht hatte das Ganze auch etwas Gutes und ich könnte meinen Vater dazu bringen, einen Passus bezüglich der Kleiderordnung mitaufzunehmen.
Aber bitte mit Farbe!
Bei der Vorstellung, dass mir eine Traube von schwarzgewandeten Menschen mit betretenen Mienen die Hand schüttelt, wird mir ganz anders. Farbige Kleidung könnte da Abhilfe schaffen und dem Ganzen etwas an Leichtigkeit geben. Möglicherweise ist es aber auch ein Grund zu feiern, zumindest für den Verstorbenen. Wenn man Nahtoderfahrungen glauben mag, ist hinter dem weißen Vorhang alles viel schöner. Schließlich sollte man auch gönnen können.
Glücklicherweise ist es noch nicht soweit und ich beschließe alles mehr mit Humor zu nehmen. Auch die neuen Essgewohnheiten meiner Eltern. Nicht nur, dass das Abendessen nun spätestens um 17 Uhr eingenommen wird, auch die Geschmacksknospen von Mama und Papa erkenne ich nicht wieder.
Schnitzel mit Pommes? Schon werde ich ausgelacht. „Da gehört Kartoffelsalat dazu“, sagt meine Mutter. Selbiger wird die Woche drauf durch Kartoffelbrei ersetzt, angereichert mit Ketchup und einem Topping aus Röstzwiebeln.
Schlemmen – ja bitte!
Im Kühlschrank blockiert eine überdimensionierte Stracciatella-Torte von Coppenrath und Wiese, vom Papa gekauft, das mittlere Fach. Die Kalorienbombe liegt aufgetaut dort bereits seit zwei Wochen mit dem Packungsvermerk, sie „spätestens am nächsten Tag zu verzehren“. Ich sollte noch erwähnen, dass mein Vater, seit ich ein pummeliger Teenager war, akribisch auf Zucker, das Gelbe vom Ei und Butter verzichtete.
Auf die zehn Kilometer lange tägliche Joggingstrecke bei Wind und Wetter folgte stets sein Satz: „Man muss seinen inneren Schweinehund überwinden!“ Das ist doch ein ermutigender Aufruf, sich einen Kurs zum Thema „Wie gehe ich mit meinen Eltern im Alter um?“ zu wünschen. Das ist doch das Mindeste. Schließlich haben sie uns auf die Welt gebracht und ins Leben begleitet.
Weitere Beiträge der Autorin im Magazin:
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