„Heute arbeite ich in der Bäckerei“, überlegt Lea, während sie am Frühstückstisch in ihre Brezel beißt und einen Schluck Wasser trinkt. „Oder vielleicht doch lieber als Polizistin?“ Gleich wird sie zusammen mit ihrem Papa in die U-Bahn steigen und in ihren Arbeitstag in Mini-München starten. „Ich mache einfach beides,“ ruft sie erleichtert, während sie sich die gelbe Regenjacke und die rosafarbenen Turnschuhe anzieht.
Lea ist 7 Jahre alt und wird heute mit 2000 anderen Münchner Kindern zur Arbeit gehen. Vielleicht sogar den ganzen Tag lang – und das für die nächsten drei Wochen. Sie wird ihr eigenes Geld verdienen und danach überlegen, was sie sich davon leisten möchte. Kleidung, Spielzeug oder doch lieber einen Besuch in der „Fetten Sau“? Das ist das Gasthaus der Stadt. Auch hier schnippeln, rühren, servieren und kassieren die Kinder selbst. MiMü heißt die Währung. 5 MiMü in der Stunde verdienen sie – egal, in welchem Beruf sie arbeiten. Einer davon geht als Steuer an die Stadt. Kinderarbeit in München? Mitten in Europa?

Mini-München: 45-jähriges Jubiläum
Seit 45 Jahren gestalten junge MünchnerInnen nach ihren Vorstellungen und nach von ihnen aufgestellten Regeln ihre eigene Miniaturstadt. Alle zwei Jahre verwandelt sich in den Sommerferien ein Areal in der Stadt in eine Spielwelt, die nach dem Vorbild einer echten Stadt funktioniert. Die Regeln sind einfach: Mitmachen kann jeder zwischen sieben und fünfzehn Jahren, ohne Anmeldung. Die Teilnahme ist für alle kostenlos, um kein Kind auszuschließen. Bezahlt wird in der Spielstadt nur mit selbstverdientem Geld.
Die Spielstadt: Viele Möglichkeiten für Kinder
Die jungen Städter schlüpfen in unterschiedlichste Rollen und gehen einer Arbeit nach, die sie selbst auswählen. Bäcker, Schauspieler, Polizist, Designer, Taxifahrer, Journalist – wie im echten Leben haben sie die Qual der Wahl. Sie können angestellt sein, Unternehmen gründen, Produkte entwickeln, Waren verkaufen und politische Entscheidungen treffen.
Spielerisch erleben sie miteinander abstrakte Konstrukte wie Wirtschaft und Politik. Es gibt Versammlungen, Abstimmungen und jede Menge Möglichkeiten, sich einzubringen und eigene Ideen zu verwirklichen. Und wenn die jungen MünchnerInnen nicht gerade dabei sind zu arbeiten und ihre Stadt zu regieren, können sie bei Theateraufführungen mitwirken, Konzerte anhören, sich an der Cocktailbar treffen oder sich in Workshops kreativ austoben. So lernen sie ganz nebenbei, wie wichtig Zusammenarbeit, Kreativität und Engagement sind.

Einmal Mini-München – immer Mini-München
Für viele der ehemaligen TeilnehmerInnen gilt der Grundsatz: Einmal Mini-München – Immer Mini-München. Auch, wenn die Spielstadt ihre Türen nur alle zwei Jahre für drei Wochen in den Sommerferien öffnet, ist Mini-München in den Köpfen der Kinder präsent: Bereits ein Jahr vor Spielstart starten die Vorbereitungen. Kinder und Jugendliche treffen sich in offenen Werkstätten und Gruppenangeboten. Dort werden die Ideen zur Stadtgestaltung lebendig. Wenn sie Hilfe brauchen, laden sie erwachsene MünchnerInnen ein, ihnen bei der Umsetzung behilflich zu sein. Es erfordert eine Menge Planung, bis die Spielstadt in Fröttmaning und an unterschiedlichen Plätzen in München stattfinden kann. Vieles wird vorab fleißig geplant und umgesetzt: Ein Mini-München-Restaurantführer, ein PopUp-Cafe auf dem Gelände des alten Gasteigs und Durchsagen an der zentralen U-Bahn Haltestelle in Fröttmaning.

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