Wie klingt eine Praline namens Emelie?

Von der Kakaobohne zur Komposition

Geschäftiges Treiben herrscht hinter der Glasscheibe im Café von Chocolatier und Patissier Andreas Muschler in Freising. Die Ostervorbereitungen laufen auf Hochtouren.

Schokoladen-Osterhasen in der Produktion
Schokoladen-Osterhasen in der Produktion Foto: Daniela Christ

In einem großen Edelstahlkessel wird Schokolade geschmolzen. Yoojin Boo, die Chef Patissière aus Andreas Team, gibt den Schokohasen den letzten Schliff. Die mit Nougat und Haselnuss gefüllten Langohren aus feinster Schokolade hüllt Jean mit der Spritzpistole in einen Nebel aus Kakaobutter und Schokolade. „Dadurch zergeht die Osterköstlichkeit später auf der Zunge und gibt ihr einen samtigen Schmelz“, erklärt Andreas.

Chefpatissier Yoojn Boo bei der Arbeit

Geschmacksnoten, die in Erinnerung bleiben

Wer sich im Café von Andreas Muschler eine Auszeit gönnt oder ein süßes Geschenk erwerben möchte, hat die Qual der Wahl. Man möchte einfach alles probieren, was dort in der Auslage präsentiert wird. Tartes und Törtchen, Macarons und seine mehrfach prämierten Pralinen sind geschmackliche Meisterwerke, die man nie mehr vergisst.

Eine davon ist die Praline „Emelie“. Wie alle Pralinen von Andreas Muschler hat sie eine Persönlichkeit, einen Namen und wie acht seiner preisgekrönten Pralinen sogar ein eigenes Jazzstück. Doch wie entsteht ein solches Kunstwerk?

Nach Reinheitsgebot: Handgemacht vom Feinsten

Der Herstellungsprozess je Sorte dauert etwa vier Tage. Er beginnt mit dem Kochen der Ganache. Die Ganache ist eine köstliche Masse aus Sahne, Schokolade, Glucose, und Butterreinfett. „Je nach Pralinenkreation kombinieren wir fertige Fruchtpürees und die eine oder andere Zutat zum Abschmecken, eine Art ungeschriebenes Reinheitsgebot“, erklärt Andreas. Konservierungs- oder andere Zusatzstoffe sind tabu.

Die typische Form seiner Pralinen ist rechteckig. Die gekochte Ganache wird in Rahmen gefüllt und darf sich im Reifeschrank 24 Stunden ausruhen: Kristallisieren ist der Fachbegriff dafür. Das geschieht bei 18 Grad, der optimalen Temperatur für den perfekten Geschmack, damit die Praline später auf der Zunge zergeht. Dann wird von Hand auf beide Seiten eine dünne Schicht Schokolade aufgetragen. „Bödeln“ heißt das in der Fachsprache. [G1] 

Die Harfe bringt die Form

Die gleichmäßige Form erhält die Muschler Praline durch den Schnitt mit der Harfe. Die Guitar, so der französische Begriff, ist ein Rahmen, in den wie bei einem Musikinstrument Saiten gespannt sind. Ein deutsches Fabrikat, und von der Qualität und Handhabung am besten, lobt Andreas das Gerät.

Andreas Muschler mit der Harfe
Andreas Muschler mit der Harfe Foto: Daniela Christ



„Das ist eines der wichtigsten Werkzeuge für unser Handwerk neben dem Mixer und der Temperier-Maschine“, erklärt Andreas Muschler. Diese Maschine sorgt für eine gleichbleibende Temperatur der Schokolade während der Verarbeitung.

Muschlers Pralinen machen Geniesser süchtig

Handgemachte Pralinen sind ebenso frische Produkte wie andere Lebensmittel auch. „Sie müssen nicht drei oder vier Monate haltbar sein. Nach dem Kauf hat man bei uns drei Wochen optimale Genusszeit“, beschreibt Andreas seine Produkte.

Für Pralinen wie „Emelie“ verwendet er nur Spitzenschokolade. Wichtig für die Qualität einer Schokolade ist neben dem Anbaugebiet der sogenannte Conchier Prozess: Wie lange und wie fein eine Schokolade gewalzt wird, ist später ausschlaggebend für Geschmack, Schmelz und Wert. „Man kann sich verlieren in der Vielfalt der Schokoladen und ihren individuellen geschmacklichen Nuancen“, sagt Andreas.

Schokolade-Temperiermaschine in der Patisserie
Schokolade-Temperiermaschine in der Patisserie Foto: Daniela Christ

Für seine Ganache Pralinen  verwende er acht unterschiedliche Schokoladesorten aus fairem, nachhaltigem Handel. Gerne mit einem Kakaoanteil von 65 Prozent, so ergibt sich ein ausgewogenes Geschmacksspiel zwischen Schokolade und Füllung. Er weiß genau, was es braucht, um die Harmonie einer Schokolade herauszuarbeiten und verrät: „Durch Zugabe von Lorbeer wird eine Schokolade, die von Natur aus Aromen getrockneter Zwetschgen mitbringt, noch runder und entfaltet ihr volles Genusspotential.“

Macarons und Wasabi im Törtchen

Prägend und inspirierend für den Patissier waren die vielen Jahre im Ausland, bei Demel in Wien und in Paris beim Chocolatier Rochoux. Vor allem beeindruckte und beeinflusste ihn die Pralinen- und Macarons-Manufaktur von Pierre Herme, dem „Godfather“ der französischen Patisserie. Er erinnert sich bis heute an den besonderen Duft, in den dort alles gehüllt war. Von der Pike auf die ganze Produktion mitzuerleben, zu sehen, wie dort gearbeitet wird, sei entscheidend für seine Entwicklung gewesen. Alles wird selber gemacht, er habe einmal drei Stunden Wasabi geschnitten, als Zutat für ein Törtchen.

Aprikose liebt Rosmarin

Ein guter Moment, um Ideen zu entwickeln, sei für ihn die Zeit vor dem Einschlafen. Da gehen gedanklich Zitrone und Mandel eine Liaison ein. „Aprikose flirtet mit Rosmarin, auch Bier und weiße Schokolade matchen großartig“, erzählt Andreas. Es sei ihm viel wichtiger, seinen Kunden ein gleichbleibend herausragendes Geschmackserlebnis zu bieten, als eine extreme Geschmacksvariation nach der anderen zu entwickeln.

Kreationen, die nicht nur den Geschmacksnerv seiner Kunden treffen, sondern auch die Jury der International Chocolat Awards (ICA) dazu veranlasst haben, Höchstnoten zu vergeben. Wie bei Emelie, dem Star in der Auslage. Emelie ist Schokolade pur und Andreas größter Stolz. „Sie hat in ihrer Schlichtheit Schokoladeexperten begeistert“, freut sich Andreas und stellt eine Variation seiner prämierten Meisterwerke auf den Tisch.

Abgesehen von ihrer rechteckigen Form zeichnen seine Bonbon Chocolat ein sehr dünner Schokolademantel sowie das besonders cremige Innere aus. „In Gegensatz dazu steht die Nougatpraline, die auch einen wunderbaren Schmelz hat, aber durch Nuss-Crunch etwas rustikaler wirkt“, beschreibt Andreas sein Sortiment.

Preisgekrönte Pralinen von Andreas Muschler in der Auslage
Preisgekrönte Pralinen von Andreas Muschler in der Auslage Foto: Daniela Christ

Mehr als drei Haselnüsse aus der Hallertau

Nüsse für den Nougat bezieht Andreas Muschler von Betrieben aus der Region. Es ist ihm ein Anliegen, die Produzenten vor Ort zu unterstützen und die Zusammenarbeit auszubauen. Beide Pralinenvarianten eint Schlichtheit und Klarheit im Inneren sowie im Äußeren. Muschler braucht keine wilden Farben und Formen im Dekor oder experimentelle Füllungen.  Den meisten Pralinen hat der Chocolatier klangvolle Namen wie Emelie, Mogador oder Simin gegeben. „Sie spiegeln deren Charakter wider in Bezug auf Geschmack, Konsistenz und die Herstellung. Manche Geschmäcker harmonisieren mit den Namen“, findet Andreas.

Haselnussbäume in der Hallertau
Haselnussbäume in der Hallertau Foto: Daniela Christ

Auf den Genuss folgt die Komposition

Dass der Geschmack seiner Pralinen in Melodie umgesetzt werden kann, hat auch Andreas Muschler überrascht. Der Drummer und Musiklehrer Roman Seehon wurde durchs Probieren der Pralinen dazu angeregt, acht von Andreas Award Pralinen in Kompositionen umzusetzen. Bisher kannte er von Muschlers Leckereien nur Kuchen und Törtchen. Die Pralinen von Muschler hatte ihm ein Musikschüler geschenkt.

Roman Seehon mit Tochter in Freising
Roman Seehon mit Tochter Foto: Daniela Christ

„Ich saß zufällig am Klavier und genoss die erste Praline. Es war wie ein geschmacklicher Orgasmus“, erinnert sich Roman Seehon. „Ich bemerkte, dass mich der Geschmack der Praline im Spielen beeinflusste. Sofort bekam ich Lust, Musik zu machen, meine Finger liefen wie von selbst über die Tasten und die Klänge wurden zur Melodie“, beschreibt der Drummer den Entstehungsprozess seiner neuen Kompositionen. „Der eigentliche Akt der Kreativität, die Idee, passiert in Sekunden, wie eine Explosion. Alles, was danach kommt, sind Arbeit und Erfahrung.“

Von der Karibik in den Orient

Nach und nach probierte er sich durchs prämierte Sortiment. Weitere sieben Köstlichkeiten bekamen ein eigenes Musikstück zugedacht. Er habe die Tonstücke, beeinflusst durch viele Stationen seines Lebens, unbewusst weltmusikalisch angelegt. Zu jeder Praline fand er eine individuelle Klangaffinität.

Angeregt durch die Beschreibung der Award Pralinen im Exposé wollte Seehon deren Persönlichkeit durch stimmige Melodien abbilden. Ihre individuelle Note sollte in den Kompositionen zu hören sein. Während die Praline Choco den Musiker zu karibischen Klängen inspiriert, entführt Almera den Zuhörer durch Gewürznoten wie Kardamon in den Orient. „Bei den Titeln war das einfach“, erzählt er, „denn da übernahm ich gleich die Pralinennamen“.

Roman Seehon und Tochter im Gespräch mit Daniela Christ
Roman Seehon und Tochter im Gespräch mit Daniela Christ Foto: Daniela Christ

Als die Stücke fertig waren, verabredete er sich mit Andreas Muschler und stellte ihm seine Melange aus Musik und Schokolade vor. „Ich war gespannt auf seine Meinung, und ob er seine Kreationen in meinen Kompositionen wiedererkennen würde“, erzählt der Tonkünstler. Andreas war sofort begeistert und die gemeinsame Idee zum „Event für alle Sinne“ in Gestalt des Jazz and Chocolate Konzerts war geboren.

Weitere Beiträge der Autorin im Magazin:

Ökologischer Hopfenanbau: Wie gelingt der Wandel in Bayern?
https://www.journalistenakademie.de/dossiers/in-bewegung/walter-koenig-im-interview-oekologischer-hopfenanbau/

Von der Marienkäferzucht zum Papst für Hopfenforschung
https://www.journalistenakademie.de/dossiers/in-bewegung/von-der-marienkaeferzucht-zum-papst-fuer-hopfenanbau/

Hopfenanbau in der Hallertau
https://www.journalistenakademie.de/dossiers/in-bewegung/hopfen-in-der-hallertau/

Interview zum Thema Upcycling mit Alexandra von Biron
https://www.journalistenakademie.de/dossiers/in-bewegung/interview-zum-thema-upcycling-mit-alexandra-von-biron/

Der Podcast “50 über 50” – Für Frauen in der Lebensmitte
https://www.journalistenakademie.de/dossiers/in-bewegung/50-ueber-50-fuer-frauen-in-der-lebensmitte-ein-podcast/

Wenn Eltern älter werden: Eine schwere Geburt
https://www.journalistenakademie.de/dossiers/in-bewegung/wenn-eltern-aelter-werden-eine-schwere-geburt/


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