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Fake Eyes – noch nie bin ich so schön getäuscht worden
Fiktive Welten

Fake Eyes – noch nie bin ich so schön getäuscht worden

Die Kunsthalle München widmet sich in ihrer aktuellen Ausstellung der Kunst, die Menschen täuschen und in die Irre führen soll. Darunter sind nicht nur Gemälde und Fälschungen, sondern auch Virtual-Reality-Erlebnisse

Die Tür öffnet sich und ich blicke in eine 160 Meter tiefe Hochhausschlucht. Ich drohe abzustürzen und trete panisch zurück in den Fahrstuhl.
Meine innerliche Achterbahnfahrt der Gefühle ist das Virtual Reality-Kunstwerk von Richie Plank aus dem Jahr 2017. Ich bekomme eine VR-Brille aufgesetzt mitsamt Verkabelung am Hinterkopf, die zu einem Computerterminal führt. Ein wenig fühle ich mich wie ein von den Borg assimilierter Mensch, der mit einer Maschine an der Wand verbunden ist. Ich steige in einen Aufzug und fahre hoch. Sehr hoch. Bis in den 80.Stock.
Die Tür öffnet sich und ich blicke wie gesagt in eine Hochhausschlucht. Meine Herausforderung besteht darin, auf eine Holzplanke, die tatsächlich auf dem Boden des Museums liegt, zu treten und den Fahrstuhl zu verlassen. Nicht nur das, ich kann zwei Meter über der Schlucht hinweg auf der Planke laufen. Ich trete heraus, auf die knarzende und leicht wackelige Planke, bewege mich aber nur mit Mäuseschritten auf ihr entlang. Die Aussicht und das Schwindelgefühl sind so überwältigend, das ich richtig Angst bekomme, in die Tiefe zu stürzen und unten aufzuschlagen. Mein Arm fühlt sich kühl an, wie es in solch einer Höhe zu erwarten ist. Ein Ventilator neben mir sorgt für die eisige Höhenluft.
Ich wage es nicht, ins Leere zu treten, sondern gehe rückwärts in den Fahrstuhl und schaue mir meine Umgebung aus der sicher wirkenden Kabine heraus an. Eine Stimme fragt mich, ob ich genug habe und ich brülle fast, JA! Der Fahrstuhl fährt mich nach unten, man nimmt mir die Brille ab und ich bin durcheinander. Mir ist übel, und ich muss mich erst einmal setzen. Ich beobachte von meiner Sitzbank die anderen Besucher und bin erleichtert, dass jeder auf die Illusion hereinfällt. Eine ältere Dame kommt ohne Hilfe nicht mehr von dem Brett herunter und muss vom technischen Mitarbeiter gerettet werden.

Sobald man die Stufen zur Kunsthalle München hinaufsteigt, muss man seine Furcht überwinden und durch ein menschliches Auge treten. Obwohl ich weiß, dass ich ab jetzt nur noch getäuscht und betrogen werde, schaffe ich es kaum, mein Gehirn zu überzeugen, dass das, was ich sehe, nun nicht mehr der Realität entspricht. Am Anfang gelingt mir das noch ganz gut.
Über einer Tür steht „SEHEN IST GLAUBEN“. Nein, das möchte ich lieber nicht. Ich bin gespannt, was im nächsten Raum auf mich wartet.

Oliver Hering, Wade 1, 2006. Digitale C-Prints; Besitz des Künstlers

Kein Flitzer Namens Wade

Ich renne fast einen nackten Mann um. Zum Glück handelt es sich nicht um einen Flitzer, sondern um ein Kunstwerk von Oliver Hering. Er hat aus hunderten von Fotos, die er systematisch in mehreren Sitzungen von einem Model Namens Wade fotografiert hat, einen neuen Körper erschaffen. Ausgedruckt und in Einzelzeile zerschnitten übertrug der Künstler den systematisch abfotografierten Körper dann wieder vom Zwei- ins Dreidimensionale. So steht er nun stumm und starr vor einem.

Eine alte Kunst

Das schwindelerregende VR-Erlebnis Richie’s Plank Experience ist Teil der Ausstellung ‚Lust der Täuschung‘, die am 17. August 2018 eröffnet wurde. Sie soll die Welt der kunstvollen Illusionen, Maskeraden und Fakes vorstellen. Denn: „Schon immer haben Künstler versucht, die Betrachter in die Irre zu führen, mit ihrer Wahrnehmung zu spielen und haben daran ihre Freude gefunden“, sagt Kuratorin Franziska Stöhr. „Aber auch die Betrachter haben Spaß daran. Eine gute Täuschung kann überraschen und verblüffen. Sie kann einen Zuschauer auch verführen, sich überzeugen zu wollen, ob und was er vor sich hat.“
Die Kunsthalle hat für die Ausstellung rund 90 Exponate aus Malerei, Skulptur, Videokunst und Architektur, Objekte aus Design und Mode sowie interaktive Virtual-Reality-Arbeiten zusammengetragen. Das älteste, eine sogenannte Scheintür, ist aus Ägypten aus der Zeit des Alten Reichs und ungefähr um 2400.v.Chr datiert. Viele der Werke sind vergleichsweise klassische und analoge Illusionen. Darunter der von Claude Mellan geschaffene Kupferstich Schweißtuch der Veronika, der das Gesicht Jesus Christi zeigen soll. Und eine gelungene Relief-Fotografie von Vincent van Goghs „Das Schlafzimmer“ und eine weitere Kopie, die eine chinesische Fabrik für Malerei für wenige Euro angefertigt hat.
Täuschend alltäglich wirkt der Wartezimmertisch „Quodlibet LVI von Lucy McKenzie. Sie hat verschiedene Magazintitel auf Leinwand übertragen und diese wiederum auf einem Tischgestell ausgebreitet, so dass es aussieht, als lägen wirklich Magazine auf dem Tisch. Irritierend erscheint hingegen das Selbstportrait von John De Andreas, für das er sich und ein nacktes Model in Lebensgröße als Skulpturen nachgebildet hat, und ein Schrank von Ferruccio Laviani, der Bildstörung-artige Schlieren zeigt, wie man sie von Videobändern kennt. Jeder Raum ist eine Offenbarung und es macht Spaß sich täuschen und verwirren zu lassen. Es ist ratsam sich einer Führung anzuschließen. Die Hintergrundinformationen, die man dabei erhält, sind genauso spannend wie die Werke selbst.

Lust der Täuschung. Von antiker Kunst bis Virtual Reality. In der Kunsthalle München; bis zum 13. Januar 2019. Der Katalog kostet 39,90 Euro.

Ausstellungskatalog

Header-Bild: Hans Peter Reuter – Kachelraum ohne Ding 1976


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