Interview mit Martha Eber

Stellvertretende Leitung der Telefonseelsorge

 

„Einfach da sein, wenn ich gebraucht werde“

Wenn Sie auf Ihre Arbeit zurückblicken: Wie hat sich die Telefonseelsorge im Laufe der Zeit weiterentwickelt?
Immer mehr Menschen nutzen das Online-Beratungsangebot der Telefonseelsorge. Dieser Nachfrage wollen wir mit Zusatzausbildungen der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Mail- und Chat-Seelsorge Rechnung tragen. Vor allem die jüngere Generation interessiert sich für die digitale Form der Seelsorge. Dies scheint für viele ein niedrigschwelliges Angebot zu sein. Viele bringen ihr Leid auf schriftlichem Weg zum ersten Mal zur Sprache.

Was hat Sie persönlich dazu bewogen, sich am Telefon für Menschen in Not und Krisensituationen einzusetzen?
Ich möchte seit jeher nah am Menschen sein, mich berühren lassen, nicht wegschauen – kurz: einfach da sein, wenn ich gebraucht werde. Am Telefon und in der Mail-Seelsorge bin ich näher an der Lebenswirklichkeit von Menschen und begegne ihnen auf Augenhöhe. Genauso geht es mir in der Arbeit mit ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Das heißt für mich, die Ressourcen im Anderen zu entdecken und ihm bewusst zu machen. Es bedeutet aber auch, zu den eigenen Grenzen zu stehen und die Verantwortung des Anderen bei ihm zu belassen. Im Miteinander liegt das eigentliche Lern- und Entwicklungspotential, das in der Telefonseelsorge von großer Bedeutung ist.

Welche Voraussetzungen müssen Ehrenamtliche in der Telefonseelsorge mitbringen?
Krisenerfahren und krisenbewährt sollten sie sein. Zudem brauchen sie die Fähigkeit, für sich selbst zu sorgen. Wichtig ist, sich empathisch in die Lebenswelt eines Anrufenden einfühlen und gleichzeitig die nötige Distanz wahren zu können. Wer in der Telefonseelsorge berät, sollte wirklich gut zuhören können und mit einem warmen Herzen beim Gegenüber und bei sich selbst sein. Es braucht die Bereitschaft, zu sich zu stehen und sich infrage stellen zu lassen. Das bedeutet auch, sich auf eine persönliche Weiterentwicklung einzulassen. Alles Weitere bringen die über einjährige Ausbildung, die Supervisionen, die Fortbildungen und die Erfahrung mit sich.

Was sind Ihre Strategien in der Krisenintervention?
Eine konkrete Beziehung ist immer das Beste, das wir bieten können. In einer Krise dem Anderen das Gefühl zu geben, dass jemand für ihn da ist. Eine Person, die sich voll und ganz auf die Situation einlässt, die sich einfühlt und dabei einen klaren Kopf behält. Dass der betroffene Mensch in einer akuten Krise für den Augenblick oder eine Weile seine volle Handlungsfähigkeit verliert, ist eine ganz normale Reaktion auf außerordentlich belastende Situationen. Dies mache ich dem Ratsuchenden immer wieder bewusst, der von sich selber glaubt, nicht mehr ganz Herr seiner selbst zu sein. Im Gespräch lege ich durch gezielte Fragen den Fokus auf das Hier und Jetzt und lenke seine Aufmerksamkeit auf die verbliebenen Potentiale. Ich mache ihm bewusst, dass er als Ratsuchender noch so entscheidungsstark war, zum Hörer zu greifen und anzurufen. Ich überlege dann mit ihm den nächsten Schritt, der gegangen werden kann.

Welche Rolle spielen die sozialen Netzwerke in der Telefonseelsorge?
Die Telefonseelsorge versteht sich, zusammen mit Mail- und Chatseelsorge, als ein Angebot, in dem Verschwiegenheit und Anonymität eine zentrale Rolle spielen. Die sozialen Netzwerke wie WhatsApp, Instagram und Facebook bieten hierfür nicht den geeigneten Rahmen. Aber die Bundesstelle der Telefonseelsorge ist trotzdem auf Facebook vertreten. Hier kommt es vor, dass Ratsuchende ihre Erfahrungen mit der Telefonseelsorge teilen, indem sie einen Dank oder eine Beschwerde formulieren.

Welche besonderen Probleme und Fragen thematisieren jungen Menschen?
Junge Menschen rufen vor allem dann an, wenn sie sich in scheinbar ausweglosen Situationen befinden. Themenfelder wie Gewalterfahrungen, selbstverletzendes Verhalten oder Suizidgedanken begegnen uns vor allem über den Chat und die Mailseelsorge. Aber auch familiäre Beziehungen, Freundschaften, Liebeskummer sind wichtige Themen. Auffallend ist, dass sich zunehmend junge Menschen an die Telefonseelsorge wenden, weil sie im Studium oder in der Ausbildung enormen Leistungsdruck erleben.

 

Porträt Martha Eber

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