Der Reptilien-Experte Markus Baur spricht über heimische Schlangen, artgerechte Exoten-Haltung und warum Affen keine Schmusetiere sind. Der Fachtierarzt leitet die Reptilienauffangstation München e.V. (RAS), eine der größten und bekanntesten ihrer Art in Deutschland. Durchschnittlich 1300 exotische Reptilien, Amphibien und Säugetiere leben hier auf drei Standorte verteilt. Viele von ihnen können nicht vermittelt werden, weil sie zu krank, zu gefährlich oder zu hässlich sind. Vereinsmitglieder, Ehrenamtliche sowie Experten kümmern sich um die „ungeliebten“ Exoten. Mit ihrem Motto „Wissen schützt Tiere“ verschreibt sich die RAS der Aufklärung rund um Tier- und Artenschutz

Markus Baur, der Leiter der Reptiliensation München, im schwarzen Pulli, die langen Haare zum Zopf gebunden,

Markus Baur: Leiter der Reptilienauffangstion München e.V. (Foto: RAS)

Herr Dr. Baur, was sind das für Menschen, die Reptilien, Amphibien und andere Exoten halten?
Ganz normale, durchschnittliche Leute – auch wenn ich eher der Typ „langhaariger Bombenleger“ bin. Leider ist unser Ruf in der Gesellschaft so schlecht wie der von Zuhältern. Viele denken, der Exoten-Halter ist ein unterbemittelter Tätowierter, der sich keinen Bullterrier leisten kann. Aber der ist genauso ein Ausreißer, wie die 75-jährige Dame, die Heuschrecken züchtet. Zu uns kommen Hausfrauen und Anzugträger. Menschen, die bei der Bank oder im Handwerksbetrieb arbeiten. Junge und Alte.

Aber zum Kuscheln sind diese Tiere nicht gerade geeignet …
Wenn Sie Reptilien, Amphibien und Fische halten, ist die Liebesbeziehung natürlich einseitig. Man kann sie nur bis zur Glasscheibe ausleben. Diese Tiere wollen nicht angefasst oder rumgetragen werden. Sie müssen sich da ein bisschen reinversetzen. Für den Frosch, den ich greife, bin ich die Ringelnatter oder der Greifvogel. Der hat Todesangst. Eine Schildkröte, die ich auf Händen trage, hat keine Bodenhaftung und sie ist ein Tier, das nur am Boden lebt. Dass sie Panik kriegt, ist völlig klar. Wenn Sie ein Kaninchen allein halten oder einen Kanarienvogel einsperren und vor den Spiegel hängen, damit er schön trällert, ist das ebenso eine Tortur. Darüber muss man sich im Klaren sein. Es gibt gar nicht so viele Unterschiede.

Werden die Käufer dieser Tiere nicht auch falsch beraten?
Zumindest war das früher so. Wenn Sie in ein Zoogeschäft gingen und ein Zwei-Euro-Stück großes Schildkröten-Baby gekauft haben, dann gab es eine Plastikschüssel mit Inselchen dazu. Das war realistisch, weil 90 Prozent der Tiere in den ersten sechs Monaten starben. Aber wenn so eine Schildkröte überlebt, ist sie irgendwann so groß wie eine Salatschüssel. Sie kann sich in ihrem 60-Zentimeter-Aquarium nicht mehr umdrehen. Oder, noch ein Beispiel, der Leguan weiß in seinem Ein-Meter-Terrarium nicht mehr, wie er den Schwanz einrollen soll.

Markus Baur, der Leiter der Reptilienauffangstation München, hat ein grünes Chamäleon auf dem rechten Arm und zeigt es Kindern

Kinderführung in der Auffangstation: Baur zeigt ein Chamäleon (Foto: RAS)

Gegen diese Art der Tierhaltung kämpfen Sie an, klären auf und informieren …
Da hat sich vieles sehr positiv verändert – auch dank unserer Arbeit und wegen des Einsatzes der Tierhalterverbände. Über viele, viele Jahre haben wir jede Veranstaltung genutzt, um Vorträge zu halten. Da ging es um Ernährung, Unterbringung, Vergesellschaftung, um Beschäftigung, um Gehege-Strukturierung bis hin zu Antworten auf Fragen wie „Was kann passieren, wenn mein Schlafhäuschen über der Schildkröte zusammenbricht?“ Da haben wir viel erreicht. Insbesondere bei den damals noch vorherrschenden, engagierten Terrarianern – Familien zum Beispiel, die zehn Schildkröten hielten. Oder Haltern von Riesenschlangen mit fünf, sechs oder sieben Pythons, die alle in der Wohnung lebten. Und das hervorragend.

Warum sprechen Sie in der Vergangenheit, ist heute nicht alles besser?
Das ist leider wieder gekippt. Die Terrarianer werden alt, sterben aus und der Nachwuchs fehlt. Diese engagierten Tierhalter haben ihr Hobby mit Leib und Seele gelebt. Was jetzt nachkommt ist Laufkundschaft: Menschen, die im Gartencenter eine coole Echse sehen und sie kaufen. Die auf Tierbörsen gehen und sich gar nicht informieren wollen. Man wirft den Börsenbetreibern so ein Wühlkisten-Sommerschluss-Verkaufsszenario vor, weil da viele Menschen kaufen. Das liegt aber nicht an Züchtern oder Händlern, das liegt an den Kunden. Das sehen wir hier auch: Viele Leute wollen nicht beraten werden. Die wollen die alten Fehler machen, weil das einfacher ist.

Und deren Tiere landen dann irgendwann bei Ihnen?
Wir haben Dauergäste, die kamen zu uns, nachdem sie eine Zeit lang im Trend lagen: Als die „Ninja-Turtles“ liefen, wollten Kinder Schildkröten haben, und ein Jahr später wollten sie die nicht mehr. Als „Jurassic-Park“ lief, boomten Leguane. Was der Markt anbietet, wird auch gekauft. Somit haben wir Wellen von Leguanen oder mal einen Riesenschlangen-Boom. Das ist leider so.

Sie halten also nichts von Wildtieren in Menschenhand?
Doch, sehr viel! Wir sind diejenigen, die sich mit dieser Meinung bewusst zwischen alle Stühle setzen. Ich finde, es gibt aus wissenschaftlicher Sicht, also biologischer, ethologischer, tiermedizinischer Sicht, keinen Unterschied zwischen Tashi, unserem Hund hier, und meiner Mangroven-Nachtbaumnatter. Die Bedürfnisse von Tieren sind durch Domestikation nicht weg. Also kann ich da nicht unterscheiden. Doch das wollen wir nicht hören. Denn dann reden wir auch über Hühner, Schweine und Rinder. Oder über Turnierpferde und Schoßhunde, denen es oft viel schlechter geht. Es ist durch nichts zu belegen, dass ein Wildtier weniger gut haltbar wäre, als ein Heimtier.

Gilt das auch für Affen? Sie haben ja einige Weißbüschel in Ihrer Obhut.

Affen sind keine niedlichen Schmusetiere, auch wenn sie so ausschauen. Und da sehe in eine Mode, die bedenklich ist. Diese Tiere gehören nicht in den Handel, nur in ganz gewissenhafte, erfahrene Hände. Deswegen fordern wir für jedes Tier, egal ob Goldhamster oder Affe, einen verpflichtenden Sachkundenachweis, wie ihn das Tierschutzgesetz eigentlich vorschreibt. Wobei ich trotzdem der Überzeugung bin: Wer das Wissen hat, das Geld, die Ausdauer und den Platz, kann unsere Weißbüschel-Äffchen ohne weiteres so pflegen, dass die Tiere nicht unglücklich sind.

Ein Weißbüscheläffchen sitzt in einem Weidenkorb

Süß, aber bissig: Weißbüschel-Äffchen

Ich kann mir also einen Affen halten …
Es ist mach- und umsetzbar. Wir haben heute die technischen und baulichen Möglichkeiten, auch was die Ernährung und das Wissen über die Beschäftigung angeht, so ein Äffchen artgemäß zu pflegen. Nur kann das nicht jeder!

Was brauche ich für eine artgemäße Affen-Haltung?
Sie sollten bereit sein, Ihr Haus, nicht nur Ihr Wohnzimmer, ganzjährig auf 28 Grad zu beheizen. Dazu eine Luftfeuchte von 80 Prozent einhalten und den Gestank eines 30 Jahre alten Wirtshausklos aushalten. Einfach deshalb, weil Äffchen überall hinpinkeln, hinkacken, und weil sie ihr Futter durch die Gegend schmeißen. Wenn Sie dann alles mit einem halben Meter Erde auffüllen, Pflanzen setzen und Kakerlaken laufen lassen – die essen Affen gern -, ein großes, gut ausgestattetes Freigehege basteln, dann können wir darüber reden. Aber reden Sie vorher noch mit Ihrem Hausarzt, ob er Sie regelmäßig im Gesicht nähen will: Affen beißen.

Woher kommen die Exoten, die Sie aufnehmen?
Mehr als die Hälfte kommen von privaten Haltern. Da unterscheiden wir uns nicht von Tierheimen. Besitzer werden zu alt, krank, trennen sich, können das Haus nicht halten oder haben Geldprobleme. Natürlich wird bei den Gründen auch viel geflunkert.

Sehr viele Tiere werden auch beschlagnahmt, warum?
Das ist unterschiedlich. Auf Bundesebene erhalten wir Tiere vom Zoll: Geschmuggelte oder falsch deklarierte Tiere ohne Papiere. Aber illegal eingeführte Hundewelpen haben dort einen wesentlich höheren Anteil als Schlangen und Schildkröten. Dazu kommen Aufgriffe von Naturschutzbehörden und ganz viel von Veterinärämtern, wobei es dabei um Fälle von Tierschutz geht. Das ist in den vergangenen 20 Jahren deutlich mehr geworden. In Bayern beschlagnahmen Sicherheitsbehörden zudem gefährliche Tiere wie Riesenschlangen, Krokodile oder Gifttiere. Für die gibt es in Bayern zwar nur unter strengsten Auflagen eine Genehmigung, trotzdem werden viele bei uns abgegeben.

Das ist doch gut, so muss man wenigstens keine Angst vor einer ungewollten Begegnung haben.
Sie glauben, wenn neue Regelungen Gifttiere verbieten, ist die Welt sicher? Nein, ist sie nicht. Die Tiere sitzen nur im Keller und nicht mehr im Wohnzimmer. Und es passieren auch Dinge, wie vor etwa einem Jahr: Ein 19-Jähriger besorgt sich Speikobras illegal aus der Schweiz, wird gebissen und fällt ins Koma. Für solche Gifttiere gibt es dann keinen Platz, da sind Vereine wie wir gefragt.

Somit dient Ihre Auffangstation der öffentlichen Sicherheit?
Wir helfen dem Staat, Bund wie Ländern, ihre hoheitlichen Aufgaben zu erfüllen. Tierschutz ist Staatsziel und Sicherheit ist ebenso wichtig. Aber Tierschutz funktioniert auf gesetzlicher Ebene nur bis zu dem Moment, in dem das Tier gerettet und in behördlicher Obhut ist. Ob das Hundewelpen sind, marodierende Kaninchen im Stadtpark oder ausgesetzte Guppys im Mülleimer. Sobald die Tiere untergebracht werden müssen, sieht sich der Staat nicht mehr in der Pflicht und gibt sie an gemeinnützige Organisationen ab. Das ist in Ordnung. Wir machen das ja freiwillig. Aber letzten Endes wäre ohne die Tierschutzvereine, Tierheime und Auffangstationen der Vollzug geltenden Rechts nicht möglich – und die bleiben häufig auch auf den Kosten sitzen.

Was raten Sie Exoten-Haltern in Not?
Wie jedes Tierheim möchten wir die Menschen davor bewahren, ihre Schützlinge aussetzen zu müssen. Sie können sie zu uns bringen, wir helfen, wenn es irgend geht. Wir beraten aber auch sehr viel, denn Prävention ist mir wichtiger. Wir machen Gruppen- und Einzelführungen für Erwachsene und Kinder, kooperieren mit Schulen und Kindergärten, Zoos und Wildtierakademien. Wir halten Vorträge, führen Fort- und Weiterbildungen durch, bieten Gefahrtier-Schulungen an und leisten gute Arbeit über unsere Homepage. Wir informieren eine breite Öffentlichkeit.

Und Sie helfen, heimische Reptilien zu erkennen und nicht zu fürchten …
Wir geben einen Bestimmungsschlüssel für heimische Reptilien heraus. Ich möchte, dass Kinder eine Ringelnatter erkennen. Ich möchte, dass eine Kreuzotter keine Panikattacke auslöst, und dass eine Schlingnatter nicht erschlagen wird, weil man denkt, sie sei eine Kreuzotter. Und ich möchte, dass ein Bergmolch keine Notrufe auslöst: „Ich habe ein Krokodil im Garten.“ Das haben wir mindestens fünfmal im Jahr.

Fakten zur Reptilienauffangstation München e.V.