»Wahrnehmung und Wahrhaftigkeit«

Schwester Katharina weist in der Klosterkirche des „Karmel Heilig-Blut-Dachau“ die Besucher darauf hin, dass sie ihre Gebetsanliegen auf Zettel schreiben und einwerfen können. Die Karmelitinnen beten einmal am Tag für die Wünsche der Gläubigen und verbrennen im Klostergarten anschließend die Zettel. Foto: Kosima Graf

Das Sühnekloster „Karmel Heilig-Blut Dachau“ grenzt unmittelbar an die Dachauer KZ-Gedenkstätte. Weihbischof Johannes Neuhäusler (1888–1973), ehemaliger Sonderhäftling im KZ-Dachau, setzte sich für die Gründung des Karmelitinnen-Klosters im Jahr 1964 ein. Schwester Katharina (56), mit weltlichem Namen Adelheid Sommer, gibt Einblick in ein Klosterleben, das von Ruhe und Kontemplation bestimmt ist.

Wie führte Sie Ihr Weg ins Kloster und dann nach Dachau?

Aufgewachsen bin ich in einem Dorf bei Potsdam. Mein ganzes Leben war katholisch geprägt. Dass ich in der ehemaligen DDR nicht studieren konnte, machte mir nichts aus, weil ich ja wusste, dass ich einmal bei der katholischen Kirche arbeiten werde. Ich habe deshalb eine kirchliche Ausbildung als Erzieherin gemacht und mich später noch als Gemeindereferentin weitergebildet. Insgesamt war ich 21 Jahre berufstätig und habe allein und selbstständig an verschiedenen Orten in Brandenburg und Mecklenburg Vorpommern, unter anderem in Königs Wusterhausen und in Greifswald, gelebt. Nach Dachau kam ich, weil ich spirituell auf der Suche war. Als ich zum ersten Mal herkam, war ich entsetzt, wie nah das Kloster am ehemaligen KZ lag. Anfangs wollte ich gar nicht aus dem Kloster auf das Gelände gehen. Aber mir wurde klar, wenn ich in ein Kloster eintreten will, dann nur hier. Im KZ Dachau waren sehr viele Geistliche aus allen Konfessionen interniert, die trotz Repressalien in der „Bunker-Baracke“ weiterhin Messen abhielten. Wir im Kloster setzen an diesem Ort christliches Leben fort.

Warum nennt sich der Karmel in Dachau Sühnekloster?

Durch unser Gebet hier aus dem Gelände der Gedenkstätte dienen wir Klosterschwestern den Menschen, die an diesem Ort gelitten haben. Aber wir als Menschen können mit unserem Gebet das vergangene Unrecht nicht wiedergutmachen, das kann nur Gott. Wir als Kloster unterstützen so gut wir können die Erinnerungsarbeit. So war der Holocaust-Überlebende, der Vorsitzende des Vereins „Lagergemeinschaft Dachau“ und Namensgeber des Studienzentrums des Jugendgästehauses, Max Mannheimer (1920–2016), mit unserem Kloster eng verbunden. In den „Dachauer Dialogen“ unterhielt sich Max Mannheimer mit Schwester Elija Boßler zwanglos über verschiedene Themen rund um den Holocaust, aber auch über ganz alltägliche Dinge. In unserer Klosterkirche diskutierte er bis zu seinem Tod regelmäßig mit Schulklassen. Jedes Jahr präsentieren Schüler ihre Abschlussarbeiten zu Biografien von KZ-Opfern im Rahmen des fortlaufenden Projekts “Dachauer Gedächtnisbuch” in unserer Kirche.

Wie sieht Ihr Kloster-Alltag aus?

Die Dachauer Karmelitinnen sind ein kontemplativer Orden, das heißt, das Gebet strukturiert unseren Tagesablauf, der durch stille Tätigkeiten geprägt ist. Mein Tag beginnt um sechs Uhr mit einem gemeinsamen Gebet, der Lesehore und den Laudes. Um sieben Uhr feiern wir Heilige Messe. Um neun Uhr gibt es wieder eine kleine Andacht, die Terz, ebenso um 11.40 Uhr, um 15 Uhr und um 18 Uhr, die Vesper. Jede Schwester versenkt sich darüber hinaus täglich zweimal in einem einstündigen Gebet. Zu unserem Lebensunterhalt trägt der Verkauf von Emaille-Arbeiten, Kerzen und Stickereien bei, die wir herstellen und im Klosterladen verkaufen. Hinzu kommen Ikonen, die eine Schwester auf Bestellung malt.

Wie halten Sie Kontakt zur Außenwelt?

Viele Menschen, die unsere Klosterkirche besuchen, nutzen die Möglichkeit, auf einem Zettel ihre Wünsche an Gott zu formulieren und in einen Briefschlitz zu werfen. Wir beten dann für sie. Durch die Gebetsanliegen bekommen wir im Orden sehr gut mit, was viele Menschen bewegt. Wir haben aber auch einen für alle zugänglichen Computer, einen gemeinsamen Fernsehapparat, den wir überwiegend aber nur für die Tagesschau nutzen, Tageszeitungen und andere Zeitschriften. Wir Schwestern können auch die umfangreiche Bibliothek des Klosters nutzen.

Was zeichnet den Orden der unbeschuhten Karmelitinnen aus?

Es ist die Verbindung von eremitischen Elementen mit dem Leben in einer Gemeinschaft. Dieses Leben verlangt ein bewusstes Ich, das sich in eine konkrete Gemeinschaft einfügt. Dazu braucht es psychische Stärke und Stabilität. Teresa von Avila, die unseren Orden reformiert hat, war ja auch eine starke Frau, die konsequent ihren Weg gegangen ist. Kraft ziehe ich aus der Beziehung zu Gott, von dem ich mich in dieses Leben gerufen weiß. Darum gehören zu unserer Lebensform täglich zwei Stunden Mediation in der Zwiesprache mit Gott. Unbeschuhte Karmelitinnen heißen wir deshalb, weil wir wie die Franziskaner zu den Bettelorden gehören. Die Franziskaner wurden ja auch als Barfüßer bezeichnet, an diese Tradition wollten die Karmelitinnen mit ihrem Namen anknüpfen. Die Hinwendung zum Bettelorden geht auf die Reform der Heiligen Teresa von Avila aus dem 16. Jahrhundert zurück. Ursprünglich war der Karmeliten-Orden eine eremitische Gemeinschaft von Kreuzfahrern und Pilgern, die sich Mitte des 12. Jahrhunderts auf dem Berg Karmel in Palästina niederließen. In dieser eremitischen Tradition stehen wir auch heute noch. Die Architektur unseres Klosters, das in Kreuzform angelegt ist, zeigt dies sehr schön. Über den einzelnen Zellen erhebt sich jeweils ein Giebel, und alle sind durch einen gemeinsamen Gang verbunden. Die höheren Giebel beherbergen die Gemeinschaftsräume und als Zentrum überragt der Giebel über der Kirche alle anderen. Wir haben keinerlei Besitz, alles gehört der Gemeinschaft. Alle Anschaffungen tätigen wir nach Absprache, beispielsweise unsere Einkäufe, bei denen wir uns auf das Nötigste beschränken. Die materielle Armut kann mich frei machen von Besitz- und Statusdenken. Ich besitze Arbeitskittel und meine Ordenstracht. Die Beschränkung auf das Wesentliche gibt mir eine große innere Gelassenheit. Mein Leben liegt in Gottes Hand.

Was möchten Sie Menschen mit auf den Weg geben?

Ich möchte allen Mut machen, alles bewusst wahrzunehmen und darauf zu schauen, was ist. Das heißt in der bewussten Wahrnehmung der Gegenwart und in der Wahrhaftigkeit zu leben. Von einem Franziskanerbruder hörte ich den Satz: „Gott umarmt mich und jeden von uns mit der Wirklichkeit“. Gott ist da, er zeigt sich in den Ereignissen und Begegnungen des Alltags.