»Es ist ein winziger Einstieg«

Interview mit dem Meteorologen Professor Stefan Emeis zu den Folgen des Klimawandels, seinem Forschungsschwerpunkt und den aktuellen Reaktionen der Politik


Zur Person:

Stefan Emeis

Stefan Emeis forscht im Institut für Meteorologie und Klimaforschung (IMK-IFU) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) in Garmisch-Partenkirchen. Schwerpunkt seiner Arbeit ist die sogenannte atmosphärische Grenzschicht, der erste Kilometer über der Erdoberfläche. Dort konzentriert er sich auf die Lebensqualität in städtischen Räumen. Seit 2013 ist er Chef-Herausgeber der Meteorologischen Zeitschrift. Er ist außerdem ehrenamtliches Mitglied und Sprecher des Fachbeirates Energie des Landkreises Weilheim-Schongau. In der Kreisstadt Weilheim in Oberbayern leitet er den Arbeitskreis „Energie und Klimaschutz“ der lokalen Agenda 21.


Greta Thunberg hat auf dem Weltwirtschaftsforum im Januar in Davos in einer Rede gesagt: „Ich will, dass ihr in Panik geratet“. Werden Sie auch langsam unruhig?

Ja, man kann schon sagen, dass ich unruhig werde. Wir sehen, wie der Klimawandel fortschreitet. Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre hat immer noch eine zunehmende Tendenz, selbst die Steigerungsraten nehmen von Jahr zu Jahr zu. Wir sehen es an den Wetterphänomenen: Extremereignisse werden häufiger, der Meeresspiegel steigt immer stärker – 3,7 Millimeter allein im letzten Jahr. Wenn das, was der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change, auch „Weltklimarat“ genannt, Anm. d. Red.) heute, am 25. September 2019, in seinem Sonderbericht über das Wasser herausgegeben hat, Wirklichkeit wird, dann rechnet man mit einem Anstieg des Meeresspiegels bis zu einem Meter zum Ende des Jahrhunderts. Das bedeutet, die großen industriellen Zentren und Megacities, die direkt am Ozean liegen, werden große Probleme bekommen.

Die letzten vier Jahre waren weltweit die wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Wenn wir so weitermachen, wo sehen Sie uns dann in den nächsten 30, 40, 50 Jahren?

Nochmal etwa zwei Grad wärmer als heute, das sind die Vorhersagen, die aus den Modellen herauskommen.

Seit Beginn der Industrialisierung ist das Klima auf der Erde um ein Grad wärmer geworden. Von 1958 bis 2019 hat sich der Gehalt an CO2 in der Atmosphäre von 280 ppm (parts per millon) auf 410 ppm gesteigert – das sind 0,04 Prozent. Wie kann es sein, dass so ein kleiner Prozentsatz so einen großen Effekt hat?

Das Gas CO2 hat die Eigenschaft, einen Teil der Wärmestrahlung zu absorbieren. Es lässt sich relativ einfach in Laborversuchen nachweisen. Das ist Strahlungs- und Atomphysik. Letztlich regt die Wärmestrahlung das Atom zum Schwingen an und speichert diese Wärme im Schwingungszustand des Moleküls, um es auf einem anderen Niveau wieder abzugeben. Insgesamt trägt es dazu bei, dass die Atmosphäre wärmer wird, weil ein Teil dieser Wärme auf die Erde zurückgestrahlt wird.

Der Klimawandel zeigt sich an den Polen, in Grönland und auch in den Hochgebirgen am stärksten. Warum gerade da?

Das Eis verschwindet. Eis ist wie ein Thermostat. Solange es da war, wurde die Temperatur immer niedrig gehalten. In dem Moment, in dem das Eis schmilzt, ist dieser Thermostat weg, und es wärmen sich der Boden und das Wasser im Polarmeer auf. Deshalb kommen diese großen Erwärmungsraten in den Polargebieten und den Hochgebirgen zustande.

Weniger Fliegen, weniger Fleisch essen, mehr Bäume pflanzen – was schlagen Sie vor? Mit welchen Maßnahmen kann man am meisten bewirken?

Letztendlich müssen wir den Verbrauch von fossilen Rohstoffen für Verbrennungsvorgänge weitgehend aufgeben. Über Jahrmillionen ist Kohlenstoff in die Erde eingetragen worden, z. B. in die Kohleflöze. Jetzt wird er innerhalb von wenigen hundert Jahren verbrannt. Das Gleichgewicht zwischen Ausgasung und Einlagerung ist völlig durcheinander – genau da müssen wir ansetzen. Es gibt genügend andere Energieformen, mit denen wir unsere Zivilisation in einem vernünftigen Umfang weiterbetreiben können: Solarenergie, Windenergie, Wasserenergie, Bioenergie. Es ist genug da. Der eine oder andere Verzicht ist vielleicht nicht schädlich bei der ganzen Sache.

Sie haben den Aufruf der „Scientists for Future“ unterschrieben. Sollte sich die Wissenschaftscommunity in Zukunft stärker in die öffentliche Diskussion einmischen? Also mehr Druck vonseiten der Experten?

Als Fachleute informieren wir und stellen Wissen bereit. Die Öffentlichkeit sollte diese Aussagen ernst nehmen und in politisches Handeln umsetzen.

Auf dem Weltklimagipfel 2015 in Paris hat sich Deutschland verpflichtet, an dem „Zwei-Grad-Klimaziel“ festzuhalten und es auch zu erreichen. Letzte Woche wurde von der Bundesregierung ein Klimapaket präsentiert. Sind das die richtigen Maßnahmen, sind sie ausreichend?

Sie sind sicherlich nicht ausreichend, wahrscheinlich sind auch nicht alle Maßnahmen richtig. Das einzig Positive ist, dass ein Einstieg überhaupt gemacht worden ist. Bis jetzt war das in Deutschland eigentlich überhaupt nicht vorstellbar, dass wir zu so einem Gesetz kommen, nun gibt es einen Entwurf. Ich hoffe auf die nächsten Runden, wo das Ganze nachjustiert wird. Wenn man merkt, dass es noch nichts bewirkt, muss man an den eingebauten Schrauben drehen und den CO2-Preis nach oben bringen. Wir müssen aber auch mehr tun bei den erneuerbaren Energien. Es sind so ganz kleine Dinge drin, der Solardeckel wird weggenommen, der Ausbau von Solarenergie soll nicht mehr behindert werden. Für Windkraftanlagen auf dem Meer hat man die Begrenzung etwas angehoben aber nicht beseitigt. Wieder so ein Schwachpunkt in dem Gesetz, warum lässt man solche Deckel drin? Bei den Speichern, die absolut notwendig sind, um bei der variablen Erzeugung mit Wind und Sonne puffernd zu wirken, sind auch nur ganz kleine Maßnahmen im Gesetz, da gehört viel mehr hinein. Es ist ein winziger Einstieg, es muss aber innerhalb von wenigen Jahren wesentlich ausgebaut werden.

Kommen wir nach Oberbayern, ins Alpenvorland. Welche Auswirkungen sind heute schon bei uns zu spüren oder kommen in den nächsten Jahren auf uns zu?

Wir sehen es heute schon an heftigeren Niederschlags-Ereignissen, wenn wir an die Überschwemmungen der letzten Jahre denken: Simbach am Inn, wo die große Schlammlawine runterkam, oder auch hier in Polling in der Nähe von Weilheim, wo 2016 nach einem Morgen mit Gewittern das ganze Dorf unter Wasser stand. Wir sehen, dass die Fichte immer schwierigere Wachstumsbedingungen vorfindet, weil es zu trocken und zu warm für diesen Flachwurzler wird. Wir sehen, wie sich in den Alpen Vegetationsgrenzen nach oben verlagern. Es gibt vielfältige Zeichen, dass sich auch hier etwas ändert. Wenn wir das weiterlaufen lassen, wird es bei uns in 50 oder 100 Jahren deutlich anders aussehen als heute.

Gibt es eigentlich auch einen positiven Effekt des Klimawandels in unserer Gegend? Profitieren irgendwelche Pflanzen oder Tiere davon? Oder ist das alles negativ?

Man kann eigentlich nicht alles bewerten. Wenn sich in der Natur etwas verändert, ist das erstmal wertfrei. Es sind Änderungen, die stattfinden – bewerten tut dann der Mensch, ob es für ihn nützlich oder negativ ist.

Sie leiten seit 2012 die Arbeitsgruppe Stadt-Umland-Wechselwirkungen am IMK-IFU in Garmisch-Partenkirchen. Gibt es Wechselwirkungen, die durch den Klimawandel schon zu spüren sind?

Es gab immer schon Wechselwirkungen. Eine Stadt ist ja kein in sich geschlossenes System, sondern ein Ort, wo sehr viele Menschen leben, sehr viele industrielle Prozesse stattfinden. Eine Stadt muss von außen versorgt werden. Aus sich alleine heraus kann sie nicht existieren. Städte brauchen ein Umland, aus dem sie mit Wasser, Energie und Nahrung versorgt werden. Von daher ist es völlig natürlich, dass es eine Wechselwirkung zwischen einer Stadt und ihrem Umland gibt. Es kommen aber Vorgänge dazu: Wenn es sehr viel wärmer und trockener wird, heizen sich die Städte noch mehr auf als früher, warme Luft steigt nach oben, diese aufsteigende Luft saugt dann Luft von der Seite her nach. Es kommen jetzt Wechselwirkungsprozesse hinzu und die sind es, die uns bei der wissenschaftlichen Arbeit, die ich in Garmisch-Partenkirchen mache, interessieren. Wie beispielsweise die Schadstoffkonzentrationen in der Stadt aussehen, wenn diese zusätzliche Ventilation durch warme Luft mit dazukommt.

Gibt es schon Ergebnisse?

Ja, durch die zusätzliche Ventilation werden die Schadstoffe aus den Städten in die Umgebung verteilt. Wenn wir jetzt die Überwärmung der Städte durch mehr Grün und hellere Dächer verringern, dann passiert das Paradoxe: Wir verringern die Ventilation und die Schadstoffkonzentrationen steigen an. Wir müssen also gleichzeitig die Verbrennungsvorgänge in der Stadt reduzieren. Nur so bekommen wir nachhaltige Lebensbedingungen in den Städten.

Sie sind ehrenamtlicher Sprecher des Fachbeirats Energie im Landkreis Weilheim-Schongau und auch im Wirtschaftsbeirat. Was sind konkrete Vorschläge von ihnen, um auf kommunaler Ebene dem Klimawandel entgegenzutreten.

Im Prinzip dieselben, über die wir schon gesprochen haben: Wir müssen wegkommen vom Verbrauch fossiler Rohstoffe. Der Landkreis Weilheim-Schongau hat sich im Jahre 2010 ein Klimaschutzkonzept erarbeiten lassen. Da steht drin, welche Potenziale es im Landkreis gibt, bisherige Energieproduktion durch erneuerbare Energieproduktion zu ersetzen. Diese Vorschläge, die in diesem Klimaschutzkonzept stehen, müssen jetzt langsam aber sicher umgesetzt werden. Bisher sind dort kleine Schritte gemacht worden, aber die Hoffnung ist, dass irgendwann auch mal größere Schritte folgen – sonst werden wir das Ziel, das man sich politisch gesetzt hat, bis 2035 klimaneutral zu werden auf gar keinen Fall erreichen.

Gibt es einen besonderen Punkt, an dem man als erstes angreifen könnte, wo man besonders viel erreichen würde?

Man könnte wahrscheinlich noch intensiver die Biomasse nutzen. Wir haben relativ viele Wälder, dort fällt viel Altholz, Kleinholz und ähnliches an, was sich nicht für die direkte Holzverwertung nutzen lässt. Oder: Man könnte noch mehr Solarzellen auf Dächern anbringen, vor allem auf Einfamilienhäusern sind noch viele Flächen verfügbar. Die Solarzellen liefern nur tagsüber Energie. Jeder könnte sich einen Speicher in den Keller stellen, wie ich das selber gemacht habe, und dann hat man auch für die nächste Nacht den Strom vom Tag zuvor. Damit kommt man relativ einfach auf Autarkieraten von 70 bis 80 Prozent.

Das ist meine letzte Frage: Was tun Sie privat für den Klimaschutz?

Seit gut zehn Jahren habe ich eine Solarthermie-Anlage auf dem Dach. Seitdem verbrauche ich ein Drittel weniger Erdgas in meinem Heizungssystem. Und seit gut einem Jahr habe ich eine Fotovoltaik-Anlage und einen Fünf-Kilowattstunden-Speicher im Keller. Damit habe ich meinen Stromverbrauch aus dem Netz auf 20 bis 30 Prozent des vorhergehenden Wertes heruntergebracht.

Herr Professor Emeis, vielen Dank für das Gespräch.

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