Charakter – auch im Weinglas

Arnold Zöhrer betreibt seinen Laden „Boteghin GmbH“ seit über zwanzig Jahren in der Ainmillerstraße in Schwabing. Davor hatte er einen Feinkoststand mit Weinverkauf auf dem Elisabethmarkt. Der in Österreich geborene Weinkenner legt seinen Fokus insbesondere auf Weine aus seinem Heimatland, Italien und Deutschland. In der Nachbarschaft ist sein Laden – der dort auch unter dem Namen Wein und Feines bekannt ist – sehr beliebt und jeden Abend Treffpunkt für freudige Trinker und Genießer. Für das Magazin (Un)Ruhe gab er Maria Gelmashina ein Interview.

Hallo Arnold. Wir kennen uns jetzt schon seit einiger Zeit. Was bedeuten für Sie „Ruhe“ und „Unruhe“?

Arnold: Ruhe und Unruhe: Das kommt auf jeden persönlich an. Wie soll man das erklären? Schwierig …

Aber für Sie?

Arnold: Für mich bedeutet ruhig und entspannt zu sein, wenn ich mich mal hinsetzen und mich mir selbst widmen kann. Und für dich? (zu einem Gast, der schon vorher im Weinladen saß).

Florian (Gast):  Wenn man die Zeit für Entspannung hat, so wie jetzt, sich einfach die Zeit für eine kleine Auszeit zu nehmen, obwohl man viele Termine hat und der Tag weitergeht, eine kurze Pause zu machen, einen kleinen Ratsch zu halten oder alte Freunde zu besuchen. Dann verschiebt sich der Rest des Tages nach hinten.

Ich glaube, das kann sich nicht jeder leisten.

Florian: Wir sind selbständig, wir können es (lacht).

Arnold: Wir sind schon lange selbständig, aber das ist einer der wenigen Vorteile der „Selbst“- und „Ständigkeit“. Das man sich seine Zeit und auch seine Ruhephasen einteilen kann, so wie man Lust hat.

Wie würden Sie diese Definitionen auf Weine ausweiten? Gibt es ruhige oder unruhige Weine? Und welche Weine sind für Sie ruhig und unruhig?

Arnold: Ein unruhiger Wein ist in erster Linie ein Schaumwein, weil er belebt, er regt den Kreislauf gleich an. Unruhig sind sicher auch Weißweine. Beruhigender wirkt sicher ein Rotwein. Mit Rotwein geht man – glaube ich – auch ein bisschen anders um.

Florian: Ja, sehe ich auch so.

Und warum wirken Rotweine ruhig?

Florian: Ich glaube, vielleicht schon wegen der Farbe und weil er dadurch schwer im Glas liegt.

Arnold: Die Farbe und der Geruch, der ganze Umstand. Und das Drumherum, allein schon das schöne Glas. Man ist beim Rotwein ein bisschen entspannter, oder man tritt an den Rotwein etwas anders heran als an den Weißwein.

„Unruhig“ impliziert in erster Linie etwas Negatives. Analog dazu könnte man die These aufstellen, dass unruhige Weine negativ sind. Können Sie sich vorstellen, dass im Hinblick auf Weine das Merkmal „unruhig“ auch etwas Positives sein kann?

Arnold: Das kommt auf den Konsumenten an, es ist völlig konsumentenabhängig. Situations- und konsumentenabhängig – oder, Florian?

Florian: Sehe ich auch so. Unruhig ist etwas Belebtes, etwas Prickelndes. Wenn ich dann einen Champagner trinke, will ich mich auch ein bisschen aufpushen. Bei einem schweren Rotwein sitzt man doch eher bei beruhigender Musik mit einem Buch in der Hand auf seinem Stuhl.

Arnold: Oder auch mit einem Joint, wenn man denn raucht (alle lachen).

Warum sollte man Wein nach dem Transport in Ruhe lassen?

Arnold: Das ist nicht unbedingt nötig. Es wird immer ein bisschen übertrieben. Aber es schadet oft nicht – das spürt man ja selber am eigenen Körper – wenn man sich auch einfach mal selber in Ruhe lässt oder zur Ruhe kommt. Es ist ein anderes Empfinden und so ähnlich geht’s dem Wein, er muss auch ein bisschen zur Ruhe kommen. Aber prinzipiell ist es nicht unbedingt notwendig. Das sind klassische, alte Regeln, die nicht unbedingt nötig sind.

Weinflaschen
Weinsortiment

Und woher weiß man, dass bestimmte Weine in Ruhe gelassen werden sollten?

Arnold: Das hängt sehr viel mit der Lagerung und dem Alter zusammen. In erster Linie gilt das für Rotweine, die lagerfähig sind. Für junge Weine, die man gar nicht lagert, ist es völlig egal.

Zu welcher Art von Menschen zählt Ihre Kundschaft? Und wie würden Sie Ihren Laden beschreiben, ruhig oder eher unruhig?

Arnold: Unruhig.

Florian: Echt? (alle lachen).

Arnold: Ja, logisch.

Florian: Warum? Weil ein ständiges Kommen und Gehen ist?

Arnold: Ja mei, das sind alles verschiedene Persönlichkeiten.

Und wie sind die Menschen, die jeden Tag vorbeikommen?

Arnold: Es hängt von vielem ab. Es ist wetterabhängig, es ist personenabhängig. Das kann man pauschal überhaupt nicht erklären. Das ist eine schwierige Frage.

Welche Verbindung sehen Sie zwischen dem Charakter einer Person und ihrer Weinvorliebe? Gibt es Ihrer Meinung nach überhaupt eine Verbindung?

Arnold: Auf alle Fälle. Es gibt den Liebhaber und Genießer und den Nicht-Liebhaber und Trinker (alle lachen). Das ist meine Antwort drauf, oder? Es gibt viele. Es gibt auch einfach Gewohnheitstrinker, denen es egal ist, was sie trinken. Und andere setzen sich gern damit (mit dem Thema Wein) auseinander. Meine bevorzugte Klientel sind die Personen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen und das Ganze dann auch genießen. Es ist ja auch ein Genuss. Ein Luxus- und Genussprodukt.

Aber was ist mit den Nachbarn, die jeden Tag hierherkommen? Sie kennen sich schon gut aus, oder? Manche trinken jeden Tag dasselbe.

Arnold: Generell kann man das auch nicht sagen. Die einen kennen sich besser aus, die anderen schlechter. Man kann viele Fragen dazu stellen, aber letztendlich geht es immer nur um den Wein. Wein ist immer eine reine Geschmacksache. Es ist ein persönliches Empfinden – schmeckt es dir? Es ist dann deine eigene Entscheidung. Das Schlimmste ist, wenn man einen Wein aufgezwungen bekommt. Aber man kann natürlich immer etwas Neues lernen, weil das Thema Wein ein sehr breites Spektrum hat.

Vielen Dank für das Gespräch und den feinen Wein.

Der nächste Gast kommt ins Geschäft.

Arnold: Servus Dietmar! Ich mach’ sofort einen Stuhl für dich frei.