Ruhe vor dem Sturm

Der Klimawandel beherrscht in den letzten Monaten die Diskussion in den Medien. Welche Auswirkungen er bereits jetzt auf Böden und Landwirtschaft im Voralpenland hat, zeigt eine Exkursion zu einer Klimaforschungs-Station in Oberbayern.

Die Sonne knallt vom weiß-blauen Himmel. In kleinen Herden grasen rotbunte Kühe auf saftig grünen Wiesen. Ein Mäusebussard kreist in großer Höhe und macht durch seinen  Ruf auf sich aufmerksam. Nur ein für die Jahreszeit zu kühler Wind aus nordöstlicher Richtung lässt eine  Vorahnung vom nahen Herbst aufkommen. Mit dem Mountainbike bin ich in Richtung Fendt unterwegs, einem kleinen Weiler am Fuße des Hohen Peißenbergs im Landkreis Weilheim-Schongau: vier Bauernhöfe, zwei Wohnhäuser. Oberbayern wie aus dem Bilderbuch – vom Klimawandel ist nichts zu spüren.

Aber ich bin ihm auf der Spur, als ich auf den Hof von Anton Jungwirth einbiege. Der 49-Jährige ist seit 2015 Biolandwirt. Zusammen mit seiner Frau und den vier Kindern bewirtschaftet er den „Michlbaur-Hof“ nach den Richtlinien des Bioland-Verbandes. Für die 60 Milchkühe und 30 Jungrinder hat er im Jahr 2006 einen neuen Laufstall mit Auslauf gebaut. Das Futter für die Tiere wird auf rund 50 Hektar Fläche selbst erzeugt – ein typischer Familienbetrieb in dieser Gegend.

»Die Wetterextreme werden deutlich mehr«

Seit er den Hof im Jahr 2003 von seinem Vater übernommen hat, spürt Jungwirth zunehmende Veränderungen: „Die Wetterextreme in den letzten 15 Jahren sind deutlich mehr geworden“, so der Biobauer. Starkregen und die trockenen Sommer haben auch seinem Betrieb zu schaffen gemacht. Dabei sind er und die Landwirte in Fendt noch vergleichsweise gut weggekommen. Am Nordhang des Hohen Peißenbergs regnet es mit über 1000 Millimetern im Jahr deutlich mehr als wenige Kilometer entfernt. Außerdem speichern die lehmigen Böden die Feuchtigkeit besser als der kiesige Untergrund weiter östlich in Richtung Weilheim. „Mir sind trockene Sommer eigentlich lieber“, so Jungwirth, „aber letztes Jahr, am Schluss, da hat es mit dem Wachstum sauber ausgelassen.“

Ein Traktor mit Kreiselmäher fährt auf einer Wiese vor einer eingezäunten Meßstation für Klimaforschung im oberbayerischer Weiler Fendt
Weiler Fendt in Oberbayern: Landwirtschaft trifft auf Klimaforschung. Foto: Ullrich Klinkicht

Das vergangene Jahr und viele weitere Ereignisse geben ihm zu denken, lassen Anton Jungwirth langsam unruhig werden. So war es für ihn auch kein Problem, als im Jahr 2008 die Wissenschaftler des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung aus Garmisch-Partenkirchen nachfragten, ob er ihnen Flächen für eine Messstation verpachten würde. Er hat nach kurzem Überlegen ja gesagt. Drei Jahre später war es dann so weit: Etwa 500 Meter Luftlinie von seinem Hof entfernt wird seitdem mit Hightech dem Klimawandel nachgespürt – Laptop und Lederhose auf der Viehweide.

Tereno: Forschung über Bodenfruchtbarkeit und Wasserhaushalt

Seit 2011 untersuchen jetzt rund siebzig Kilometer südlich von München die Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) die Folgen der Klimaerwärmung. Das Forschungsprojekt heißt Tereno, die Abkürzung steht für Terestrial Environmental Observatory. Tereno ist ein Netzwerk von vier Observatorien zur Erdbeobachtung, das sich von der norddeutschen Tiefebene bis zu den Bayerischen Alpen erstreckt. Die Wissenschaftler, die im Süden das sogenannte Tereno-preAlpine Observatory betreiben, forschen besonders über den Einfluss des sich verändernden Klimas auf die Bodenfruchtbarkeit sowie die hydrologischen Prozesse und den regionalen Wasserhaushalt im Alpenraum.

Dafür haben die Klimaforscher in Graswang bei Ettal in 865 Meter Höhe, im nahen Rottenbuch auf 763 Meter über Meereshöhe und auf 600 Metern in Fendt drei Messstationen für über drei Millionen Euro in die grüne Wiese gesetzt. Die verschiedenen Höhenlagen stehen für verschiedene Temperaturen im Jahresmittel. Alle drei Stationen befinden sich im Wasser-Einzugsgebiet der Ammer, die im Graswangtal entspringt und nach etwa 170 Kilometern in den Ammersee mündet.

Leiter des Projekts, das vom KIT-Campus Alpin in Garmisch-Partenkirchen aus gemanagt wird, ist Dr. Ralf Kiese. Der 47-jährige Hydrologe und Biogeochemiker ist besonders an der Interaktion zwischen Boden und Pflanzen interessiert. „Wir messen vor allem die Treibhausgase CO2, N2O (Lachgas) und CH4 (Methan)“, erläutert der Forscher die Aufgabe der Station. 

Segelflugplatz als Forschungsstation

Die Forschungsstation wurde auf dem Gelände eines ehemaligen Segelflugplatzes gebaut, vor allem aus logistischen Gründen, so Kiese – ein Stromanschluss war vorhanden. Auf dem Gelände sind verschiedene kleine Messeinheiten verteilt, die Klimaparameter wie Temperatur, Niederschlag, Luftfeuchte oder die Strahlungsintensität ermitteln. Mit einem sogenannten Eddy-Kovarianz-Turm analysieren die Wissenschaftler den Austausch von Spurengasen zwischen dem Boden und der Atmosphäre. In einem Netzwerk sind außerdem 50 Sonden zur Feuchtemessung in den Erdboden versenkt.

Heute hat der aus Wangen im Allgäu stammende Kiese, der seit dem Jahr 2000 als Klima- und Bodenforscher in Garmisch-Partenkirchen arbeitet, zwei Kollegen aus Italien zu Gast: Dr. Andrea Scartazza aus Pisa und Olga Gavrichkova aus Porano in Umbrien. Beide arbeiten für das National Research Council of Italy zum Thema Ökosystemforschung und Klimawandel. Sie interessieren sich besonders für das Herzstück der Station: ein etwa 12 auf 38 Meter großes Feld, das mit einem grünen Maschendrahtzaun gesichert ist und zusätzlich per Video überwacht wird. In der Anlage werden Messungen zur Interaktion von Pflanzen, Boden, Feuchte, Dünger und Spurengasen vorgenommen.

Nährstoffe und Wasserbilanzen

Auf zwei Schienen bewegt sich eine Kranbrücke, an der eine runde, nach unten offene Messkammer mit einem Durchmesser von 1,12 Metern hängt. In der Erde sind 18 überdimensionale „Blumentöpfe“ in runden Betonschächten, sogenannte Lysimeter, eingelassen. Jedes wiegt zwischen 2,5 und 3,5 Tonnen und enthält auf einer Fläche von einem Quadratmeter Boden und Wiese der drei Messorte aus Fendt, Rottenbuch und Graswang. Jeweils drei der Bodenproben kommen aus intensiv genutztem, drei andere aus extensiv genutztem Grünland.

Jeweils sechs Lysimeter sind einer Servicekammer zugeordnet, die aus Betonfertigteilen aus dem Kanalbau gebaut wurde, im Boden eingegraben ist und eine Reihe weiterer Messinstrumente und Tanks enthält. „In jedem Lysimeter sind in einer Bodentiefe von 10, 30, 50 und 100 Zentimetern Keramiksonden eingelassen“, so der Wissenschaftler. Damit werde das Bodenwasser beispielweise auf die Nährstoffe Ammonium (NH4 ) und Nitrat (NO3) untersucht; außerdem werden der im Erdboden enthaltene Gesamtstickstoff sowie der gelöste Kohlenstoff gemessen und Wasserbilanzen der Bodenproben erstellt, so Kiese.

In der Servicekammer: v. l.: Dr. Andrea Scartazza, Dr. Ralf Kiese und Dr. Olga Gavrichkov Foto: Ullrich Klinkicht

Wie es mit den Folgen des Klimawandels für die Landwirtschaft im Voralpenland aussieht, frage ich den Klimaforscher. Seine Antwort – ein für mich überraschendes Ergebnis: „Die Erträge im Grünland in höheren Lagen werden mehr“, fasst er die bisherigen Ergebnisse zusammen. Der limitierende Faktor für das Pflanzenwachstum in den untersuchten Gebieten mit durchschnittlichen Niederschlägen von über 1000 Millimeter im Jahr sei eindeutig die Feuchtigkeit.

»Aus dem Grünland läuft kein Nitrat raus«

Ein weiteres Ergebnis der bisherigen Untersuchungen betrifft die Düngung der Böden. Als neue Obergrenze gilt ab 2020 eine Gesamtmenge an Stickstoff von 170 Kilogramm pro Hektar und Jahr auf das einzelne Feld bezogen. Damit soll die Nitratbelastung des Trinkwassers reduziert werden. Dieses generelle Limit hält Biogeochemiker Kiese für falsch: „Aus dem Grünland läuft kein Nitrat raus“, so der Forscher. Eine Begrenzung der Düngung von Grünland auf 170 Kilogramm Stickstoff pro Hektar senke die Bodenfruchtbarkeit, ohne große positive Effekte für die Umwelt zu haben. „Für das System Grünland ist diese Vorgabe schlichtweg Quatsch“, so der Wissenschaftler.

Was sagen uns solche Ergebnisse über die Folgen des Klimawandels? Ist doch nicht alles negativ an der vom Menschen gemachten Klimaerwärmung? Gibt es noch Hoffnung? „Wenn man bei uns jemanden zum Klimawandel fragt, kriegt man eine andere Aussage, als wenn jemand auf einer Pazifikinsel gerade absäuft“, lautet das Fazit von Klimaforscher Kiese zum Ende meiner Exkursion.

Ich radle zurück nach Hause. Es ist wärmer geworden. Der Wind hat nachgelassen. Ein Rotmilan zieht elegant seine Schleifen in der Luft. Einige tausend Meter höher zeichnet ein Passagierflugzeug seine Kondensstreifen in den Himmel. Morgen ist Weltklimastreik der Bewegung „Fridays for Future“. Für Samstag sagt der Wetterbericht bis zu 24 Grad an. Bestes Bergwetter. Stau auf der A 95 nach Garmisch-Partenkirchen. Klimawandel – wir arbeiten alle dran.