Spinat im Fairteiler-Kühlschrank

Essen teilen

von Stefanie Weinberger
Für die Tonne viel zu schade: Bisher landet weltweit bis zur Hälfte aller Lebensmittel im Müll. Das ist nicht nur eine ökologische Katastrophe. Die Initiative Foodsharing hat der Verschwendung den Kampf angesagt

Über öffentliche „Fairteiler“ und private „Essenskörbe“ können Möhre und Mensch, Gurke und Gast, Leberkäse und Leute Zusammenfinden. Unterwegs beim Lebensmittelretten

von Stefanie Weinberger

795 Millionen Menschen auf der Welt haben nicht genug zu essen. Andererseits finden Schätzungen zufolge 30 bis 50 Prozent aller produzierten Lebensmittel nicht den Weg in den Magen, sondern sie wandern in die Tonne. Und das, obwohl viele davon noch essbar und gut verwertbar wären.

Im Grunde steckt hinter der Verschwendung sowohl global als auch lokal gesehen oft ein Verteilungsproblem: Was an der einen Stelle im Überfluss vorhanden ist, würde woanders dringend gebraucht und gerne verzehrt werden. Eigentlich müssen Essen und Verbraucher nur irgendwie zusammenfinden.

Die Initiative Foodsharing will das ermöglichen. In Deutschland hat sie dafür ein Netzwerk mit 11.000 Foodsavern aufgebaut, die sich ehrenamtlich gegen die Lebensmittelverschwendung einsetzen. Bei über 200.000 Abholungen von 1.700 Kooperationsbetrieben haben sie schon etwa  2,6 Millionen Kilo Lebensmittel vor der Vernichtung gerettet.

Vom Markt in den „Fairteiler“-Schrank

Kühlschrank des Netzwerks Foodsharing
Je nach Tageszeit: mal ist mehr, mal weniger drin

Verteilt werden diese dann einerseits über so genannte Fairteiler: Dies sind Umschlagplätze, in der Regel ein großer Kühlschrank und Regale an gut erreichbaren Orten, oft in sozialen Einrichtungen. Darin platzieren kooperierende Anbieter wie Bäckereien, Gärtnereien, Läden und so weiter ihre überschüssigen, noch brauchbaren, aber sonst dem Untergang geweihten Lebensmittel.

In München beispielsweise steht ein solcher Kühlschrank im Eine-Welt-Haus in der Schwanthalerstraße. Von 9 bis 22 Uhr steht er jedem offen als Umschlagplatz: für oftmals schnell Verderbliches wie belegte Brötchen, oder für bald nicht mehr Ansehnliches: wie dem Wurzelspinat, den bei der Recherche eine Händlerin dort gerade aus einer Palette auskippt, und der durchaus einen appetitlichen Eindruck macht.

Spinat im Fairteiler-Kühlschrank
Noch Frisch: Spinat im Fairteiler-Kühlschrank im Eine-Welt-Haus München

Mehrere Handvoll des Spinats wandern in die mitgebrachte Plastiktüte der betagten Griechin Penelope Stephanos. Sie hat offenbar schon länger auf Beute gewartet. So lange, bis die nächste Lieferung kam und dann auch noch der Hausmeister seinen Wachposten aufgab. Er wollte sie daran hindern, gleich das ganze Gemüse einzupacken (was übrigens nicht dem Selbstverständnis des Foodsavings entspricht – was weg ist, ist weg, und soll das ja auch sein). Sie habe taube Füße, sei schwer gehbehindert und könne von ihren 500 Euro Rente im Monat nicht leben. „Ich bin so dankbar für alles, was ich hier bekomme“, sagt sie, „und dass ich in Deutschland lebe. Ich komme fast jeden Tag hierher. Soll ich Ihnen mein Rezept für Spinattaschen verraten?“

Seniorin wartet beim Fairteiler
Warten, bis der Hausmeister den Kühlschrank nicht mehr bewacht

Vor Freude fällt sie mir um den Hals, als ich ihr auf ihr Flehen hin auch aus dem oberen, für sie nicht erreichbaren Fach des einstigen Lemonaid-Kühlschranks weitere Hände voll des sattgrünen Blattgemüse in die mit Klebeband geflickte Einkaufs-Rolltasche stopfe. „Den friere ich ein, das reicht für die ganze nächste Woche“, murmelt sie. Beim Davongehen stützt sie sich auf die abgegriffene Stange ihres Einkaufstrolleys wie auf den Griff eines Rollators. Auch soziale Not kann ein Motiv sein, sich von den Fairteiler-Stellen Essen zu holen; ihre „Rettung“ ist dann wohl ein eher unbewusster Nebeneffekt.

Vom Containern zum Lebensmittelretten

Im Vordergrund steht dieser für Marius Diab: Er beschäftigt sich mit der Frage, wie umweltverträgliches Leben in der Stadt aussehen kann und was sich gegen die Wegwerfkultur tun lässt. Für das Foodsharing-Konzept ist er einer der Mitbegründer und offiziellen Botschafter. Er studiert freie Kunst – und ernährt sich seit Jahren nahezu ausschließlich von befreiten Lebensmitteln, wie man unter Foodsavern auch zu sagen pflegt. Früher holte er sie aus den Mülltonnen von Supermärkten, doch das Containern ist eine legale Grauzone und nicht immer appetitlich. „Dann kam ich auf die Idee, dass es doch angenehmer und sauberer wäre, wenn man das mit Zustimmung und Wissen der Geschäfte machen könnte.“ Und auch bei Tageslicht.

Foto Marius Diab
Marius Diab: verbreitet die Idee des Foodsharing

So kam er zum Foodsharing-Netzwerk, in dem er in München unter anderem für die Aufnahme neuer Mitglieder zuständig ist. Wenn man Wissensfragen etwa zu angemessenen Verhaltens- und Hygieneregeln korrekt beantwortet hat, bekommt man einen Foodsaving-Ausweis mit Name, Foto und grafischem Code. Damit öffnen sich die Türen bei teilnehmenden Partnern wie Bioläden oder Markthändlern, wo die Lebensmittelretter nach Absprache oder zu festen Zeiten Gemüse, Backwaren und anderes Übrige abholen. Bei einer ersten Probeabholung ist Marius in der Regel dabei, stellt die neuen Lebensmittelretter vor und gibt Tipps.

Kartoffel-Karriere: Vom Viktualienmarkt in die Kunstakademie

Jetzt lädt er mich aber erst mal spontan zu einer Kochparty von Kunststudenten an der Akademie der bildenden Künste ein. Aus dem „Salong“, einem gemütlich eingerichteten Partyraum im Erdgeschoss des altehrwürdigen Akademiegebäudes, dringt retro Tanzmusik. Einer beginnt auf dem bemalten Klavier in der Ecke zu klimpern, als Marius‘ Kommilitonen vom Viktualienmarkt gerettete Kartoffeln schälen.

Kartoffel schälende Hände
Von wegen ungenießbar…

Im Handumdrehen sind die kleinen braunen Stellen und Triebe weggeschnitten, wegen der sie der verwöhnten Kundschaft in der Münchner Innenstadt offenbar nicht feilgeboten werden sollten. Von ihren kleinen Makeln befreit, würde niemand den schmucken Erdknollen mehr anmerken, dass sie dem Kompost gerade nochmal von der Schippe gesprungen sind. In rostigen Jugendherbergstöpfen, von denen die Deckel längst verloren gegangen sind, köcheln sie vor sich hin. Ihrem dennoch unausweichlichen Ende entgegen – nun aber immerhin im Bauch hungriger junger Künstler.

In Wirklichkeit Plastikeimer: Der Essenkorb aus dem Netz

Nicht ganz so hungrig waren offenbar Kindergartenkinder in Giesing: Ein auf dem Stadtplan der Foodsharing-Website eingestellter digitaler „Essenskorb“ zeugt davon. Hier warten noch Karotten mit heller Soße, Kürbissuppe, Schinken-Sahne-Soße und Salat mit Gurken und Tomaten vom Bio-Catering auf neue Verzehrer. So genannte Essenskörbe sind neben den Fairteilern die zweite Methode im Foodsharing-Netzwerk, verwaistes Essen und leere Mägen zusammenzubringen.

Julia Schnell hat diesen Essenskorb ins Netz gestellt, der in echten Leben eine Sammlung von „sorgsam gehüteten“, großen Gastro-Plastikeimern mit dicht schließenden Deckeln ist. Auf dem Balkon ihrer Wohnung hält sie die Eimer mit den Resten der Gerichte kühl, die es gestern und heute im Kindergarten ihres „Ältesten“ gab.

Seit eineinhalb Jahren engagiert sich die junge Mutter von drei kleinen Kindern beim Lebensmittelretten. „Es wäre doch schade um das gesunde Essen.“ Auch aus Läden, vor allem dem Bioladen Vollcorner, holt sie es ab. „Manchmal gehen die Sachen gut weg, manchmal denke ich, hoffentlich kommt noch jemand.“ Denn selbst ihr Fünfpersonen-Haushalt könne das nicht immer alles aufessen.

Heute helfen wir bei der Resteverwertung. Mit meinem zehnjähriger Sohn Simon fülle ich das Essen ab, er hilft auch beim Filmen einiger Rettungsszenen. Noch überlegt er, ob da nicht etwa ein bisschen Kinderspucke mit in den Plastikbehältern sein könnte. Ich sehe schon: Bis auch er so wie die Kinder von Julia, die zum Teil angeschimmeltes Gemüse mit aussortieren, ein richtiges Foodsharing-Kind ist, kann es noch ein Weilchen dauern. Aber auch bei uns bleibt am Ende nichts übrig – ein Anfang als Retter ist gemacht.

Im folgenden Video gibt’s ein paar Eindrücke von unserer Foodsharing-Tour:

Weitere Infos zur Initiative, Mitmachen usw.: foodsharing.de

 

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