Freiraum leben

Tiri-Tomba, Tiri-Tomba klingt der Wald

7. Mai 2018

Tiri-Tomba, Tiri-Tomba klingt der Wald

Eine Reportage über den Waldkindergarten Aubinger Lohe e.V.

Mittwochmorgen, 8.00 Uhr: Fröhlich plappernde Kinderstimmen erfüllen die Aubinger Lohe. Wo sich am Wochenende gestresste Münchner erholen und junge Familien den Nachmittag verbringen, stehen vier Frauen am Rand einer großen Wiese und warten. Mit wetterfester Kleidung im Zwiebel-Look, tief ins Gesicht gezogenen Kapuzen und dicken Wollhandschuhen trotzen sie der knapp über dem Gefrierpunkt liegenden Morgentemperatur. Es ist Anfang März und die ersten Sonnenstrahlen blinzeln durch die Wolkendecke. An der Bringwiese herrscht reges Kommen und Gehen. So nennen die Waldkinder den Ort, wo sie sich jeden Morgen von ihren Eltern verabschieden, bevor sie auf ihr Waldstück gehen. „Morgen“, ruft Korbinian in die Runde, während er seinen Rucksack auf den Haufen neben dem Bollerwagen wirft und zu seinen Freunden saust. Louis und Pepe baumeln wie bunte Weihnachtskugeln von den Ästen einer Wildkirsche. „Vroum, vroum, vroummmmmmm“ , ertönt es plötzlich. Grinsend imitieren Romeo und Oscar das Geräusch einer Motorsäge und halten ihre Stöcke an den dicken Zweig, der Louis und Pepe trägt. „Ihr plumpst gleich runter“, rufen sie kichernd.

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Spielende Waldkinder: Bunte Farbtupfer in der kahlen Wildkirsche. Foto: Claudia Evers

Frieren ade dank Taschenwärmer und Tee

Mit einem Becher heißen Tee in der Hand beobachten die Betreuerinnen das Spiel der Kinder. Von Frösteln keine Spur. „Fass mal an, wie warm das ist“, strahlt Toni und hält mir einen eulenförmigen Taschenwärmer entgegen. „Wenn du den knetest, kriegt er ’ne andere Farbe.“ „Echt? Darf ich mal probieren?“, frage ich und wittere eine Chance, meine eiskalten Finger ein wenig aufzuwärmen. „Mit der Zeit gewöhnt man sich an die Temperaturen und weiß genau, wie man sich bei welchem Wetter anziehen muss“, erklärt mir Annett. Die Sozialpädagogin leitet den Kindergarten und verbringt seit 17 Jahren jeden Vormittag im Wald. Bei jedem Wetter. Genau wie Miriam, Mitgehdienst und Fachkraft in elementarer Musikpädagogik. Annett und Miriam sind Mitgründerinnen des Waldkindergartens Aubinger Lohe e.V. Angefangen haben sie mit Mitgehdiensten unter der Leitung einer Försterin. „Die Försterin hat uns wunderbar durch den ersten Winter gebracht“, erinnert sich Miriam. Mittlerweile sind die beiden selbst zu Waldexpertinnen geworden. So viel Erfahrung und Beständigkeit ist eine Rarität in Münchner Kindergärten.

Ein Bollerwagen als mobiles Lager

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Einblicke in den Bollerwagen. Foto: Claudia Evers

Mein Blick schweift hinüber zum Bollerwagen. Das mobile Lager ist mit einer robusten, blassblauen Plane überzogen: Regen, Wind und Sonne haben ihre Spuren hinterlassen. Im Inneren des Bollerwagens befinden sich Plastikkisten mit Wechselkleidung, Erste-Hilfe-Kasten, Wasserkanister, Thermoskannen mit heißem Tee, Flüssigseife, Handtuch und Toilettenpapier. Die Kinder erledigen ihr Geschäft im Wald. Ein stilleres Örtchen gibt es nicht. In der Ferne nehme ich zartes Tirilieren wahr. Das erste Vogelgezwitscher des Jahres. Ich spüre einen Hauch von Frühling nach dem langen, dunklen, kalten Winter und meine Stimmung hellt sich auf. „Machst du ein Foto von mir? Das will ich meiner Oma schicken“, reißt mich ein helles Stimmchen aus meinen Gedanken. Simon zeigt auf meine Kamera und zerrt mich zum Bollerwagen. Er setzt sein schönstes Lächeln auf – knips. Gerade möchte mich Simon zum nächsten Motiv schleifen, als Annett dröhnt: „Rucksäcke holen.“ Die in den Bäumen baumelnden Farbtupfer lassen sich zu Boden plumpsen und rennen zum Bollerwagen. 8.45 Uhr: Alle 21 Waldkinder sind da. Wir stiefeln los.

Wohin gehen wir heute und was hast du da um den Hals?

Kein Waldtag gleicht dem anderen. Morgenkreis, Brotzeit und Abschlusskreis strukturieren den Tag. Dazwischen ist alles verhandelbar. „Wir haben bewusst nur wenig Regeln, die sich eigentlich nur auf die körperliche Unversehrtheit der Kinder beschränken. Alles andere ist verhandelbar“, erklärt Annett. Kinder und Erzieherinnen begegnen sich auf Augenhöhe, besprechen, wo sie gemeinsam den Tag verbringen wollen. Zum Waldstück oder doch lieber zum Schlittenberg? Nein, Staudämme bauen am Entenweiher. Ist es stürmisch, hält sich die Gruppe wegen der Gefahr herunterfallender Äste nicht im Wald auf. Bei nasskaltem Wetter meiden sie Seen und Weiher. So viel Nässe hält selbst die beste Kleidung nicht aus. Heute entscheiden sich die Kinder für einen Ausflug zum „oberen Waldstück“. Während ich noch darüber nachdenke, wo das obere Waldstück ist, formiert sich eine Kindertraube um mich und bombardiert mich mit Fragen: „Was hast du da um den Hals?“ Äh, meine Kamera. „Warum hast du die mitgenommen?“ Weil ich euch heute gern fotografiere würde. „Warum?“ Na, weil… „Darf ich mal dein Handy sehen?“ Handy? Ach so, das hier ist ein Diktiergerät und damit kann ich eure Stimmen aufnehmen. „Warum?“ Also, weil … „Gibst du mir jetzt deine Hand?“ Schwupp, schnappt sich Julia meine rechte Hand und Oscar greift nach meiner Linken.

Über Stock und Stein zum Tagesziel

Wir schlendern an einem großen Spielplatz vorbei bis zum ersten Haltepunkt. Lena rennt kichernd weiter, aber die Vorschulkinder pfeifen sie mit einem lauten „Lena, Haltepunkt!“ zurück und sie kehrt um. Als alle den Haltepunkt erreichen, spazieren wir weiter. Rechts neben uns ein Bolzplatz, links eine betonierte Fläche zum Eisstockschießen. Wir überqueren eine Anliegerstraße und betreten einen Trampelpfad. Schlupp, schlupp waten wir durch den Matsch und erreichen unser Tagesziel: Eine kleine Waldlichtung mit gespaltenen Baumstümpfen, selbstgeknüpften Spinnennetzen und großen Kletterwurzeln. Der Duft von feuchter Erde und frisch geschlagenem Holz kriecht in meine Nase. Kindheitserinnerungen schießen mir durch den Kopf: Wie ich als Erstklässlerin mit meiner Hortgruppe im nahegelegenen Fichtenwäldchen sauerampferkauend Stöcke schnitze.

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Morgenkreis im Waldkindergarten Aubinger Lohe e.V. Foto: Claudia Evers

Ankommen im Morgenkreis

Während ich in Erinnerungen schwelge, bereitet Alessia, die 19-jährige FÖJ-lerin, einen Kreis aus bunten Isomatten vor. Die Kinder legen ihre Rucksäcke ab und suchen sich einen Platz aus. Naemi beginnt mit der morgendlichen Erzählrunde: „Ich find´s schön, dass ich heute mit den Seilen an der großen Wurzel spiele.“ Dann ist Neo an der Reihe: „Ich mag nichts erzählen.“ „Ok“, sagt Annett und fordert das nächste Kind auf. Die Zwillinge Lena und Sophie fangen an, sich gegenseitig Blätter und Erde in ihre Kragen zu schütten. Annett unterbricht den Morgenkreis. Mit ruhiger, aber eindringlicher Stimme fordert sie die beiden auf, ihr Treiben zu beenden. Sie argumentiert, dass die Erde noch kalt und nass sei. Die Zwillinge hören auf.

Kein Waldkindergarten ohne Freispiel

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Freispiel im Waldkindergarten: Die Goldschmiede. Foto: Claudia Evers

Nach dem Morgenkreis beginnt das Freispiel und die Kinder sausen in alle Richtungen los. Ich frage mich, wann das erste Kind auf Nimmerwiedersehen im Wald verschwindet. „Die rennen nicht weg. Sie haben hier so viel Platz und ihre Freunde sind auch hier. Das ist doch viel schöner“, erklärt Steffi, als hätte sie meine Gedanken gelesen. Schnell finden sich Spielgrüppchen am Spinnennetz, an der Kletterwurzel und am frisch gespaltenen Baumstumpf. Jona, Pepe und Frederik entdecken einen vom Sturm umgeknickten Baum und funktionieren ihn kurzerhand in eine Goldschmiede um. Sie produzieren große und kleine Matschkugeln und lassen ihre Diamanten und Goldklumpen in den Baumstumpf gleiten. Tirili, tirili mischen sich die Singvögel unter das Kindertreiben. Leichtigkeit und ansteckende Heiterkeit liegen in der Luft. Die Betreuerinnen lehnen an den Bäumen, beobachten das Freispiel der Kinder und halten sich bewusst zurück. Das war Annett und Miriam bei der Erstellung des pädagogischen Konzeptes für ihren Waldkindergarten wichtig. „Wir haben uns aus allen pädagogischen Ansätzen das herausgesucht, was am besten zu uns passt und daraus ein eigenes Konzept gebastelt“, erklärt Annett. Den Kindern viel Freiraum zu lassen und sich so wenig wie möglich in ihr Spiel einzumischen, ist ein grundlegendes Element der Waldpädagogik, das alle 17 Münchner Waldkindergärten eint. „Hier draußen kann sich einfach jedes Kind den Platz suchen, den es braucht. Sei es zum Toben oder zum Ruhen“, sagt Annett. Das Konzept des Waldkindergartens entstand vor 50 Jahren in Dänemark. 1993 eröffnete in Flensburg der erste staatlich anerkannte Waldkindergarten. Inzwischen gibt es mehrere hundert Wald- oder Naturkindergärten in ganz Deutschland. Tendenz steigend.

Ist mein Kind ein Waldkind?

„Wenn du mit dem Matsch nichts anfangen kannst, bist du hier nicht gut aufgehoben“, erklärt Annett schmunzelnd und schielt hinunter zu ihren schlammigen Hosenbeinen. „Auch nicht, wenn du materiell eingestellt bist und dein Kind daran gewöhnt ist, viel beschäftigt zu werden. Wir verstehen jeden Morgenkreis, jeden Abschlusskreis, jedes Gespräch und jede Idee, die wir unterstützen, als Förderung.“ Ob der Waldkindergarten das Richtige für den Nachwuchs ist, erfahren interessierte Eltern bei einem Probetag. Die Familie begleitet die Waldkinder einen Vormittag lang und lernt den Tagesablauf und das pädagogische Konzept kennen. Über die Jahre hat Annett ein Gespür dafür entwickelt, wer ein kleiner Waldschrat ist und wer nicht. Im Laufe des Probetages fragen die Erzieherinnen die Eltern nach ihrer Erwartungshaltung an den Kindergarten. Niemandem ist geholfen, wenn sich Mama, Papa, Klein-Ludwig oder Klein-Leni mit schlammigen Hosen und Matschhandschuhen oder bei frostigen Temperaturen nicht wohlfühlen.

„Der Wald ist eine Erziehungsperson“

Vogelstimmen lauschen, weiches, saftiges Moos berühren, an Giersch schnuppern, die Augen im dämmrigen Licht zusammenkneifen, über Wurzeln balancieren und Walderdbeeren naschen. Im Wald gibt es immer etwas zu entdecken und alle Sinne werden täglich aufs Neue beansprucht. Die Kinder erleben den Jahreszeitenwechsel intensiv. Sie dürfen selbst entscheiden, wann sie Handschuhe tragen oder barfuß gehen und entwickeln dadurch eine intensive Körperwahrnehmung. „Der Wald ist eine Erziehungsperson“, meint Steffi. Die 38-Jährige ist seit einem halben Jahr Erzieherin im Waldkindergarten. Davor arbeitete sie in einem Montessori-Kindergarten. Steffi stellt deutliche Unterschiede zwischen Hauskindern und Waldkindern fest. „Waldkinder können schon früh Knoten binden und Bäume sicher erklimmen. Das kenne ich sonst nur von Vorschulkindern. Außerdem rennen die Kinder nicht gleich zu uns Erwachsenen, wenn sie ein Problem haben. Sie versuchen es erst einmal allein zu lösen. Nur wenn sie nicht weiterkommen, holen sie uns. Oder sie lehnen sich an einen Baum, ruhen und denken darüber nach.“ Diese Ausgeglichenheit der Kinder spüre ich in jeder Pore. Kinder und Betreuerinnen bilden mit dem Wald eine Einheit. Kraftvolle, energische Momente wechseln sich mit ruhigen Augenblicken ab. „Die Kinder sind viel mehr bei sich, weil sie den Raum dafür haben. Die Energie der anderen Kinder strömt nicht so stark auf sie ein“, sagt Steffi.

Campingflair mit Wasserkanister und Isomatten

„Brooootzeit. Hände waschen“, ruft Annett mit durchdringender Stimme. Es ist 10 Uhr. Eine bunte Schlange formiert sich vor Miriam. Mit einem Handtuch über der Schulter hält sie einen Wasserkanister in den Händen. Ein großer Schluck für jedes Kind, kräftig reiben, abspülen, fertig.

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Händewaschen vor der Brotzeit. Foto: Claudia Evers

Als alle Kinder auf ihrer Isomatte sitzen, darf Naemi den Brotzeitspruch aussuchen. Helle Kinderstimmen mischen sich unter das Vogelgezwitscher und tönen:

„Erde, die uns dies gebracht,
Sonne, die es reif gemacht:
Liebe Sonne, liebe Erde,
Euer nie vergessen werde.
Guten Appetit.“

Raschel, klapper, knister. Die Kinder kramen ihre Brotzeitdosen hervor. Korbinian und Josha teilen sich ein Stück Käse. „Bum, bum, bum“, rufen sie mampfend und mit dem Oberkörper bebend. Im Käse steckt Sprengpulver und sie fliegen gleich in die Luft. Lautes Kichern. Die Kinder dürfen die Dauer ihrer Brotzeit selbst bestimmen. Wer fertig ist, steht auf, räumt ganz selbstverständlich Brotzeitdose und Trinkflasche zurück in den Rucksack. Vielleicht noch mal schnell in die Piesel-Ecke, bevor es weitergeht mit dem Freispiel. Alessia hilft beim Öffnen und Schließen von Schnallen und Reißverschlüssen. Im März hat sie damit alle Hände voll zu tun. Fleecejacke ratsch, Skihose zurr, Matschhose klick und zum Schluss noch die wasserdichte Jacke ratsch.

Der Klang des Waldes

„Wer möchte mit mir Musik machen?“ fragt Miriam. „Iiiiich…“, ruft es aus verschiedenen Richtungen. Sechs Kinder schnappen sich eine Isomatte und mit einem lauten tut, tuuut…… tut, tuuut setzt sich der Band-Bus in Bewegung.

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Der Band-Bus auf dem Weg zur Musikprobe. Foto: Claudia Evers

Für Miriam ist das wöchentliche Musikangebot mehr als nur hinsetzen und Lieder singen. „Der Rhythmus ist enorm wichtig für die Entwicklung von Kindern, insbesondere für den Spracherwerb. Ich arbeite gern mit Stimmungen und Rhythmen“, sagt die Musikpädagogin. Heute hat Miriam nagelneue Trommeln im wasserdichten Gepäck. Jedes Kind darf sich eine aussuchen und los geht´s. Leise trommeln 60 kleine Finger einen Rhythmus und singen:

„Tiri-Tomba, Tiri-Tomba
Lange war es grau und bitter, bitterkalt
Tiri-Tomba, Tiri-Tomba
Lieber Frühling komm´ doch bald.“

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Die ersten Schneeglöckchen. Foto: Claudia Evers

Plötzlich spüre ich eine kleine, warme Hand an meinem Zeigefinger. „Komm, wir suchen den Frühling“, ruft Sophie lachend und zieht mich hinter sich her. Langsam und vorsichtig, die Augen auf den Waldboden gerichtet, schleichen wir tiefer in den Wald hinein und entdecken die ersten Schneeglöckchen des Jahres. Wir lassen uns neben den Schneeglöckchen nieder, wohl darauf bedacht, sie nicht zu zerquetschen und trommeln los. Erst ganz zaghaft tiri tomba, tiri tomba, dann immer kräftiger tiri, tiri, tiri tom-BA. Die Trommelgeräusche erinnern mich an Rituale von Naturvölkern, die im tiefsten Busch ihren Göttern huldigen. Gemeinsam rufen wir noch einmal laut den Frühling herbei: „Lieber Frühling komm´ doch bald.“ Die Kinder geben alles. Morgen hält der Frühling Einzug. Ganz bestimmt.

Vom Knotenbinden, Ratschen und Träumen

Bevor sich der Band-Bus in Bewegung setzt, legen die Musiker ihre Trommeln zurück in die Tasche. Tut, tuuut…… tut, tuuut schallt es durch den Wald. Die vorbeilaufenden Spaziergänger können sich ein Lachen nicht verkneifen. Als wir das obere Waldstück erreichen, gleicht es einem bunten Mosaik aus Handschuhen, Rucksäcken und Regenhüllen. Eine Gruppe spielt an einer großen, umgestürzten Wurzel: Die Kinder haben Kletterseile um die Wurzelausläufer geknotet. Am Seilende sind rote Metalleimer befestigt, die sie abwechselnd mit Steinen und Schlamm befüllen. Hau-ruck, hau-ruck zieht Neo den Eimer schnaufend hoch. Danach bindet er der kleinen Neyla ein Seil um die Taille…

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Freispiel an der umgestürzten Wurzel mit Eimern und Seilen. Foto: Claudia Evers

Hinter dem Spinnennetz hat es sich eine Gruppe von Vorschuljungen bequem gemacht. Lässig chillen sie auf den Baumstümpfen und erzählen sich Quatschgeschichten. „Ich hab schon mal eine ganze Flasche Schnaps getrunken“, prahlt Korbinian. Pepe und Frederik lachen lauthals los. „Und ich hab schon mal 20 Zigaretten geraucht“, versucht Pepe Korbinian zu übertreffen. „Hey Frederik, bist du noch Polizist?“, fragt Korbinian plötzlich. „Ja, klar“, antwortet Frederik. Die Jungs beenden ihre Pause und machen sich wieder an die Arbeit. Josha bleibt noch eine Weile rücklings auf dem Waldboden liegen und beobachtet, wie die Wolken vorüberziehen.

„Ich fand´s schön… – Fertig.“

Ich atme mit geschlossenen Augen tief ein und lasse die vielen Sinneserfahrungen des Tages sacken. Trotz der tausend Fragen, Eindrücke und Informationen fühle ich mich wach, zufrieden und innerlich aufgeräumt. Als hätte der Wald meine inneren Anspannungen geschluckt und in positive Energie umgewandelt. „Rucksäcke holen, Abschlusskreis“, tönt Annett und holt mich zurück ins Hier und Jetzt. Jedes Kind packt seinen Rucksack, mit seinen Sachen. Charlotte hilft Neyla beim Zuclipsen der Verschlüsse. Lisa dreht Aliyahs Flasche zu und setzt ihr den Rucksack auf. Am Ende ist der Platz picobello und jeder Handschuh landet im richtigen Rucksack. Die Kinder knien sich auf den Boden, singen ein Lied und reflektieren gemeinsam den Tag. „Ich fand´s schön, dass ich heute Suppe gekocht hab. Fertig“, resümiert Julia ihren Vormittag. Reihum erzählt jedes Kind von seinen Erlebnissen. Am Ende rennen alle zurück zum Spielplatz, wo sie von ihren Eltern in Empfang genommen werden. Ich fahre mit matschiger Kleidung, klebrigen Schuhen und den Rhythmus von Tiri-Tomba trommelnd nach Hause. Entschleunigt und ganz bei mir selbst.

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