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„Purple Sheep“

7. Mai 2018

„Purple Sheep“

„Purple Sheep“ – Schmackhafter ziviler Ungehorsam.

Reportage über eine Live-Schaltung von München nach Wien

München, den 9. März 2018 um 20:00 Uhr. Ich betrete das Café Bellevue di Monaco, um an einer Info-Veranstaltung über den Verein „Purple Sheep“ teilzunehmen. Mehr als ein Dutzend interessierte Gäste haben sich bereits eingefunden. Spannung liegt in der Luft. In diesem Café sitzt ein Mann mit beigem Hemd, einer dicken Hornbrille und einem schwarzen Hut, der mich freundlich begrüßt. Dieser heißt Matthias Weinzierl (46), Gründungsmitglied der Sozial-Genossenschaft Bellevue di Monaco. Hierbei handelt es sich um ein Projekt für Geflüchtete im Herzen der Stadt München, das Wohnen, Bildung, Information und Kultur miteinander verbindet. Weinzierl ist eines der drei Vorstandsmitglieder des Bellevue di Monaco und arbeitet dort seit Mai 2017 hauptamtlich als Projektleiter. Er verantwortet den flüchtlingspolitischen Anspruch der Initiative, koordiniert das ehrenamtliche Engagement und leitet den Aufbau der Austausch-, Lern-, Bildungs- und Beratungsangebote. Darüber hinaus betreut er als Herausgeber das „Hinterland Magazin“, das vierteljährlich erscheint.

Foto: Logo des Wiener Flüchtlingsvereins „Purple Sheep“

Can’t relax in Österreich – Flüchtlingssolidarität im Zeichen schwarz-blauer Politik

Mit der Themenreihe „Can’t relax in…“ befasst sich Bellevue di Monaco mit aktuellen flüchtlingspolitischen Situationen in unterschiedlichen Ländern und stellt lokale Initiativen und Projekte vor. An diesem Abend geht es um die Flüchtlings- und Asylpolitik in Österreich.  Hierzu diskutiert Matthias Weinzierl per Live-Schaltung nach Wien mit Karin Klaric, Aktivistin und Gründerin von „Purple Sheep“. Diese Initiative unterstützt illegalisierte und obdachlose Geflüchtete bei der Wohnungssuche und setzt sich gegen deren Abschiebungen ein.

In der Live-Schaltung per Skype nach Wien wird die Politik der neuen rechtskonservativen Regierung thematisiert. Diese diskriminiert Geflüchtete und versucht auf die Arbeit der Unterstützer Einfluss zu nehmen. Dies habe schon jetzt weitreichende Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben in Österreich. Wie genau sehen diese Konsequenzen in der Praxis aus? Was bedeuten sie für den täglichen Einsatz mit und für Geflüchtete? Wie hat sich die öffentliche Stimmung seit der Wahl verändert und was sind geeignete Gegenstrategien? Diese und weitere Fragen diskutieren Weinzierl und Klaric heute Abend.

Ziviler Ungehorsam – Gründung und Ziele

Karin Klaric gründete „Purple Sheep“ im April 2010. Als ehrenamtliche Rechtsberaterin für Asylbewerber und Fremde erlebte sie täglich die Auswirkungen der fremdenfeindlichen Debatten und der immer härteren Gesetzeslage. Dagegen wollte sie ein Zeichen setzen. Mit „Purple Sheep“ kämpfen Klaric und ihre Freunde für ein besseres Miteinander in Österreich. So beschreibt sie es während der Live-Schaltung.

„Mein Ziel ist es, dass die von der österreichischen Verfassung garantierte Einhaltung, Förderung und Sicherung der Menschenrechte umgesetzt und der öffentlichen Fremden-Feindlichkeit klare Grenzen gesetzt werden“, so Klaric. Daher versucht „Purple Sheep“ schutzbedürftige Menschen mit ganzer Kraft zu unterstützen und den Staat an seine humanitäre Pflicht zu erinnern, Menschen vor Rechtsverletzungen, Unrecht und Willkür zu schützen. Dadurch soll erreicht werden, dass die politischen Entscheidungsträger sich dem Ursprung und der grundlegenden Werte, ebenso der Entstehungsgeschichte der österreichischen Republik wieder bewusstwerden. Sie sollen sich daher nicht scheuen, diese Werte auch umzusetzen.

In den letzten Jahren hat sich die politische und gesellschaftliche Stimmungslage sehr aufgeheizt. Die Ansichten der Bevölkerung sind weit nach rechts gerückt. Deshalb werden Flüchtlingshelfer oft kriminalisiert und Hilfseinrichtungen sogar angegriffen. Dadurch soll deren Arbeit für Geflüchtete erschwert werden, erzählt Klaric. Die neue Regierung versucht diese Stimmung medienwirksam zu nutzen, um das gesellschaftliche und politische Klima zu ihren eigenen Gunsten zu beeinflussen. „Die Gesellschaft soll dadurch weiter polarisiert, unsere Arbeit von Seiten der Behörden weiter behindert werden, mit dem Ziel alle Asylbewerber und Fremde als böse und schlecht zu diffamieren“, sagt Klaric ganz bedrückt, aber mit fester Stimme.

Aufgeben will sie deswegen nicht, das ist für sie keine Alternative, sie kämpft weiter. Ihr gegründeter Verein „Purple Sheep“ lehnt jede Form von Gewalt, Respektlosigkeit und jede Behinderung der Behörden ab. Stattdessen soll ein friedlicher, geordneter und wertschätzender Umgang mit allen Beteiligten im Vordergrund stehen. Niemanden soll dazu aufgefordert werden, aktiven Widerstand gegen die Staatsgewalt zu leisten. Vielmehr ist Klaric davon überzeugt, dass Unrecht nicht mit Unrecht bekämpft werden kann, sondern mit Recht bekämpft werden muss.

Engagement und Aktivitäten – Wie wird den Geflüchteten konstruktiv geholfen?

„Purple Sheep“ will mit seiner Arbeit unter Beweis stellen, dass die Zivilgesellschaft lebt, sich friedlich, respekt- und würdevoll gegenüber allen Menschen verhält. Unmenschlichkeiten und Rechtswidrigkeiten im Fremden- und Asylrecht werden nicht toleriert. „Purple Sheep“ bietet ehrenamtlich und unentgeltlich eine umfangreiche Rechtsberatung für Asylwerber und Fremde. „Wir begleiten und organisieren Kampagnen und Initiativen, deren Ziel die Einhaltung und Förderung der Rechte von Asylwerbern und Fremden ist.

Wir stellen jedem Interessierten Informationen zur aktuellen Praxis im Asyl- und Fremdenrechtsbereich zur Verfügung“, erklärt Klaric. Darüber hinaus werden Missbräuche und Härtefälle dokumentiert und ins öffentliche Bewusstsein gerufen. „Wir arbeiten eng mit Medienvertretern, Künstlern und Filmemachern zusammen und gewährleisten sachliche und seriöse Hintergrundinformation für ihre Berichterstattung“, erläutert Klaric. Einige österreichische Künstler unterstützen „Purple Sheep“, darunter der Schauspieler und Kabarettist Josef Hader.

Hans Jörg Ulreich, Bauträger und Mitbegründer der Initiative Freunde schützen Haus stellt dem Verein „Purple Sheep“ seit September 2010 ein Haus in Wien-Meidling zur Verfügung. Ursprünglich hatte er dieses Haus zu Sanierungszwecken gekauft. Als jedoch eine gut integrierte befreundete Flüchtlingsfamilie innerhalb von nur drei Tagen in ihr Herkunftsland Kosovo abgeschoben werden sollte, startete er gemeinsam mit Klaric eine Online-Petition, um diese Abschiebung noch zu verhindern. Jedoch waren ihre Bemühungen leider vergeblich.

„Dieser Familie wurde von Seiten der Behörden nicht einmal die Zeit gegeben einen Asylantrag zu stellen. Selbst wenn sie diese Zeit gehabt hätten, wäre der Antrag negativ entschieden worden. Denn jene Behörden, die für die Abschiebung zuständig waren, hätten auch maßgeblich über den Antrag für einen Verbleib der Familie entscheiden müssen,“ erklärt Klaric. Sie wollte daher diesen rechtlichen und administrativen Interessenskonflikt, den sie selbst als Unrecht bezeichnete, aufzeigen und dokumentieren. Daraufhin stellte Hans Jörg Ulreich ein Gebäude zur Verfügung, in welches die betroffenen Familien einziehen und betreut werden konnten.

Mittlerweile gibt es dort rund 50 Wohnungen, in denen gut integrierte Familien mit langjährigem Aufenthaltsstatus als Asylwerber untergebracht werden können. Einige dieser Familien konnten so vor Abschiebungen geschützt werden. „Gemeinsam soll ein Zeichen gegen das täglich umgesetzte Unrecht und für ein gerechtfertigtes Bleiben unserer Freunde gesetzt werden“, erklärt Klaric. Hiermit soll eine Änderung der aktuellen Gesetzeslage im Asylrecht herbeigeführt werden.

 „Purple Eat“ – Weil Integration durch den Magen geht

Im Jahr 2014 gründete Kurosch Allahyari, einer der Mitbegründer von „Purple Sheep“, gemeinsam mit Freunden das Projekt „Purple Eat“. Dieses Projekt besteht aus einem lila Marktstand von Geflüchteten, die ihre heimischen Kochkünste unter Beweis stellen und dabei mit Einheimischen ins Gespräch kommen können. Der Austausch auf Augenhöhe spielt für den Integrationserfolg eine große Rolle. Am 17. Februar 2014 konnte dieser Marktstand auf dem Meidlinger Markt eröffnet werden. Seither gibt es nach liebevoller Restaurierung täglich wechselnde Tagesgerichte aus aller Welt nach Originalrezepturen der Hausbewohner. Zum Angebot gehören inzwischen Bio-Weine, Bio-Bier, Bio-Säfte und Purple Coffee (hergestellt in der Kaffeerösterei Grandoro).

Fix auf der Speisekarte und frisch gebraten werden nach Frau Cismans Rezept somalische Sambouzas, georgisches Chatschapuri und der Wodkateller. Letzterer wurde gemeinsam von Wodkaexperten und russischen Freunden des Flüchtlingsprojekts ausgewählt. Gekocht wird mit regionalen Bio-Produkten. „Purple Eat“ hat sich so von einem Marktstand zu einem Restaurant weiterentwickelt, in dem nicht geraucht werden darf. Alle Mitarbeitende, ebenso die Betriebe, die an diesem Projekt beteiligt sind, arbeiten ehrenamtlich und unentgeltlich. Der gesamte Erlös kommt direkt den Betroffenen zugute.

Foto: Tobias Heinzelmann

„Guter Wein für guten Zweck“ – Kaufen, genießen und Gutes tun
Der Verein „Purple Sheep“ ist parteiunabhängig und finanziert sich ausschließlich durch private Spenden. Somit behält er seine Kritikfähigkeit an der Regierung und an sozialen Missständen. An dieser Stelle ist ganz besonders eine Winzergenossenschaft als Hauptsponsor hervorzuheben, die langjährige, gute Freunde von „Purple Sheep“ sind und diesen Verein tatkräftig unterstützen. „Guter Wein für guten Zweck“, dieser Slogan kann, so Klaric, als eine geeignete Gegenstrategie gegenüber der rechten Stimmungsmache bezeichnet werden: Mit dem Ziel, der österreichischen Zivilgesellschaft den Rücken zu stärken. Wer diesen Wein kauft, unterstützt nicht nur „Purple Sheep“, sondern auch das Integrationshaus Wien. Dieses Integrationshaus, 1994 gegründet, ist ein österreichisches Projekt der Flüchtlingshilfe. Durch umfassende Angebote soll Geflüchteten, Asylwerbern und Migranten Schutz und Sicherheit geboten und ihnen zugleich dabei geholfen werden eine Zukunftsperspektive zu finden.

Das Winzerpaar Heike und Gernot Heinrich aus Gols (im Burgenland) hat sich die Integration von Menschen aus anderen Kulturkreisen zur Aufgabe gemacht. Damit Menschen, die aus anderen Ländern geflüchtet sind, ihren Teil zur Gesellschaft in Österreich beitragen können, müssen sie gut integriert werden durch den Erwerb von Sprachkenntnissen, kulturelle Einbindung und Ausbildung. Der Verkaufserlös ihrer fünf Weine spenden die Winzer zu Gunsten des Integrationshauses und „Purple Sheep“. Den guten Zweck tragen die Weine „Guter Blaufränkisch“, „Guter Zweigelt“, „Guter Merlot“, „Guter Chardonnay“ und „Guter St. Laurent“ schon in ihrem Namen.

Im Jahr 2017 kamen so 40.000 Euro durch den Verkauf exklusiv über das Unternehmen INTERSPAR-Weinwelt zusammen, das für ausgezeichnete Weine in ganz Österreich bekannt ist. Die österreichische Supermarktkette SPAR verdoppelte daraufhin diese Summe auf 80.000 Euro. „Besonders gut sind diese Weine erst dann, wenn sie nicht nur hervorragend schmecken, sondern zusätzlich noch Gutes tun. Daher unterstützen wir gerne die Idee des Weinguts Heinrich“, so erklärt der SPAR-Vorstandsvorsitzende Dr. Gerhard Drexel seine Kooperation.

Initiiert wurde diese Spendenaktion durch das Winzerpaar Heinrich. Die Winzerin Heike Heinrich ist persönlich im Verein „Purple Sheep“ engagiert. „Die Vorstellung, von heute auf morgen mit nichts in ein fremdes Land zu kommen, wo man spürt, nicht erwünscht zu sein – gibt es etwas Schlimmeres? Die guten Weine sollen eine Art Flaschenpost sein, die bewusstseins-bildend auf hoffentlich immer mehr Menschen wirken sollen.“, so Heike Heinrich. Dank solch großartiger Unterstützung will Klaric, die österreichweit vernetzt ist, die Hoffnung trotz aller widrigen Umstände nicht aufgeben. Sehr gerne wäre sie an diesem Abend höchstpersönlich zur Veranstaltung nach München gekommen. So lautet ihr Schlusswort bei der Verabschiedung per Skype. Dem Café Bellevue di Monaco will sie weiterhin verbunden bleiben: „Liebesgrüße aus Wien“.

Foto: Tobias Heinzelmann

Rückbesinnung auf grundlegende zwischenmenschliche Werte
Nach dieser einstündigen Live-Schaltung gab es zum heiteren Ausklang des Abends wegen des ernsten Themas verschiedene Weine (für „Purple Sheep“) zu probieren. Die Barkeeperin stellte sie als Kostprobe gegen eine Spende zur Verfügung. Dies lockerte die bedrückte Stimmung etwas auf, einige Gäste schauten dennoch bedröppelt drein. Dies ist angesichts der derzeitigen politischen Situation im Nachbarland nur allzu verständlich. In Gesprächen mit einigen Aktivisten aus verschiedenen Münchener Flüchtlingsinitiativen wurde eines mehr als deutlich:

Dem erstarkten Rechtspopulismus und der sozialen Spaltung in unserer Gesellschaft kann nur durch eine Rückbesinnung auf grundlegende zwischenmenschliche Werte wie Solidarität, Toleranz und Gastfreundschaft begegnet werden. „Purple Sheep“ solle aufgrund seines herausragenden und beeindruckenden Engagements für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen werden, waren sich einige Gäste einig. Außerdem solle vielmehr in der Öffentlichkeit über diesen recht unbekannten Verein und andere Flüchtlingsinitiativen dieser Art berichtet werden.

Beides leuchtet sofort ein. Letzten Endes sollen dadurch Menschen ermutigt werden, sich für andere Menschen in akuter Notlage einzusetzen, unabhängig von deren Nationalität. Gemeinsam können wir die Entwicklung fördern, indem wir den Boden für positive Veränderungen, gegen Hass, Hetze, Rassismus und Nationalismus bereiten. Vereint im Fokus für eine Welt des sozialen Miteinanders, in der Respekt und Solidarität wohnt und sich alle Menschen frei bewegen sowie ihre eigenen Freiräume erschließen können. Dies sollte unser aller Ziel sein.

Quelle: PurpleSheep / Youtube.com

Fotoquelle (Headerbild): CASH – Das Handelsmagazin