Feierabendglück – ein Start-up macht Boden gut

24. Oktober 2017
Feierabendglück – ein Start-up macht Boden gut

100 Prozent Bio – das ist die Vision des Start-ups Feierabendglück. Mitbegründer Michi Lindlbauer erklärt, wie es trotz Hürden gelingen kann, gemeinsam Boden gutzumachen.

Eigensinn: Aktuell werden circa 7,5 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland nach biologischen Kriterien bewirtschaftet. Ihr habt euch das Ziel gesetzt, das grundlegend zu ändern. Wie wollt ihr das schaffen?
Michi Lindlbauer: Unser Wunschziel, 100 Prozent Bio-Anbau in Deutschland, wollen wir einerseits über die Stärkung der Nachfrage-, andererseits über die der Angebotsseite erreichen. Wir haben uns die Ausgangsfrage gestellt: Was hält die Leute davon ab, regionale Bioprodukte zu kaufen? Der Hauptgrund ist der hohe Preis. Um dieses Argument zu entkräften, haben wir das vegetarische Kochbuch „[in a box]“ entwickelt. Die Vorgabe war, dass jedes Gericht aus 100 Prozent saisonalen Bio-Zutaten höchstens 3,50 Euro pro Person kosten sollte. Das Dilemma auf der Angebotsseite ist, dass viele Bio-Produkte importiert werden müssen, weil hierzulande die Flächen fehlen. Deshalb gehen pro Rezeptbox 1,50 Euro an unseren Kooperationspartner, die BioBoden Genossenschaft. Diese erwirbt damit jeweils einen Quadratmeter Land in Deutschland und stellt diesen zu fairen Preisen Bio-Bauern zur Verfügung. Nach einem Jahr konnten wir so bereits 4.000 Quadratmeter Boden gut machen.

Feierabendglück

Der ökologische Landbau stärkt die Bodenorganismen und verbessert damit langfristig die Bodenfruchtbarkeit, während der Einsatz von chemischem Dünger in der industriellen Landwirtschaft der Umwelt schadet. Die Gründer von Feierabendglück wollen deshalb nicht nur mehr Bewusstsein für dieses Thema schaffen, sondern auch unmittelbar für mehr ökologisch bewirtschaftete Fläche sorgen. Ihr erstes Produkt, das Kochbuch [in a box], soll den Konsum von saisonalen, regionalen und biologischen Produkten so einfach und attraktiv wie möglich machen:
  • Bei jedem der 52 Rezepte ist auf einen Blick erkennbar, in welchen Monaten die Zutaten Saison haben
  • Über den Link beziehungsweise den QR-Code auf der Rückseite der Rezeptkarten gelangt man zu einem kurzen Online-Video mit Kochanleitung
  • Die durchschnittliche Zubereitungszeit für alle Rezepte beträgt circa 35 Minuten
  • Die Rezeptkarten werden nach dem Cradle-to-Cradle-Verfahren produziert: Sie sind vollständig biologisch abbaubar und erreichen den weltweit höchsten Ökodruckstandard
  • Die Aufbewahrungsbox besteht aus zu 100 Prozent recyclebarem Weißblech und wird komplett CO₂-neutral produziert
  • Mit jedem verkauften Kochbuch [in a box] vergrößert sich die Bio-Anbaufläche in Deutschland automatisch um einen Quadratmeter
  • Feierabendglück bringt regelmäßig Erweiterungen heraus, die aus 15-20 Rezeptkarten bestehen und einfach in die Box einsortiert werden können – zuletzt das Set „Sarah Wieners Feierabendküche“

Wie kam es zur Gründung eures Unternehmens im Februar 2016?
Wir, die drei Gründer vom Feierabendglück, Gedi Deckers, Gitti Günther und ich, kommen alle aus dem Nachhaltigkeitsbereich und beschäftigen uns in diesem Zusammenhang seit geraumer Zeit auch mit dem Thema Bodenschutz. Als die Vereinten Nationen 2015 das „Internationale Jahr des Bodens“ ausgerufen haben, fiel uns auf, wie wenig Resonanz es diesbezüglich von den Medien gab und wie wenig Lobby der Boden hat, obwohl er – nach den Weltmeeren – der zweitgrößte Kohlenstoffspeicher der Welt ist und die Grundlage unserer Ernährung bildet. Ohne Humusschicht kann kein Kohlenstoff mehr gespeichert werden. Im Gegenteil: Der Boden verliert seine Fruchtbarkeit und stößt zusätzlich CO2 aus. Da es in unseren Augen noch wenige Player auf diesem Gebiet gab und wir alle drei Persönlichkeiten sind, die gerne Dinge in die Hand nehmen und eigene Entscheidungen treffen, haben wir beschlossen aktiv zu werden.

Unser ursprüngliches Ziel war dabei die Feierabendtüte, die Unternehmen ihren Mitarbeitern als besonderen Benefit zur Verfügung stellen können. Diese sollte ein saisonales Rezept und die dafür nötigen regionalen Bioprodukte enthalten. Da sich die Konzeption der Anleitungen und die Kochvideos recht aufwändig gestalteten, haben wir die Feierabendtüte hintangestellt und im Herbst 2016 zunächst über eine Crowdfunding-Kampagne unsere nachhaltig produzierten Rezeptboxen finanziert. So hatten wir jetzt, ein Jahr später, nicht nur ein ausgereiftes Produkt und die passenden Rezepte für die Feierabendtüte, sondern auch erste Erfolge gegenüber Unternehmen vorzuweisen, denen wir die Feierabendtüte vorgestellt haben.

Das klingt recht zielstrebig. Aber der Schritt in die Selbstständigkeit ist ja durchaus ein Risiko. Warum habt ihr es dennoch gewagt?
Das Risiko war am Anfang kein Thema. Wir wollten in erster Linie unsere Vision voranbringen. Unseren ersten Prototyp konnten wir mit Hilfe des SCE Förderprogramms bauen. Im Anschluss haben wir von der Beratung und dem Netzwerk der Social Entrepreneurship Akademie profitiert. Der entscheidende Schritt, um aus der Idee ein professionelles Business zu machen, war die Crowdfunding-Kampagne. Mit dieser Unterstützung konnten wir die Produktion starten. Jetzt, nach anderthalb Jahren, stellt sich allerdings die Frage nach der langfristigen finanziellen Gestaltung.

Was muss man mitbringen, um ein Sozial-Unternehmen erfolgreich auf den Weg zu bringen?
An erster Stelle Idealismus, sonst hält man nicht über Jahre hinweg durch. Fachwissen ist natürlich ebenfalls immens wichtig. Bei uns trägt diesbezüglich jeder seinen Teil bei: Ich bin für Finanzierung und Social Media zuständig, Gedi für die Entwicklung des Unternehmens aus rechtlicher Perspektive sowie für die Pressearbeit. Strategie und Produktentwicklung betreuen wir als Geschäftsführer gemeinsam. Gitte, die das Unternehmen mitbegründet hat, ist als Grafikexpertin für Corporate Identity, Produktdesign und Kommunikation verantwortlich. Darüber hinaus verfügen wir zum Glück über ein sehr gutes privates Netzwerk – meine Schwester etwa ist Fotografin und eine enge Freundin arbeitet als Köchin. Das hat uns extrem geholfen, zumal wir den Anspruch hatten, von Anfang an professionell vorzugehen.

Wo musstet ihr Kompromisse eingehen, die eurem eigentlichen Ziel entgegenstehen?
Kompromisse mussten wir auf jeden Fall in finanzieller Hinsicht machen, so haben wir uns lange kein Gehalt gezahlt. Auch sind wir von unserer ursprünglichen Vorstellung einer Vier-Tage-Woche leider weit entfernt. Aber es ist gut zu wissen, wo man hin will. Gerade am Anfang mussten wir bei den Packaktionen und den Messen durchaus auch körperlich alles geben. Außerdem mussten wir uns ein Auto anschaffen, da Carsharing uns an dieser Stelle nicht weitergeholfen hätte. Aber für 2018 haben wir vor, es wieder abzuschaffen.

Wie kommt ihr intern zu einem Konsens, wie die gemeinsame Idee am besten vorangetrieben werden kann?
Viel diskutiert wird die Auslegung des Begriffs der Nachhaltigkeit. Aktuell steht dabei auch der wirtschaftliche Aspekt zur Debatte. Schließlich müssen wir unsere Produkte verkaufen, um voranzukommen. In diesem Zusammenhang ist etwa die Frage, ob man besondere Konditionen für Studenten anbieten oder sogar Rezepte kostenlos zur Verfügung stellen sollte, von Belang. Wie können wir unser Portfolio skalieren, um schneller in die Breite zu gehen? Uns allen ist bewusst, dass nicht viel Zeit bleibt, wenn wir das Zwei-Grad-Ziel (Anm. d. Red.: Das Zwei-Grad-Ziel beschreibt das Ziel der internationalen Klimapolitik, die globale Erwärmung auf weniger als zwei Grad Celsius gegenüber dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung zu begrenzen.) halten wollen. Deshalb treffen wir uns einmal im Jahr zu einem Strategiemeeting, um zu definieren, wo wir hin wollen und wie die nächsten Schritte aussehen. Da alle ihren Teilbereich haben, in dem sie federführend sind, reden wir uns da nicht gegenseitig rein. Für kurzfristige Fragen kommt Gitte alle zwei Wochen aus München zu uns nach Augsburg. Das ist wichtig, denn es bewegt sich ständig so viel in Belangen, wo wir uns abstimmen müssen.

Wie war bisher das Feedback von Privatleuten, Partnern und B2B-Kunden?
Im persönlichen Umfeld haben wir sehr schnell Unterstützung erfahren. In der Phase der Ideenentwicklung kam immer wieder die Frage von Freunden, ob die Rezepte auch ohne Feierabendtüte erhältlich sein würden. Daher wussten wir, dass ein entsprechender Bedarf vorhanden war. Darauf konnten wir uns während der Crowdfunding-Kampagne stützen. Um schneller voranzukommen, haben wir darüber hinaus ein Netzwerk aus Partnern geknüpft und Kooperationen geschlossen – zuletzt mit Sarah Wiener, die für uns ein Erweiterungsset an Rezepten zusammengestellt hat. In den Reihen der NGOs unterstützen wir uns gegenseitig auf der Kommunikationsebene. Bei größeren Unternehmen dauern Entscheidungen erfahrungsgemäß länger. Die Resonanz auf unsere Feierabendtüte war bisher positiv, aber bis wir hier Genaueres sagen können, wird wohl noch etwas Zeit vergehen.

Ihr seid mittlerweile gut vernetzt. Mit welchen Gefühlen und Erwartungen blickst du in die Zukunft?
Über 4.000 Quadratmeter Boden haben wir bereits im ersten Jahr gutgemacht – immerhin. Natürlich wünschen wir uns immer, es ginge schneller, aber die Feierabendtüte wird noch stärker als vielleicht die Rezeptbox dabei helfen, die Bio-Anbaufläche zu vergrößern. Gerade auf den anstehenden Messen kommt man mit so vielen inspirierenden Leuten zusammen, dass man neue Kraft schöpft und weiß, warum man das tut. Das Interesse an Ernährung und Nachhaltigkeit nimmt in meinen Augen zu. Da es in dem speziellen Segment und mit dem ganzheitlichen Ansatz, den wir verfolgen, bisher keine Anbieter gibt, blicke ich optimistisch in die Zukunft.

Titelbild: © Veronika Lindlbauer

 

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