Tausende Fischernetze schwirren in unseren Ozeanen umher und zerstören lebensnotwendige Ökosysteme. Das Hamburger Unternehmen Bracenet hat dem Müll den Kampf angesagt. Wie genau, das verrät Mitarbeiterin Maja im Interview.
Das „Great Pacific Garbage Patch“ im Nordpazifik ist ein riesiger Müllstrudel, der mehr als viermal so groß ist wie Deutschland.
46 Prozent dieses Plastikmülls besteht aus verloren gegangenen oder absichtlich versenkten Fischernetzen, auch Geisternetze genannt.
In unseren Ozeanen führen sie unweigerlich zum Tod von Millionen Lebewesen und zur Zerstörung wertvoller Ökosysteme. Die Netze zersetzen sich erst nach 600 bis 800 Jahren – und zwar zu Mikroplastik.
An dieser Stelle kommt Bracenet ins Spiel. Das Hamburger Unternehmen will unsere Meere von Geisternetzen befreien und diese sinnvoll weiterverarbeiten. Gemeinsam mit ihren Partnern holt Bracenet Netze aus den Ozeanen oder fängt sie vorher ab. Umweltfreundlich aufbereitet entstehen aus dem Plastemüll in Handarbeit schöne Armbänder, die Bracenets.
Im Jahr 2019 gewann das Hamburger Unternehmen mit den Bracenets den Green Product Award, der nachhaltige und innovative Produkte und Services auszeichnet. Außerdem sind sie für den deutschen Nachhaltigkeitspreis Design 2021 nominiert.
Maja, Projektmanagerin Marketing & Sales bei Bracenet, nahm sich Zeit und sprach mit Caroline Arends über Hintergründe und Entwicklung des Unternehmens.
Wie ist die Idee zu Bracenet entstanden?
Die beiden Gründer Benjamin und Madeleine waren 2015 im Urlaub an der Küste Ostafrikas und sahen dort beim Tauchen erstmals Geisternetze im Meer. Zu dem Zeitpunkt sprach noch niemand über Meeresverschmutzung oder Geisternetze. Die Beiden waren schockiert und fingen an, die Netze einzusammeln. Mit Koffern voller Netze kamen sie zurück – überzeugt davon, dass man etwas tun muss. Sie wollten nicht akzeptieren, dass diese Geisternetze überall herumschwirren, Fische töten und somit eine große Bedrohung für die Ozeane darstellen. Eines der mitgebrachten Netze legte sich um Madeleines Handgelenk und sah so schön und unkonventionell aus. Damit war die Idee geboren.
Wie werden Fischer- zu Geisternetzen?
Es gibt unterschiedliche Wege, wie Fischernetze in die Meere gelangen. Bei Unwettern gehen Fischernetze zum Beispiel aus Versehen über Bord. Auch bei Naturkatastrophen, wie einem Tsunami, gelangen Netze in die Meere. Droht bei illegaler Fischerei die Gefahr entdeckt zu werden, werfen die Fischer absichtlich ihre Netze über Bord, um unerkannt zu bleiben. Ein weiterer Grund ist wirtschaftlicher Natur. Nimmt das Netz auf dem Schiff so viel Platz weg, dass der profitablere Fisch nicht mehr an Bord kommen kann, wird das Netz weggeworfen. Das ist das Naheliegendste.
Wie findet ihr die Netze?
Wir arbeiten mit zwei Organisationen – Ghost Diving und Healthy Seas – zusammen, die sich für den Meeresschutz einsetzen. Sie wiederum erhalten Hinweise der Küstenwache auf Netze und bergen diese. Mittlerweile sind es rund 170 Ehrenamtliche, die weltweit danach tauchen. Sie leben vor Ort, wie beispielsweise im Libanon oder auf Malta. Am Wochenende führen sie die gefährlichen Tauchgänge durch und bergen die Geisternetze. Diese sehen natürlich erstmal nicht so aus wie unsere Armbänder. Sie sind ziemlich dreckig, auch Fische können noch in ihnen verfangen sein.
Wie geht es dann weiter mit dem Upcycling?
Im nächsten Schritt kommen die Netze zu einem unserer weiteren Partnern – Nofir. Hier werden sie in umweltfreundlichen Prozessen sortiert, gereinigt und für das Upcycling vorbereitet. Für unsere Produkte benötigen wir Netze, die in einem einigermaßen guten Zustand und aus HDPE (high-density polyethylene) bestehen. Wir möchten das Netz in seiner ursprünglichen Form belassen. Es werden keine neuen Stoffe hinzugefügt, auch die Knoten sind original Fischerknoten. Das ist unser Ansatz. Wir können daher leider nicht alle Geisternetze für unsere Zwecke nutzen. Der Rest wird für das Recycling vorbereitet. Daraus werden dann beispielsweise Garn oder Plastikpellets hergestellt.
Die von uns ausgewählten Geisternetze werden anschließend in freie Transporter verladen, die ohnehin nach Deutschland fahren. Damit versuchen wir so umweltfreundlich wie möglich zu transportieren. Wenn wir selbst vor Ort sind, nehmen wir natürlich auch schon sehr viele Netze mit. Hier in Hamburg haben wir unsere eigene kleine Werkstatt, in der alles in Handarbeit fair produziert wird.
Welche Aufgaben übernimmt Bracenet?
Wir arbeiten eng mit unseren Partnern zusammen, sind also immer wieder selbst vor Ort und koordinieren. In unserer Hamburger Werkstatt fertigen wir die Produkte in Handarbeit. Mittlerweile ist unsere Arbeit weit mehr als das. Wir sehen uns immer mehr als Vernetzer und nehmen eine beratende Funktion ein. Uns erreichen zahlreiche Anfragen von Unternehmen, die ihre Arbeit nachhaltiger und wirksamer für die Umwelt gestalten möchten und dabei Unterstützung benötigen. Wir hinterfragen, ob der Auftrag zu uns passt, gehen mit ihnen ins Gespräch und erarbeiten Vorschläge und Strategien.
Was sind das für Unternehmen?
Das ist ganz unterschiedlich. Werder Bremen zum Beispiel. Der Verein kam auf uns zu, weil es ein Netz in den Vereinsfarben gab. In seinem Shop verkauft der Fussballclub jetzt Bracenets in den Vereinsfarben. Darüber hinaus wurde der Shop hinsichtlich Nachhaltigkeit überarbeitet, es wurden Nachhaltigkeitsspiele veranstaltet und auch das erste Tor besteht jetzt aus Fischernetzen. Die Autorin eines Bestseller-Kinderbuchs hat ihren Protagonisten ein Bracenet tragen lassen. Daraufhin hat der Verlag das erste Mal ein Buch mit dem Umweltzeichen Blauer Engel gedruckt. Durch unseren Input verändern Unternehmen ihre Prozesse und Strukturen. Solche Kooperationen nehmen einen immer größer werdenden Teil unserer Arbeit ein.
Ein weiterer Teil eurer Arbeit ist Prävention. Euer Ziel ist eine Welt, in der es euch nicht mehr geben muss, weil gar keine Netze mehr im Meer landen.
Genau, das geschieht vor allem durch Aufklärung. Unser Partner Healthy Seas betreibt vor Ort Präventionsarbeit. Die Umweltschützer sprechen Fischereien aktiv an. So wurde zum Beispiel in Griechenland die erste nachhaltige Fischerei gegründet. Die Initiative klärt unter anderem darüber auf, was nachhaltiges Fischen bedeutet und welche Gefahren von Netzen ausgehen, die über ihren eigentlichen Nutzen hinaus im Meer bleiben. Wir spenden zehn Prozent des Erlöses all unserer Produkte an Healthy Seas. Dabei können wir mitentscheiden, für welchen Bereich unsere Spenden eingesetzt werden. Präventionsarbeit steht für uns ganz weit vorne.
Besonders in der Präventionsarbeit stelle ich es mir schwer vor, Erfolge zu messen.
Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Ressource Geisternetz noch immer viel zu viel im Meer vorhanden. Man kann aber sagen, dass das Thema viel präsenter geworden ist. Vor zwei Jahren fand man bei Google vielleicht gerade einmal zwei Beiträge zu Geisternetzen. Mittlerweile ist das Netz von Beiträgen übersät. Große Zeitungen berichten über uns. Die Menschen werden zunehmend für das Thema sensibilisiert. Sie verstehen, dass die Geisternetze ein Problem sind und schrauben vielleicht auch ihren Fischkonsum zurück. Das ist auf jeden Fall ein Erfolg. Viele assoziieren uns mit dem Thema und nutzen das Bracenet als Reminder, um sich selbst nachhaltiger in der Welt zu bewegen.
Angefangen habt ihr als Start Up – heute zählt ihr 35 Mitarbeiter. Wer arbeitet bei euch?
Die Strukturen ähneln immernoch einem Startup. Aber ja, mittlerweile sind wir ein recht großes Unternehmen. Ende letzten Jahres gab es nochmal einen Einstellungsschub. Wir arbeiten aber auch nicht alle in Vollzeit. Es sind viele 450-Euro Jobber oder Teilzeitarbeitende im Team. Die beruflichen Backgrounds sind sehr unterschiedlich. Ich komme beispielsweise aus dem Social-Media-Marketing und betreue das hier auch. Aber das ist nicht die Regel. Mitarbeitende, die fertigen, verpacken und verschicken, haben meist auch studiert – die unterschiedlichsten Fächer: von Biologie bis zu Politikwissenschaften. Wir nutzen dieses unterschiedliche Know-how. Jeder kann so viel einbringen wie er möchte und bei verschiedenen Projekten mitmachen. Wer in der Fertigung arbeitet, produziert nicht acht Stunden pro Tag am Stück Armbänder. Das kann auch passieren, aber wir versuchen, die jeweiligen Qualifikationen zu nutzen.
Aktuell produziert ihr Armbänder, Schlüsselanhänger und Hundeleinen. Gibt es schon neue Produktideen?
Unsere Kunden haben super Ideen, die wir natürlich gerne umzusetzen. Wir haben jetzt zum Beispiel auch Ringe in unserem Sortiment. Aktuell sind Kamerabänder und Handytaschen in Planung. Wir gehen aber immer erst dann mit den Produkten auf dem Markt, wenn wir zu 100 Prozent sicher sind, dass alles nachhaltig, fair und ökologisch vertretbar ist. Das ist nicht immer einfach und kostet uns viel Zeit, aber die nehmen wir uns.
Ich bin sehr gespannt, was noch kommt. Danke, dass du dir die Zeit genommen hast.