16 Tonnen Rohstoffe verbrauchen wir in Deutschland pro Kopf und Jahr. In der EU werden jährlich 5 Millionen Tonnen Elektroschrott entsorgt. Weltweit vernetzen sich ehrenamtliche Initiativen zu einer Gegenkultur des Reparierens.

Kürzlich gab der Kindle-Akku der Autorin nach nur zwei Jahren Laufzeit den Geist auf. Woraufhin der Kundenservice des Unternehmens erklärte, dass Reparaturen nicht vorgesehen sind und keine Ersatzakkus geliefert werden. Wegwerfen, neu kaufen, so der Vorschlag.

Solcherart Unternehmensstrategien entgegenzuwirken, ist das Ziel von Reparatur-Initiativen, die sich in den letzten Jahren zu einer global vernetzten Bewegung entwickelt haben. Mit der Absicht, sich unabhängig zu machen von einem Konsummodell, das von massenhafter Produktion, gedankenlosem Verbrauch und schnellem Entsorgen geprägt ist. Der Gedanke dahinter ist bekannt: Die Abfallberge wachsen, der hohe Energie- und Ressourcenverbrauch gefährden das Klima, die Vielfalt der Natur reduziert sich und jeden Tag sterben einige Arten aus. Um unseren ökologischen Fußabdruck zu reduzieren, müssen Produkte deutlich länger genutzt werden. Die Reserven unseres Planeten sind endlich. Repair-Initiativen kultivieren den kollektiven Geist einer Gegenkultur des Reparierens, die sich gegen Industriestrategien richtet, die darauf abzielen, den bequemen Konsumenten zu befördern.

Gemeinsam reparieren statt wegwerfen

Reparatur-Café. Gemeinschaftliches Reparieren

Das Stitching Repair Café in Amsterdam

Allein in Deutschland gibt es mittlerweile 865 sogenannter Repair Cafés: lokale Initiativen, die die „Kunst des Reparierens“ fördern und unterstützen. Veranstaltungen, bei denen defekte Alltagsgegenstände gemeinschaftlich repariert werden und Know-how ausgetauscht wird. Leute mit wenig Reparaturkenntnissen treffen auf solche, die reparieren können. Reparieren wird zu einem kommunikativen Akt. Den Wert von Dingen wieder zu schätzen, achtsam und sorgfältig mit den Gegenständen des Alltags umzugehen, wird explizit als nachhaltige Praxis praktiziert.

Seinen Ursprung hat das Modell in den Niederlanden. 2010 eröffneten die Amsterdamer Journalistin Martine Postma und der Nachhaltigkeitsmanager Peter van Vliet das Stitching Repair Café. Mit ihrer 2011 gegründeten Stiftung unterstützen sie seither weltweit lokale Initiativen, die sich ihrer Idee anschließen Reparaturwissen zu erhalten, das Reparieren wieder in die Gesellschaft zu tragen und den sozialen Zusammenhang von Gemeinschaften vor Ort zu fördern.

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Für den aktuelle Ressourcenverbrauch sind 1,6 Erden nötig. In der Europäischen Union beträgt der tägliche Pro-Kopf -Verbrauch an Ressourcen 45 Kilogramm.
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Jeder Deutsche konsumiert statistisch gesehen 16,1 Tonnen Rohstoffe pro Jahr –  und liegt damit 10 Prozent über dem europäischen Durchschnitt.

Es ist ein soziales, ökologisches und ökonomisches Konzept, das Menschen vernetzt und zu einem „umweltfreundlichen Ungehorsam“ anstiftet, wie es die Münchner Stiftung Anstiftung formuliert, die Repair-Initiativen deutschlandweit unterstützt. In diesem Sinne setzen die Veranstalter von Repair Cafés ein Zeichen gegen den verschwenderischen Umgang mit den endlichen Ressourcen der Erde und rücken den Stellenwert von Reparatur wieder ins Blickfeld. In der  globalen Organisation Open Repair Alliance schließen sich gegenwärtig 2318 Initiativen zusammen. Einmal im Jahr, am dritten Sonntag im Oktober, veranstalten sie den International Repair Day, um auf den Wert und die Wichtigkeit des Reparierens aufmerksam zu machen. Repair is Essential war das Thema des diesjährigen Aktionstages.  Now more than ever, so das Motto in Hinblick auf die weltweiten Pandemie-Konsequenzen.

Universelles Recht auf Reparatur

Unterstützt werden die ehrenamtlichen Initiativen von politischen Kampagnen wie Right to Repair Europe, ein Bündnis europäischer Organisationen, oder dem sich 2015 in Berlin formierten „Runden Tisch Reparatur“, der nationale Partnerorganisationen aus unterschiedlichen Bereichen (Handwerk, Umwelt- und Verbraucherschutz, Wissenschaft, Beratung und ehrenamtlicher Reparatur) vereint. Sie fordern ein universelles Recht auf Reparatur und die Stärkung der Reparatur als wesentliches Element der Ressourcenschonung.  Dafür setzen sie sich für einen Systemwandel auf politischer und produzierender Ebene ein, damit die Rahmenbedingungen verbessert werden:  Hersteller sollen dazu verpflichtet werden, Geräte so zu konstruieren, dass einzelne Teile problemlos ausgetauscht werden können. Ersatzteile müssen zu erschwinglichen Preisen und für einen langen Zeitraum zur Verfügung gestellt werden, Verbrauchern ebenso wie professionellen Betrieben. Die Liste ist lang. Aber immerhin: Ab März nächsten Jahres stärkt die EU den Verbraucherschutz; mit einer Richtlinie zur Energieeffizienz von Haushaltsgeräten, die erstmals Anforderungen an die Reparierbarkeit und Recyclingfähigkeit von Elektrogeräten verankert.

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53,6 Mio Tonnen E-Schrottt sind 2020 weltweit angefallen.  Ein Plus von 21 Prozent innerhalb der letzten 5 Jahre.
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19,4 Kilo E-Schrott produziert jeder Deutsche im Schnitt pro Jahr. Welt-weiter Anteil Deutschlands: 3 %.
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Durchschnittlich  7,3 Kilo Elektro-Schrott wurden 2019 für jeden Menschen auf der Welt weggeworfen..
Quelle: Global E-Waste Monitor 2020

Reparieren stärkt das Selbstbewusstsein

In seinem Bestseller „Die Kultur des Reparierens“ betont der Autor Wolfgang Heckel die persönliche Dimension, die die intensive Auseinandersetzung mit einem Reparaturgegenstand bedeutet. Reparieren heißt weitaus mehr als nur wiederherzustellen, ist Heckel überzeugt, man entwickle dadurch ein anderes Verhältnis zu den Dingen, ein Gefühl für ihren Wert. Achtsamkeit und Wertschätzung dem Produkt gegenüber können somit Einfluss auf das Einkaufsverhalten haben: Produkte zu bevorzugen, die reparaturfähig sind. Und sich zweimal zu überlegen, ob man etwas auf den Müll wirft. Reparieren stärkt zudem das Selbstbewusstsein, da man Fähigkeiten entdecken kann, die sich positiv auf andere Lebensbereiche auswirken können und gewinnt an Selbstbestimmtheit gegenüber einer zunehmenden Entmündigung durch die Industrie.

Die handwerklich unbegabte Autorin wurde bei einer niederländischen Firma fündig, die Akkus vertreibt. Auf zu YouTube, wo ihr eine ruhige Stimme Schritt für Schritt den Einbau erklärte. Den passenden Schraubenzieher gab es um die Ecke im Haushaltswaren-Geschäft. Dann war das Lesegerät wieder intakt. Wir leben nicht nur in einer Wegwerfgesellschaft, wir leben auch in einer Informationsgesellschaft. Auf Wissen zurückgreifen zu können, das Andere frei zur Verfügung stellen, ist eine gute Alternative.