Im Intranet anmelden

„Wir müssen erklären, wie wir arbeiten“

Konferenz „Zwischen Tatsache und Täuschung“ in Heidelberg zur Stärkung von Journalismus und Gesellschaft beschwört die Aufklärung.

Ist Aids eine Erfindung der CIA? Angela Merkel die Tochter von Adolf Hitler? Obama ein Moslem? Dass hier gezielt Falschinformation gestreut wird, dürfte den meisten Menschen klar sein. Doch nicht immer ist es so einfach. Wer genau hat den Georgien-Krieg begonnen? War an dem „Fall Lisa“ der jungen Frau, die in Berlin angeblich von „Südländern“ entführt und vergewaltigt worden war, etwas dran?

Expertinnen und Experten aus Journalismus, Politik und Wissenschaft stellten sich am ersten Oktober-Wochenende in Heidelberg diesen Fragen. Sie waren einer Einladung des Deutsch-Amerikanischen Instituts (DAI) gefolgt. In seiner Keynote beschwor Moderator Andrew Denison (Transatlantic Networks) die Notwendigkeit von Medienbildung und Aufklärung. Es gehe darum, wie die deutsche und die amerikanische Zivilgesellschaft gemeinsam die Demokratie verteidigen können.

Desinformation mit besserer Information bekämpfen

Nicco Mele von der Harvard University beschrieb anschaulich den Niedergang der US-amerikanischen Lokalpresse: 21 US-Staaten hätten keine Korrespondenzen mehr in Washington. Auf die Frage, was eine Reform der Krankenversicherung für das örtliche Krankenhaus bedeute, könnten die Bewohner dieser Staaten in ihren Zeitungen keine Antworten mehr finden. Mele erläuterte die unterschiedlichen Kategorien von Desinformation und ihrer Wirkung. Er schlug folgende Auswege vor: Weil bei Gerüchten immer irgendetwas hängen bleibe, müsse die Wahrheit deutlicher sichtbar sein „(„rumors are sticky –> make truth louder“). Einfache Korrektur der Falschmeldung verstärke sie eher, deshalb sollte der Falschmeldung ein alternatives Narrativ entgegengestellt werden („corrections backfire  –> seek an alternative narrative“). Um die Glaubwürdigkeit der Quelle zu stärken, könne man Meinungsführer aus den jeweiligen Gruppen hinzuziehen („source credibility  –> involve ‚tribal leaders‘“).

Auf die Frage, wie dem Hostile-Media-Effekt begegnet werden könne – Menschen mit einer bestimmten Meinung halten auch „ausgewogene“ Berichterstattung für einseitig, weil sie auch andere Positionen darstellt als die eigene – schlug er lösungsorientierten Journalismus, in Europa oft „konstruktiver Journalismus“ genannt, vor.

Social-Media-Anbieter in die Pflicht nehmen?

Die finnische Investigativ-Journalistin Jessikka Aro beschrieb, wie sie ins Visier einer russichen Trollfabrik geriet. Immer wieder kreiste die Diskussion um die Verantwortung der Drittplattform-Betreiber. Sollen die Socialmedia-Plattformen wie Medien behandelt werden, soll es also eine Art verlegerischer Verantwortung geben? Die Tradition der freien Meinungsäußerung, in den USA anders ausgeprägt als in Europa, stehe dem entgegen.

Bret Schaefer fragte sich, ob ein freiwilliges internationales Regelwerk helfen könne? Das Publikum in seinem Workshop meinte, das könne funktionieren, man vergleiche das Beispiel der UN.

Was Journalismus leisten kann

„Als ich anfing, war der Beruf Journalist hoch angesehen“, erinnerte sich Steffen Dobbert (Zeit online). Heute gehöre der Shitstorm nach jedem Beitrag zum Alltag. Dr. Kristin Becker (SWR) hat beobachtet, dass weniger die ganz großen Fakenews in Deutschland das Problem sein. Stattdessen würden Fehlinformationen anders verbreitet: Es gebe kleine unterschwellige Desinformation dadurch, dass faktisch Richtiges mit Falschem zusammen verpackt werde.

Für den „Faktenfinder“ der Tagesschau recherchiert Becker Geschichten wie die Aussage einer Frau im Erzgebirge, die berichtete, in ihrer Straße hätten im vergangenen Jahr bereits zwei Vergewaltigungen stattgefunden. Auf eine Zuschaueranfrage hin ging das Faktenfinder-Team der Sache nach. Ergebnis: Die Frau war nicht aus dem Erzgebirge (wo die Straßenumfrage stattgefunden hatte), sondern aus Dresden; weder in ihrer Straße noch in ihrem Bezirk ließen sich die Vorwürfe von der Polizei bestätigen. Im weiteren Umfeld hatte es vor längerer Zeit einen Zwischenfall mit einem Exhibitionisten gegeben – das war’s. Schließlich kam heraus: Auslöser war eine Fehlinformation über Facebook gewesen.

„Wir müssen solche Informationen immer wieder hinterfragen“, meinte Kristin Becker. Die meisten Menschen wüssten nicht, wie das Handwerk der Journalisten von der Recherche bis zum fertigen Beitrag funktioniere. Ihr Fazit: „Wir müssen mehr erklären, wie wir arbeiten.“