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60 Jahre Evangelisches Beratungszentrum München

Pressekonferenz zum Jubiläum:  60 Jahre Evangelisches Beratungszentrum München
Von der Kriegswaisenhilfe zum sozialen Radar – Begegnungen zwischen Himmel und Erde

Unter dem Motto „Begegnungen zwischen Himmel und Erde“ feiert das Evangelische Beratungszentrum München (ebz) im April 2018 sein 60jähriges Bestehen. Bei der Pressekonferenz am Donnerstag 5. April in München standen die aktuellen Arbeitsschwerpunkte und Beratungsangebote des ebz im Mittelpunkt. Die heutigen Angebote reichen von der Schwangerschaftsberatung über Ehe-, Familien- und Lebensberatung sowie Jugend- und Schulberatung bis zur Pastoralpsychologie. Ein Schwerpunkt liegt bei der Telefonseelsorge, ein weiterer auf der Arbeit mit geflüchteten Menschen. Heinz Hollenberger, der mit einer Projektgruppe der Stiftung Journalistenakademie Dr. Hooffacker die Pressekonferenz konzipiert und vorbereitet hatte, führte durch die Pressekonferenz.

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Pressekonferenz am 5. April 2018: Alles ist vorbereitet, nun kommen die Gesprächspartnerinnen auf das Podium. Foto: Journalistenakademie / Peter Lokk

Evangelisches Beratungszentrum: Am Anfang war ehrenamtliches Engagement

Pfarrerin Gerborg Drescher, die Leiterin des ebz, schilderte die Entstehungsgeschichte des Evangelischen Beratungszentrums. Das genaue Gründungsdatum des ebz sei so nicht fassbar, vielmehr wurzeln die Anfänge im Engagement ehrenamtlicher Menschen aus Kirchengemeinden. Es ging zunächst darum, auf gesellschaftliche und politische Herausforderungen in der Nachkriegszeit zu reagieren. Die Nöte der Menschen zu sehen und zu helfen stand im Vordergrund, insbesondere den durch den Krieg getrennten Ehepaaren und Kindern, die als Kriegswaisen leben mussten. Seit 1977 ist das ebz ein eingetragener Verein. Damals wie heute stehen existenzielle Fragen im Vordergrund.

Die soziale Kluft wächst Tag für Tag, „viele Menschen haben psychiatrische Diagnosen“, betont Drescher. Hier bietet das ebz Beratung und Unterstützung. Ein Schwerpunkt liegt auf der Arbeit mit Geflüchteten, die vor Krieg und Gewalt zu uns fliehen. Gerborg Dreschers Fazit: „Der Krieg, der nicht in München stattfindet, kommt doch zu uns.“ Junge Migrantinnen und Migranten fördert das Evangelische Beratungszentrum durch Lerncoachings, damit sie ein eigenständiges Leben führen und einen Platz in unserer Gesellschaft finden. Die Frage dabei ist: „Wie geht es, Familien zu gründen in einem ganz fernen Land?“ Die Pastoralpsychologie bietet Pfarrerinnen und Pfarrern Supervision, Beratung und Fortbildung. Sie überdenken ihr Handeln sowie ihre Seelsorgeerfahrungen und schöpfen Kraft, um wieder „mit mehr Energie für die Gemeinde da zu sein“, so Drescher.

Die Gesprächspartnerinnen auf dem Podium
Informierten über das Evangelische Beratungszentrum München: Gerborg Drescher, Sabine Simon, Martha Eber, Petra Horn, Christine le Coutre. Foto: Journalistenakademie / Peter Lokk

Telefonseelsorge: „Menschen in schwierigen Lebenssituationen rufen uns an.“

Martha Eber ist stellvertretende Leiterin der Evangelischen Telefonseelsorge München. Die Telefonseelsorge mit 120 Ehrenamtlichen wird jedes Jahr von rund 20.000 Menschen in Anspruch genommen, die 24 Stunden am Tag anrufen können. Dies sind vor allem Menschen, die sich in einer schwierigen Lebenssituation befinden und nach einem Gegenüber suchen, das ihnen zuhört. Wichtig ist, dass sie ihre Geschichte der Not am Telefon erzählen können. Die meisten Anrufenden bringen psychiatrische Probleme mit, wie depressive Verstimmungen, Einsamkeit und Suizidalität. Es ist wichtig, mit den Betroffenen in Kontakt, in Beziehung zu kommen, um eine Verbindung herzustellen. „Die Beziehung ist das Beste, was wir anbieten können“, weiß Eber. Ebenso Verständnis zu entwickeln, Hilfsmöglichkeiten für Betroffene zu suchen und gemeinsam Lösungen zu finden. Telefonseelsorge hat eine Brückenfunktion in die sozialen Netzwerke hinein. Wer als Ehrenamtlicher in der Telefonseelsorge arbeiten will, erhält eine einjährige Weiterbildung, eine spezifische Ausbildung in der Gesprächsführung und fortlaufende Supervision, um Erlebnisse am Telefon gut verarbeiten zu können. „Hauptamtliche sorgen für den guten Rahmen“, erläutert Martha Eber.

Auf dem Podium: Martha Eber und Petra Horn
Information aus erster Hand: Martha Eber und Petra Horn beantworten die Fragen der Journalistinnen und Journalisten. Foto: Journalistenakademie / Peter Lokk

Erziehungsberatung: „Unser Fokus ist das Beziehungsthema.“

Für Petra Horn, stellvertretende Leitung der Erziehungsberatung, ist die Erziehungsberatung in der digitalen Gesellschaft angekommen. Die Beratungsangebote haben sich geändert und das Spektrum der Erziehungsberatung erweitert. Das ebz ist Anlaufstelle für Eltern, Kinder, Jugendliche und Familien. „Unser Fokus ist das Beziehungsthema“, erklärt Horn. Viele junge Eltern kommen in die Beratung mit der Frage, wie sie Beruf und Familie miteinander vereinbaren können. Wichtige Themen sind Entwicklung, Identitätsbildung, Autonomie des Kindes oder Jugendlichen sowie digitale Medien im Bereich der Schule. Gibt es neue Trends? „Ein Riesenbereich ist die Trennung von Familien“, erläutert Petra Horn. Das ebz kooperiert mit dem Familiengericht, wenn es um Trennung von Familien und juristische Fragen zum Umgang mit Kindern innerhalb der Familie geht. Die Erziehungsberatung bietet Eltern Reflexions- und Austauschmöglichkeiten. Kinder ab 14 Jahren können ohne ihre Eltern in die Beratung kommen, etwa bei familiären Krisen. Jugendliche, die sich vom Elternhaus ablösen wollen, sich aber keine Wohnung leisten können, kommen ins ebz. Kinder, deren Eltern psychisch krank sind, suchen Rat auf die Frage, wie sie ihren Eltern helfen können.

Das ebz ist immer eine gute Anlaufstelle, wenn man nicht weiter weiß.
Das Evangelische Beratungszentrum München hilft in allen Lebenslagen – von der Wiege bis zur Bahre. Foto: Journalistenakademie / Peter Lokk

Schwangerschaftsberatung: „Wie geht das mit der Verhütung?“

Sabine Simon ist Leiterin der Schwangerschaftsberatung. Auch Männer können in die Beratung kommen, allein oder mit der Partnerin. Das von ihr entwickelte Workshop-Projekt „Frauenfragen – Frauenwissen“ ist sehr erfolgreich. Darin geht es um Sexualaufklärung für Migrantinnen. Ziel ist es, Frauen aus anderen Kulturkreisen dazu zu bewegen über Schwangerschaft, Verhütung, Menstruation und Kondome zu sprechen, was in den Herkunftsländern oft ein Tabu darstellt. „Viele Frauen kennen sich in der eigenen Anatomie nicht aus“, berichtet Simon. Der Austausch über den eigenen Körper, Anatomie, Sexualität, Frauenrechte sowie Rechte und Pflichten, die mit einer Schwangerschaft einhergehen, spielt eine wichtige Rolle. Es geht um Grenzen im Kontext von Heirat, Familienplanung und Sexualität. Dieses Projekt hat sich mittlerweile weit herumgesprochen, so dass sich auch Männer, besonders in den Gemeinschaftsunterkünften, hierfür interessieren.

Manchmal ergeben sich in der Beratung spirituelle und religiöse Fragen aus anderen Kulturen, die nicht immer sofort nachvollziehbar sind. Oft sind Partnerschaften und Schwangerschaften religiös geprägt und bestimmten Bräuchen, etwa Zauberritualen, unterworfen. Meist geht es in der Schwangerschaftsberatung um existenzielle Fragen. Wie versorge ich mein Kind, wie kann ich es gut zur Welt bringen, wie kann ich meine Herkunftsfamilie finanziell versorgen? Schwangerschaft kann im Idealfall auch als Voraussetzung für eine harmonische Familie bezeichnet werden.

Sexualität: Modelle aus Plüsch erklären mehr als 1000 Worte
Sorgfältig gestaltetes Anschauungsmaterial hilft, den eigenen Körper zu verstehen: Wie funktioniert Sexualität? Foto: Journalistenakademie / Peter Lokk

Ehe-, Familie- und Lebensberatung: „Die Partnerschaft ist das, worum es geht.“

Zu Christine le Coutre, der Leiterin der Ehe-, Familie- und Lebensberatung und ihrem Team kommen Ehepaare, Einzelpersonen und Familien (erwachsene Kinder mit ihren erwachsenen Eltern) mit sehr unterschiedlichen Themen in allen Lebenslagen. Ältere Ehepaare, deren Kinder aus dem Haus sind, stellen ihre Beziehung auf den Prüfstand. Menschen im Rentenalter, die alleine sind, wollen eine neue Beziehung eingehen. Beratung ist individuell: „Die Partnerschaft ist das, worum es geht“, weiß Christine le Coutre. Oft stellt sich mit dem Renteneintrittsalter die Frage, wie die verbleibende Lebenszeit neu gestaltet werden kann oder was anders werden muss. Bei jüngeren Paaren ist die Aufteilung von Erwerbs- und Hausarbeit bei der Familiengründung eine wichtige Frage. In allen unterschiedlichen Familien- und Lebensformen kommt es häufig zu heftigen Auseinandersetzungen etwa über Seitensprünge oder Außenbeziehungen. Christine le Coutre hat hier die Rolle der „Gastgeberin“, um Probleme oder Konflikte in eine konstruktive Richtung lenken zu können, damit Paare sich wieder in Liebe begegnen können. Jeder Klient hat in der Beratung einen Anspruch darauf, gut behandelt zu werden, auch vom eigenen Partner. In manche n Fällen ist das schwierig: „Die streiten sich auch bei uns in der Beratung“, berichtet le Coutre.

Wie können Familien angesichts steigender Mietkosten in München leben und wohnen?

Die an die Pressekonferenz anschließende Diskussion ging auf gesellschaftliche Entwicklungen und Problemlagen ein, wie steigenden Leistungsdruck, zunehmende psychische Auffälligkeiten in unserer Gesellschaft, die Situation Kinder psychisch kranker Eltern und Cyber-Mobbing. Gerade auf Frauen, die aufgrund ihrer häuslichen Arbeit ein Leben lang nicht keinem Beruf nachgehen konnten, lastet ein großer Rechtfertigungsdruck. Wie werden sich diese Faktoren auf unsere Gesellschaft in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren auswirken? Eine Frage ist für die Gegenwart und Zukunft von zentraler Bedeutung: Wie können Familien angesichts rapide steigender Mietkosten zukünftig in München leben und wohnen? Wie wollen wir unser Miteinander- und Zusammenleben so gestalten, damit niemand durch das soziale Raster fällt? Was hält unsere Gesellschaft (noch) zusammen?

Dre Presetisch bei der Pressekonferenz am 5. April 2018
Für Redaktionen hat das Evangelische Beratungszentrum München jede Menge spannender Themen zu bieten. Foto: Journalistenakademie / Peter Lokk

In den Beratungen geht es um grundmenschliche Konstanten, wie Nähe, Halt, Rückhalt, Sinnsuche, Orientierung oder Sicherheit. Was hält – was trägt – was gibt Orientierung? Diese und ähnliche Fragen können auch religiös beantwortet werden. Auf welchem Boden kann ich stehen? Wo kann ich mich verwurzeln und Kraft herbekommen? „Die Angebote, die Mitarbeiterschaft, die Zahl der Ratsuchenden des Evangelischen Beratungszentrums München sind seit 2007 um elf Prozent gestiegen“, berichtet Gerborg Drescher. Ihr Haus bietet auch Beratung und Unterstützung für gehörlose und hörgeschädigte Menschen. Auf allen Kanälen, gerade in den sozialen Netzwerken, sind Beratungs-, Beziehungs- und Kommunikationsangebote vorhanden. Gerborg Drescher formuliert das Ziel der Arbeit des ebz kurz und klar: „Menschen frühzeitig erreichen“.

Text: Tobias Heinzelmann, Stiftung Journalistenakademie Dr. Hooffacker

Evangelisches Beratungszentrum München: www.ebz-muenchen.de

Digitale Pressemappe zum Jubiläum des ebz München: www.journalistenakademie.de/dpm-ebz