„Jetzt twittert jeder noch mal, und dann geht’s los“
Nachlese zum 59. Münchner Mediengespräch am 1. Oktober 2014
Datenjournalismus, Crossmedia, Transmedia: Trends im digitalen Storytelling
Mehr als 40 Interessierte haben sich im Bayernforum der Friedrich-Ebert-Stiftung eingefunden, als die Moderatorin Prof. Dr. Gabriele Hooffacker von der Stiftung Journalistenakademie das 59. Mediengespräch für eröffnet erklärt.
Natalia Karbasova: „Datenjournalismus ist Nutzwertjournalismus“ |
Auf dem Podium an diesem Abend diskutieren Experten über die neuesten Trends im digitalen Storytelling und deren Auswirkungen auf die Aufgaben und Herausforderungen im Journalismus. Natalia Karbasova, Multimedia-Spezialistin bei Burda Media, macht sich für den Datenjournalismus stark. Ulrike Köppen, Online-Redakteurin beim Bayerischen Rundfunk in der Abteilung Web-Innovationen, schildert Erfahrungen und Tendenzen im Bereich Transmedia. Dirk von Gehlen, Leiter Social-Media und Innovationen bei der Süddeutschen Zeitung und der Social-Media Plattform jetzt.de, plädiert vor allem für die crossmediale Ausrichtung journalistischer Inhalte. In einer Sache sind sich die Beteiligten einig: Die klassischen Mediengrenzen verschwinden und die Trends der digitalen Revolution können nicht mehr ignoriert werden. Lediglich die Bezahlmodelle für digitale Inhalte lassen noch Fragen offen und liefern keine ideale und einheitliche Lösung.
Datenjournalismus – Mehrwert für Journalisten und Nutzer
Karbasova stellt in ihrem Input zahlreiche Beispiele vor, in denen Redaktionen komplexe und unübersichtliche Daten nicht mehr nur in reiner Textform beschreiben. Interaktive Webtools individualisieren und visualisieren Daten auf nutzergerechte Art: wie beispielsweise die Lebensqualität in US-amerikanischen Regionen auf einer interaktiven Karte aussieht, dass die Arbeitslosenquoten farbkodiert wesentlich einfacher erfassbar sind, oder wie sich das Mietpreisniveau konkret in meinem Stadtteil verhält.
The Guardian: Zahlen helfen, komplexe Sachverhalte verstehbar zu machen |
Wo sonst nüchterne Listen und Tabellen den Leser verwirrten, wird jetzt auf den ersten Blick – oder besser gesagt den ersten Klick – erkennbar, worum es geht und welche Ergebnisse der immensen Datenflut den Nutzer persönlich betreffen. Damit werden Journalisten immer mehr zu Analysten und Statistikern oder auch zu Grafikern und Webdesignern. Zumindest sollten sie den Umgang mit Experten aus diesen Fachgebieten üben und pflegen. Datenjournalismus ist daher keinesfalls gleichzusetzen mit stoischer Fließbandarbeit, sondern erweitert den Horizont und setzt breiter gefächerte Kenntnisse voraus.
Transmedia – interdisziplinärer Wandel für Nutzer und Redakteure
Darin sieht vor allem Ulrike Köppen die große Chance für die Zukunft ihrer Berufssparte. Journalisten müssen nicht mehr nur recherchieren und schreiben können, sondern auch interdisziplinäre Manager und multimediale Kuratoren ihrer Projekte sein. Ihre Erfahrungen im Erzählen transmedialer Geschichten haben das gezeigt. So wurden beispielsweise die Bayern-2 Hörer nach einem Radiofeature mit dem Titel „Wie es euch gefällt“ vor den TV-Bildschirm gelockt, um die transmediale Geschichte weiterzuverfolgen. Anschließend ergänzten Web-Beiträge, Diskussionsforen und User-Interaktion das Themengebiet. Der Redakteur bildet die Schnittstelle für alle Kanäle und muss sich mit den unterschiedlichen Erzählformaten auseinandersetzen, um dem Publikum den Inhalt (Content) zu vermitteln. Seine Toolbox vergrößert sich damit enorm und User erleben Geschichten aus mehreren Blickwinkeln und auf eine individuelle Weise.
Social-Media – Trendbarometer für journalistische Themen
Die Social-Media Trends von Twitter, Facebook, YouTube und Co spielen nach wie vor eine wichtige Rolle für den Journalismus. Sah man diesem Phänomen anfänglich noch ängstlich entgegen, gibt es inzwischen positive Entwicklungen, die daraus ein datengetriebenes und relevantes Interesse für journalistische Themen ableiten. Jeder Empfänger ist somit auch Sender von Nachrichten und hat direkten Einfluss auf deren Verbreitung und Bedeutung. Auswertungen von Tweets und Posts sind wie ein Themenbarometer zu lesen und dienen als Grundlage für journalistisches Arbeiten.
Crossmedia: Nur wer neue Wege geht, hat eine Chance auf Erfolg
Crossmedia ist im journalistischen Alltag längst angekommen, wie Dirk von Gehlen bestätigt. Themen und Geschichten werden nicht mehr nur für die Print-Ausgaben der Süddeutschen Zeitung aufbereitet, sondern auch über die digitalen Kanäle ausgespielt. Dass sich Leser gezielt involvieren können, ist dabei ein entscheidender Vorteil. Drei ausgewählte Artikel pro Tag werden im Online-Portal der SZ zur öffentlichen Diskussion gestellt. Man habe sich dafür bewusst entschieden, um die Qualität der medialen Interaktion zu steigern, so von Gehlen. Wurden zu Beginn des Social-Media Hypes die Usermeinungen oft unüberlegt und wahllos ins Netz „gerülpst“, so führt das organisierte Kommentieren und Diskutieren zu einem Mehrwert für Nutzer und Redakteure. Die SZ geht sogar einen Schritt weiter. In einem Experiment will von Gehlen in den kommenden Wochen eine Buchrezension zusammen mit 100 Usern im Web schreiben: Gemeinsam lesen, gemeinsam bewerten und gemeinsam kritisieren, so lautet die Devise, um User vom passiven Konsum zum fairen Dialog im Netz zu überzeugen.
„Medien die nicht crossmedial verfügbar sind, gibt es bald nur noch im Museum“, prognostiziert Karbasova für die nächsten zehn Jahre. Die Printmedien müssen sich der digitalen Herausforderung stellen. Die im 59. Mediengespräch vorgestellten Beispiele und Ideen sind nur eine Momentaufnahme. „Die ersten Schritte in einen dunklen Raum tun immer weh“, fasst von Gehlen seine Erfahrungen im digitalen Umfeld zusammen. „Aber nur weil es dunkel ist, muss das nicht heißen, dass es da drin nicht schön ist.“ Wir befinden uns nach wie vor in der Phase des Ausprobierens neuer Trends und der Annäherung an die digitale Welt, ohne dabei die klassischen Printmedien zu vergessen. Auf keinen Fall ist aber der Beruf Journalist gefährdet. Jagte man bisher der Quantität und den reinen Klickzahlen für Meldungen hinterher, so konnten die Podiumsgäste bestätigen, dass inzwischen die Verweildauer eines Users als ebenso wichtiger Gradmesser für den digitalen Erfolg einer Meldung eine Rolle spielt. Der „Long-Read“ und die Leistung journalistischer Arbeit hat somit längst nicht ausgedient – auch wenn eine Kurzmitteilung von 140 Zeichen dazu den Stein erst ins Rollen gebracht hat.
Von Thomas Porzner
Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Lehrgänge Online-Journalismus OJ51 und Pressearbeit online 44 an der Journalistenakademie München haben zum 59. Mediengespräch ‚Datenjournalismus, Crossmedia, Transmedia‘ die digitale Pressemappe mit Interviews, Porträts und Hintergrundtexten erstellt.