Pfarrerin Gerborg Drescher im Interview

Vorstand des Evangelischen Beratungszentrums München e.V.

Porträtfoto von Gerborg Drescher mit freundlichem Lächeln und schwarz-weißem Schal
Gerborg Drescher, Pfarrerin und ebz-Vorstand.

Gerborg Drescher leitet seit 2007 als Vorstand das Evangelische Beratungszentrum München e.V. (ebz). Schwerpunkte ihrer Tätigkeit sind Seelsorge, Bildung und Supervision. Die Pfarrerin arbeitete in der Klinikseelsorge und im Schuldienst, bevor sie in den 1990er Jahren die stellvertretende Leitung einer psychosozialen Beratungsstelle übernahm. Danach baute sie für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern die Schulseelsorge auf.

Frau Drescher, seit 50 Jahren hilft die TelefonSeelsorge rund um die Uhr. Mehr als eine Million Anrufe sind in diesem Zeitraum zusammengekommen. Was empfinden Sie, wenn Sie sich das vor Augen führen?
Es ist gigantisch, dass die Evangelische TelefonSeelsorge München es von Anfang geschafft hat, an jedem Tag im Jahr für die Menschen in dieser Stadt da zu sein. Aus dem Nichts heraus haben sich 1968 etwa 80 Leute – heute sind es 110 – bereit erklärt, ehrenamtlich am Telefon zu helfen. Damals hatten nur zehn Prozent der Haushalte einen Telefonanschluss.
Seinerzeit war es innovativ, über den Kanal Telefon rund um die Uhr für Hilfe suchende Menschen erreichbar zu sein. Innovativ sind wir mit unserem Angebot via Chat und E-Mail bis heute geblieben.

Wie lautet das Erfolgsrezept der TelefonSeelsorge?
Dass unsere Ehrenamtlichen sagen: Ich möchte für andere Menschen da sein. Sie wollen das, was ihnen in ihrem Leben geschenkt wurde, an andere zurückgeben. Sie wollen ihre Ressourcen zur Verfügung stellen für andere Menschen, die weniger haben, die etwas suchen oder die in Not sind. Dass Menschen – ohne dass es ihr Beruf ist – ihre Zeit und ihre Energie für andere geben, ist unser Erfolgsrezept.

Wie finden Sie diese Menschen?
Sie finden uns. Die TelefonSeelsorge ist mittlerweile eine bekannte Marke. Wir werben mit Flyern, haben Presseauftritte, zeigen uns bei der Freiwilligenmesse. Aber letztlich kommen die Ehrenamtlichen zu uns und sagen, dass sie bei uns mitarbeiten wollen. Wir haben jedes Jahr genügend Interessenten, die wir für unsere Arbeit am Telefon und am Rechner ausbilden können.

Ihr Angebot ist niederschwellig, also mit geringem Aufwand zu nutzen. Es ist für jeden offen, anonym und kostenlos. Wie wichtig sind diese Faktoren?
Alle Angebote im Evangelischen Beratungszentrum sind niederschwellig, kostengünstig oder kostenfrei und an alle Menschen gerichtet – egal woher sie kommen, welcher Religion sie angehören oder welche Lebensform sie leben. Der Griff zum Telefon ist niederschwelliger als ein Termin vor Ort, weil ich es jederzeit einfach so nutzen kann. Die TelefonSeelsorge ist kostenfrei und total anonym. Nicht einmal die Rufnummern werden angezeigt. Dank der Unterstützung durch die Deutsche Telekom, die die Verbindungen zur Verfügung stellt, ist es so niederschwellig wie möglich.

Welche Rolle spielt die TelefonSeelsorge innerhalb des Evangelischen Beratungszentrums?
Aus anderen Städten wusste man 1968 schon, dass sie eine gute Ergänzung zur Erziehungsberatung sowie zur Ehe-, Familien- und Lebensberatung sein kann. Diese beiden Angebote gab es damals im ebz. Wir waren also für Menschen mit einem Termin bei uns da, aber eben nicht rund um die Uhr und anonym. So entstand ein von Anfang an attraktives Angebot, das nicht mehr wegzudenken ist.

Ist die TelefonSeelsorge das jüngste Baby im ebz?
Nein, die Schwangerschaftsberatung kam 1974 mit dem Schwangerschaftskonfliktgesetz hinzu. Zwischen 1968 und 1974 ist auch die Pastoralpsychologie entstanden. Geistliche wollten sich nach dem Vorbild der Ehrenamtlichen aus der TelefonSeelsorge psychologisch ausbilden lassen.

Was könnte noch besser laufen bei der Evangelischen TelefonSeelsorge?
In der medialen Seelsorge sind heute Chat und E-Mail die neuen Kanäle. Diese Online-Beratung wollen wir weiter ausbauen, da ist noch Luft nach oben. Dafür benötigen wir aber mehr Ressourcen, weil neue Technik immer auch teuer ist. Jeder Chat, den wir auf unserer Plattform einstellen, wird sofort gebucht. Menschen warten darauf, dass sie in einem Chat kommunizieren können. Unser Ziel für die Zukunft muss sein, dieser offensichtlich großen Nachfrage noch besser gerecht zu werden.

Interview mit Gerborg Drescher als PDF