Wolfgang Fischer / Styx

Regisseur

 

Wolfgang Fischer, geboren 1970 in Wien, studierte Psychologie und Malerei an der Universität Wien sowie Film und Video an der Kunstakademie Düsseldorf bei Nan Hoover. Anschließend absolvierte er von 1996 bis 2001 ein Film- und Fernsehstudium an der Kunsthochschule für Medien Köln. 2002 besuchte er einen Kurs in Schauspielführung bei Mark Travis in Polen und 2004 einen Workshop zur Stoffentwicklung für Genreproduktionen mit Stephen Cleary und Simon van der Borgh in Rom. 2005 erhielt er ein Stipendium für den Besuch der Drehbuchwerkstatt München und entwickelte dort das Buch zu seinem Debütfilm „Was Du nicht siehst“ (2009). Sein Film „Styx“ hat bereits eine Vielzahl von Preisen und Auszeichnungen erhalten.

 

Herr Fischer, Sie haben sehr lange – neun Jahre – an diesem Film gearbeitet. Wie ist diese Story entstanden?

Da war das Bedürfnis, einfach einen Film in erster Linie über uns zu machen und die Frage: Wer sind wir, sollen wir sein, wer müssen wir sein in dieser Welt, in der wir leben. Deswegen ist der ganze Film nur aus der westlichen Perspektive erzählt, aus der der Hauptfigur, der Seglerin … Und wenn man diesen Film sieht, stellt man sich selbst die Frage: wie würde ich mich denn verhalten? Migration ist ein beherrschendes Thema, was uns die nächsten Jahrzehnte, Jahrhunderte beschäftigen wird. Und darüber wollten wir einen Film machen.

Im Grunde aber erzählen Sie doch die Geschichte einer einsamen Frau auf hoher See, von einer Situation, in die wir nicht so leicht kommen können …

Wir können tagtäglich in so eine Situation kommen! Das Besondere im Film ist, dass sie auf dem Meer stattfindet, aber es kann einem genauso auf der Autobahn passieren. Es geschieht ein Unfall – bleiben wir stehen oder fahren wir weiter? Darum geht es. Wie wir mit Hilfe umgehen und wie wir mit Menschen in Not umgehen.

Kann man denn für eine solche Situation überhaupt richtig vorbereitet sein? Die Protagonistin ist Notfallärztin und hochkarätig ausgebildet. Trotzdem scheitert sie. Warum haben Sie ausgerechnet sie in diese schier ausweglose Situation hineingesetzt?

Man sieht das sehr gut: Sie ist in der Tat perfekt ausgerüstet. Im Helfen ist sie Profi. Aber sie ist eben allein. Und das ist natürlich auch ein Appell an uns alle: Allein kann ein Mensch das nicht leisten. Deshalb müssen wir alle zusammenstehen. Es geht um das Wir und nicht um das Ich. Und wir müssen alle versuchen, gemeinsam diese schrecklichen Horrorszenarien zu beenden. Dieser Film ist ein Appell. Gleichzeitig muss man sehr vorsichtig sein bei diesem Thema, dass man nicht ins Pathetische abrutscht und kein Klischee bedient und mit dem politischen Zeigefinger zum Publikum deutet. Da musste ich mich sehr zurücknehmen.

War das die größte Herausforderung in der Umsetzung dieses Films?

Wir mussten erst mal herausfinden, wie man auf dem offenen Meer überhaupt drehen kann! Bislang hatte niemand je so einen Film gemacht. Wir konnten also nicht auf Erfahrungswerte zurückgreifen, sondern mussten alles selbst herausfinden. Wir haben 42 Tage auf einer 11-Meter-Yacht gelebt, wo es keinen Rückzugsraum und keinen Ort der Intimität gab. Insbesondere für die Schauspielerin war das eine große Herausforderung, dass wir da tagtäglich auf diesem selben Boot gesessen sind. Auf dem Meer zu drehen ist extrem schwierig, weil man extreme Wetterwechsel hat, die Farbe des Meeres ändert sich permanent. Und immer die Frage: wie können wir das bewerkstelligen, damit das am Ende filmisch funktioniert? Das war wirklich sehr schwierig. Wir wollten eben auch einen wirklich authentischen Film ohne Spezialeffekte. Wir wollten mit dem Zuschauer zusammen diese reale Welt begehen.

Jenseits der technischen Umsetzung: Wie war der Prozess, mit dem Sie diese Story präzisiert haben?

Der Rechercheprozess war sehr intensiv. Wir haben mit sehr vielen NGOs gesprochen, mit sehr vielen Geflüchteten über ihre Erlebnisse. Die Menschen, die im Film vorkommen, sind nicht irgendwelche Statisten. Beispielsweise die Rettungskräfte am Anfang sind echte Feuerwehrleute und Rettungssanitäter; die Soldaten auf dem Coast-Guard-Schiff sind Soldaten von der Maltesischen Armee, die tatsächlich Rettungseinsätze fahren; die Menschen auf dem sinkenden Schiff haben tatsächlich diese schreckliche Überfahrt über das Meer erlebt. Und so schaut man sich das, was da passiert, aus sehr unterschiedlichen Perspektiven an. Es geht ja auch darum, dass man mehr macht als einen Film – es geht hier um eine gewisse Haltung.

Wie meinen Sie das?

Das sieht man an der Figur des Kinsley. Da war uns klar, dass das ein Mensch sein muss, der Afrika sehr gut kennt. Man kann nicht einfach in Berlin ein Kind für so etwas casten. Wir haben dann über die Stiftung „One Fine Day“ von Tom Tykwer und Marie Steinmann eine Verbindung bekommen nach Nairobi, in den Slum Kibera. Der Verein unterhält Schulen, in denen Kinder aus den Slums ihre Kreativität ausleben können. Es gibt Tanz-, Mal- und Akrobatikklassen. In den Schulen haben wir dann in einem Casting mit 60 Buben Kinsley gefunden. Und haben dann eine wahnsinnige Reise mit ihm gemacht. Er konnte z.B. nicht schwimmen, das mussten wir erst einmal mit ihm trainieren. Die Folge: Nach dem Film hatte er zwei Hollywood-Castings! Jetzt hat er gerade die Hauptrolle in einem spanischen Film gespielt. Man sieht, dass Kreativität etwas erreichen kann. Und wenn man schon mit einem Film so einen Brückenschlag zwischen Afrika und Europa machen kann, dann wäre noch so vieles anderes möglich! Das war uns ein großes Anliegen, dass das mehr wird als nur ein Film. Dass wir hier einen Dialog aufgebaut haben. Dass wir nicht mit Fakten spielen, sondern einen emotionalen Dialog mit dem Publikum führen.

Können Sie Menschen mit Ihrem Film wirklich erreichen? Bewegt er etwas bei Ihren Zuschauern?

Ich war jetzt schon fast auf der ganzen Welt mit dem Film unterwegs. Und so viele Menschen sind nach dem Screening auf mich zugekommen und haben gesagt: „Wir lesen das jeden Tag in den Zeitungen, wir wissen Bescheid, aber man hakt das einfach so ab.“ Aber nach dem Film haben mehrere Menschen zu mir gesagt: „Jetzt verstehe ich das emotional“. Da gab es dann einen extremen Gesprächsbedarf. Und ich finde, wenn man anfängt darüber zu sprechen, dann ist das der erste Schritt in eine richtige Richtung.

 

 

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