Florian Baron / Joe Boots

Foto: Johannes Waltermann

Regisseur

 

Florian Baron wurde am 21. Juni 1984 in Berlin geboren. Er lebte von 2004­ bis 2006 in Japan, wo er an mehreren Filmen und Video-Installationen arbeitete. Von 2007 bis 2012 studierte er an der HFF „Konrad Wolf“ Filmschule in Potsdam Regie. 2013 erhielt er ein DAAD-Stipendium für die Universität von Pittsburgh, USA.

 

Ganz banal: Was hat Ihr Film mit Menschenrechten zu tun?

Ja, das habe ich mich auch gefragt, als mir empfohlen wurde mich bei dem Deutschen Menschenrechts-Filmpreis zu bewerben. Menschenrechte waren nicht der Fokus, als wir den Film gemacht haben, das hat sich einfach so entwickelt. Offensichtlich geht der Film um Krieg. Menschenrechte sind aber natürlich das, was als Erstes verschwindet, wenn Krieg herrscht. Der Film zeigt zwei verschiedene Aspekte, die Menschenrechte betreffend. Im Hinblick darauf ist er sehr spannend, zeigt die Komplexität und was Krieg eigentlich alles bedeutet. Zum einen ist Joe Täter und verwehrt Menschen ganz klar Menschenrechte während seiner Zeit im Einsatz. Zum anderen ist er aber zugleich auch ein Opfer seiner Tätigkeit als Soldat. Nach seiner Rückkehr leidet er an einem Trauma von unsichtbaren Verletzungen, und es wird ihm nicht dabei geholfen. Das Recht auf die körperliche und geistige Unversehrtheit wird ihm dann von seiner eigenen Regierung oder dem Krankendienst beim Militär verwehrt. Das wird aber natürlich nicht zur Sprache gebracht, wenn junge Leute für das Militär rekrutiert werden. Es geht dann nur darum, dass man etwas Gutes, etwas Richtiges tut, indem man sein Land verteidigt und was das für einen Wert hat für die Gesellschaft zuhause. Tatsächlich ist es aber eben nicht so.

Wie kamen Sie darauf, einen Film über PTSD (post traumatic stress disease) in den USA zu drehen?

Ich habe für etwa ein Jahr als Gaststudent in Pittsburgh gelebt. Während dieser Zeit lernte ich durch Zufall Leute in meinem Alter kennen, die nach dem 11. September im Krieg waren. Für mich war das erst einmal etwas Überraschendes etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. Bis dahin assoziierte ich den Begriff Kriegsveteranen immer automatisch mit alten Männern. Ich habe das überhaupt nicht auf meine Generation bezogen. Man muss sich aber klar machen, dass nach dem 11. September über zwei Millionen junge Amerikaner, vorwiegend aus dem Kernland der USA, im Krieg im Irak und Afghanistan im Einsatz waren. Das sind Leute, die zur gleichen Zeit wie ich aufgewachsen sind. Sie sind mit den gleichen Filmen, der gleichen Musik wie ich groß geworden. Nur haben sie sich dann mit 18 Jahren freiwillig zum Militär gemeldet, eigentlich mit dem Wissen, dass sie in den Krieg gehen werden, und auch mit dieser Absicht. Das ist eine Entscheidung, die mir sehr fremd ist, die ich so für mich selbst niemals getroffen hätte. Ich wollte aber mehr darüber erfahren, wollte wissen, wie kamen sie dazu, und wie geht es ihnen jetzt danach? Das war das ursprüngliche Interesse an dem Thema. Dieser Kurzfilm ist eine Auskoppelung, ein Einzelporträt von Joe aus Material meines Langfilms zu dem Thema.

Wie kamen Sie auf Joe?

Die Annäherung an die anderen Veteranen und Veteraninnen und auch an Joe war ein längerer Prozess. Ich habe Joe und die anderen Protagonisten und Protagonistinnen über persönliche Connections, über Freunde von Freunden getroffen. Ich habe mich einmal mit Joe zum Kaffeetrinken getroffen, um grob von ihm zu hören, was seine Geschichte ist. Das Interview, das im Film zu sehen ist, war unser zweites Treffen und bildete die Grundlage dafür, dass wir ihn länger begleitet haben. Die Sachen, die er im Interview erzählt hat, hörte ich zum ersten Mal, und so ähnlich war das mit den anderen fünf Veteranen und Veteraninnen des langen Dokumentarfilms auch. Man ist erst einmal erstaunt, wie persönlich das ist, worüber Joe spricht, und wie verletzlich er sich zeigt. Ich glaube aber, dass es auch geholfen hat, dass wir uns vorher nicht gut kannten und vor allem, dass ich und auch Johannes, der Kameramann, aus Deutschland kommen. Wir sind keine Amerikaner, die alle Aussagen sofort politisch einordnen und bestimmte Ansichten haben. Wir waren aus ehrlichem Interesse an seiner Geschichte da.

Weshalb hat er sich Ihnen und Ihrer Kamera anvertraut?

Joe hat diesen ganzen Prozess vom ersten Interview bis zu den Besuchen der Festivals und Schulen, wo der Film der Welt gezeigt wurde, als sehr therapeutisch empfunden, auch das, was er zu seinem Trauma erzählt hat. Es lässt nach in dem Moment, wo er sich anderen Menschen gegenüber öffnet und ehrlich sagt, was mit ihm los ist, was ihn nicht loslässt. Dieser Prozess hat bei ihm Jahre gedauert und fing an mit den Personen, die ihm am nächsten stehen. Als wir ihn interviewt hatten, war dieser Prozess schon so weit fortgeschritten, dass er sich auch jemandem öffnen konnte, den er gar nicht kannte. Sozusagen als einer der letzten Schritte seines Heilungsprozesses mit seiner Geschichte und diesen traumatischen Erfahrungen in die Welt hinaus zu gehen. Das funktioniert natürlich nur, wenn der Mensch, der da interviewt werden soll, an einem Punkt ist, wo er darüber sprechen kann, und für sich selbst auch etwas daraus ziehen kann. Wir haben auch verschiedene Interviews mit Menschen gemacht und haben festgestellt, dass die Person einfach noch nicht so weit ist. Sie kann zwar über allgemeine Sachen sprechen, aber nicht über die eigenen konkreten Erinnerungen. Joe ist an einem Punkt, wo er selbst noch verletzlich ist, aber zur gleichen Zeit auch darüber sprechen kann.

Wieso haben Sie und Johannes Waltermann sich dazu entschieden, slow-motion für die Übersetzung, die bildliche Darstellung von Joe’s Trauma zu wählen?

Ich hatte angefangen, für das Projekt Recherche-Interviews zu führen und diese erstmal nur vom Ton her aufzuzeichnen. Ich fand diese Form des persönlichen Geschichte-Erzählens, was mich auch an dokumentarischen Podcasts sehr reizt, faszinierend. Man hört einer Person erst einmal zu und hat kein Bild dazu. Die Frage war, wie man diese Art von persönlicher Erzählung im Film nutzen kann und eben Bilder dazu findet, die nicht die Person zeigen, sondern wie eine Assoziationsfläche sind für das, was sie erzählen. Ich hatte in einer Videoinstallation von einem Künstler diese Art von slow-motion-Aufzeichnung gesehen. Er hat in New York Straßenszenen mit einer slow-motion-Kamera aus dem fahrenden Auto gedreht, und man bekommt diesen Effekt, von Menschen, die auf der Straße wie eingefroren wirken, aber die Kamera sich an ihnen vorbeibewegt, als würde man sich durch eine eingefrorene Welt hindurchbewegen. Als ich das gesehen habe, dachte ich sofort, das passt total zu dem, wovon die Veteranen und Veteraninnen in ihren Interviews sprechen. Diese Wahrnehmung von dieser normalen, „heilen Welt“ zuhause, aber eben nicht mehr Teil davon zu sein, sondern außen vor zu bleiben. Jedoch auch Sachen und Situationen, die für uns, die wir nicht im Krieg waren, so alltäglich und so normal sind, dass wir uns das gar nicht vorstellen können, dass das für jemanden jetzt so unerträglich ist. Das ist das Absurde oder das, was es so schwer macht nachzuvollziehen, was mit diesen Menschen los ist.

Ich fand die Zeitlupe ein sehr spannendes Mittel, um das visuell darzustellen, und sie taucht auch immer wieder auf in Erzählungen von Joe. Dieser Zustand im Krieg, wenn es um Leben und Tod geht und auf einmal alles wie in Zeitlupe abläuft. Diese Momente brennen sich ein im Gedächtnis, und später zuhause, kann es dann passieren, dass durch irgendein Geräusch oder einen speziellen Geruch eine Erinnerung hochkommt, und auf einmal befindet man sich wieder in diesem Zeitlupen-Modus. Eigentlich ist es aber eine vollkommen alltägliche Situation, diese Gefahr gibt es da nicht. Zeitlupe stand dementsprechend ziemlich früh für uns als Stilmittel fest. Johannes und ich haben dann dieses visuelle Konzept weiterentwickelt und uns auch noch andere Ebenen überlegt. Wie etwa diese „Follower-Einstellung”, wenn die Kamera Joe folgt, die inspiriert ist von „Videospiel-Ästhetik”. Sozusagen diese Kameraperspektive, die immer auf bevorstehende Action hinweist. Gleich passiert etwas. Diese Action kommt aber nie. Dieses Trainiertsein für den Ernstfall und im Krieg zu funktionieren. Das ist genau das, was für diese Menschen zuhause so schwer ist. Die Action kommt nicht mehr. Diese ständige Hyperaufmerksamkeit ist zuhause in der „heilen Welt” fehl am Platz, und deswegen kommt es zu diesen Stresssymptomen und dem ständigen Gefühl, sich im Ausnahmezustand zu befinden.

Was reizt Sie ganz allgemein am Genre Dokumentarfilm?

Mich reizt daran am meisten, mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen, einen Einblick in das Leben von anderen Menschen zu bekommen, welcher mir sonst vielleicht verwehrt bleiben würde. In meinem Film mit den Veteranen und Veteraninnen aus den USA, diese Entscheidung in den Krieg zu gehen, ist mir erst einmal sehr fremd, und mir ist auch dieser Patriotismus sehr fremd. Wenn ich so jemanden auf der Straße sehen würde, weiß ich nicht, ob ich mich mit dem einfach so unterhalten würde, mich mit ihr/ihm verstehen würde oder mich für den Menschen dahinter interessieren würde. Ich glaube, für mich ist dieses Arbeiten an einem Dokumentarfilm auch eine Art von über den eigenen Schatten springen oder eigene Vorurteile erst einmal außen vor zu lassen und Menschen mit einem grundlegenden Interesse zu begegnen. Das ist das, was mich immer wieder zurück zum Dokumentarfilm bringt, auch wenn ich verschiedene Spielfilm-Projekte mache oder Musikvideos, die oft von der Inszenierung und einer gewissen Oberflächlichkeit leben, was ja dann auch den Reiz ausmacht. Das dokumentarische Arbeiten, die Begegnung mit echten Menschen und sich ehrlich für sie zu interessieren ist das, was mich immer wieder fasziniert und was ich immer wieder suche. Bei mir funktioniert es nicht so, dass ich mir ein Thema überlege und dann sage, darüber mache ich jetzt einen Film. Ich begegne Menschen und sie interessieren mich. Daraus kann sich dann eventuell ein Filmprojekt entwickeln. In jedem Fall ist es ein Prozess, der aus meinem persönlichen Erleben und meinem persönlichen Interesse genährt wird.

 

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