Interview mit Christine le Coutre

Leitung der Ehe-, Familien- und Lebensberatung

 

„Die Konflikte haben sich grundsätzlich verschärft.“

Auf welche Art zeigen sich in der Beratung gesellschaftliche Umbrüche?
Gesellschaftliche Phänomene spiegeln sich grundsätzlich in den Themen der Familien und Paare wider und damit auch in unseren Beratungen. Die hohen Lebenshaltungskosten in München führen dazu, dass Familien auf ein Doppeleinkommen angewiesen sind. Emotionale Belastung, Zeitmangel und Stress sind die Folgen. Darunter leidet meist die Partnerschaft, was wiederum zu heftigen Beziehungs- und Lebenskrisen führen kann. Auch nach einer Trennung müssen viele Paare weiter zusammenwohnen. Wir stellen fest, dass schwierige äußere Anforderungen unsere Klientinnen und Klienten immer wieder in ihrer Entwicklung blockieren. Dazu gehören Erwartungen der Arbeitgeber und der Gesellschaft, zu wenige Betreuungsplätze für Kinder sowie Mängel in der pflegerischen Versorgung. Darüber hinaus hat sich das Altersspektrum unserer Klienten vergrößert – neben den sehr jungen Menschen unter 30 kommen zunehmend auch ältere Personen und Paare ab 70 zu uns.

Wie haben sich die Konflikte der Ratsuchenden über die Jahre verändert?
Die Konflikte haben sich grundsätzlich verschärft. In Partnerschaften sind sie aggressionsgeladener und komplexer geworden wegen der äußeren Anforderungen und der steigenden Zahl psychischer Erkrankungen. Wir beobachten immer häufiger, dass Streit aufgrund mangelnder psychischer und materieller Ressourcen eskaliert. Andere Themen wie Geld, Sexualität, Anerkennung, Aufmerksamkeit und Kommunikation haben sich in den letzten Jahren kaum verändert.

Welche Menschen nehmen Ihr Angebot in Anspruch?
Zu uns kommen Erwachsene jeden Alters, aus jeder sozialen Schicht, jeder Nationalität, aus unterschiedlichen Lebensformen, mit allen Herausforderungen des Lebens. Dazu gehören Alleinstehende, heterosexuelle und homosexuelle Paare, Eltern, Patchworkfamilien oder Alleinerziehende.

Woran messen Sie den Erfolg einer Beratung?
Wir begleiten Einzelpersonen und Paare in ihrer individuellen Entwicklung. Eine Beratung ist erfolgreich, wenn die Klienten eigenständiger mit ihren Problemen umgehen können und ihr Leid dadurch abnimmt. Wer flexiblere Bewältigungsstrategien und emotionale Reaktionen auf seine Probleme entwickelt hat, kommt als Paar wieder ins konstruktive Gespräch. So können Paare ihre Konflikte lösen und sich wieder in Liebe begegnen.

Welche Rolle spielen Sinnfragen in den Gesprächen?
Bei uns geht es immer um den Menschen. Damit sind Sinnfragen wesentlicher Bestandteil der Beratungen. Meist geht es um Fragen wie „Wer bin ich?“, „Wo sind meine Wurzeln?“, „Wo ist mein Platz im Leben?“ oder „Was trägt mich?“.
Unsere älteren Klientinnen und Klienten blicken häufig zurück: auf das eigene Leben, die Religiosität und die „Ernte des Lebens“. Bei Fehlern, Verletzungen und Scham stellt sich oft die Frage nach dem Warum – „Warum ich?“.

Wie wirkt sich der Mangel an Plätzen für Psychotherapie auf das ebz aus?
Zu uns kommen oft Klienten, die sich schwertun, einen niedergelassenen Therapeuten zu finden – sei es aufgrund ihrer Beziehungsunfähigkeit, der Schwere der Störung, mangelnder Motivation oder Struktur für einen intensiven therapeutischen Prozess. Manchmal überbrücken wir die Wartezeit auf einen Therapieplatz. Stabilisierung und Motivation zur Therapie sind dann Ziele dieser Beratung. 60 Prozent unserer Klientinnen und Klienten kommen zur Paarberatung. Da die Krankenkassen diese Kosten nicht übernehmen, ist dieses Angebot unabhängig von psychotherapeutischen Leistungen und deren Finanzierung.

 

Porträt Christine le Coutre

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