Sie haben sich ein eigenes, trickreiches Wegenetz durch die Isarauen zwischen Thalkirchen und Grünwald gebahnt. Auf schmalen Pfaden brausen sie durch Rinnen und Mulden, über Stock und Stein: die Mountainbiker. Für den Naturschutzexperten Manfred Siering ist dieses Freizeitvergnügen eine ernste Sache. Er schlägt Alarm: Scharen von Mountainbikern walzen durch das Isartal und töten dabei auch Tiere.

Herr Siering, Sie kennen das Isartal seit Kindertagen. Wie lange sind dort schon Mountainbiker unterwegs?
Den Mountainbike-Trend im Isartal gibt es ungefähr seit 15 Jahren. Extrem zugenommen hat er in den letzten drei bis vier Jahren. Neuerdings kommen noch die E-Bikes hinzu. Es werden immer mehr Menschen, die das Isartal für diesen Sport entdecken. Kein Wunder, denn die Mountainbike-Trails an der Isar werden in der Presse als Tourentipps beworben.

Sie sehen die Mountainbiker als Problem?
Ja, allmählich stellt sich für mich das Mountainbiken in diesem Gebiet als Problem dar. Ich führe seit Jahren vogelkundliche Exkursionen durch die Isarauen. Es kam immer häufiger vor, dass Mountainbiker ganz knapp an meiner Gruppe vorbeibrausten – meist ohne zu klingeln oder zu bremsen. Das hat mich zunächst geärgert, weil es gefährlich für meine Teilnehmer war. Doch bei genauerem Hinsehen entdeckte ich eine überfahrene Spitzmaus, eine zweigeteilte Blindschleiche, eine platte Schlingnatter und sogar eine überfahrene Singdrossel. Diese Ereignisse haben sich summiert, bis mir der Kragen geplatzt ist. Ich habe nicht nur den Bund Naturschutz, sondern auch den Landesbund für Vogelschutz und den Isartalverein zu Hilfe gerufen. Heute bin ich Sprecher dieser Naturschutzverbände, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Nutzung des Isartals durch die Lobby der Mountainbiker zu lenken und vielleicht einzudämmen.

Im Isartal gibt es zahlreiche geschützte Tierarten. Welche Arten sind durch die Mountainbiker gefährdet?
In der Klasse der Vögel haben wir hier zum Beispiel den Uhu, die Waldschnepfe oder den Waldlaubsänger. Besonders gefährdet sind Tiere, die ständig am Boden leben. Also Reptilien wie Kreuzotter, Ringelnatter, Schlingnatter und Blindschleiche. Und auch Froschlurche wie Springfrosch, Grasfrosch, Gelbbauchunke und Erdkröte. Alle diese Tiere stehen auf der roten Liste. Wenn ein Lehrer einen Springfrosch einfängt, um ihn seinen Schülern zu demonstrieren, macht er sich strafbar, weil diese Art geschützt ist. Aber die Mountainbiker dürfen frei fahren. Das leuchtet mir nicht ein.

 

„Aus der Sicht einer Blindschleiche ist es eine Todesspur!“

 

Wie kommen diese Tiere zu Schaden?
Amphibien und Reptilien werden direkt getötet. Die ahnen gar nichts und plötzlich ist das Mountainbike da. Eine Kreuzotter zum Beispiel, die kriecht morgens aus ihrem Mauseloch und muss erst einmal ihre Betriebstemperatur erreichen. So ein Weg wie der Mountainbike-Trail ist meist der sonnigste Platz im Wald und da legt sie sich hin. Die ersten Mountainbiker kommen meist ganz in der Früh und dann gibt es schon die ersten Opfer. Ich rede da immer von Todesspur. Was soll ich denn sonst sagen? Aus der Sicht einer Blindschleiche ist es eine Todesspur! Vögel werden durch die Mountainbiker meist nicht direkt getötet, sondern hauptsächlich vertrieben. Aber auch das hat gravierende Folgen. Nehmen wir den Waldlaubsänger, das sind Bodenbrüter. Die bauen ihr winziges Nest im Isarauwald direkt am Boden. Für die Futtersuche müssen die Vögel hoch hinauf in die Baumkronen, wo sie Raupen finden. Stellen Sie sich vor, wenn dort jetzt den ganzen Tag unablässig Mountainbikes fahren: Die Vögel kehren nicht mehr in ihr Nest zurück und die Jungen verhungern. Das trifft Waldlaubsänger genauso wie Zilpzalp, Fitis, Rotkehlchen, Heckenbraunelle oder Mönchsgrasmücke. Wunderschöne Vogelstimmen, die wir alle bewundern und so gerne hören. Fast alle sind aus dem Talboden verschwunden.

 

 

Es gibt doch ein Lenkungskonzept, das die Mountainbike-Routen eingrenzen soll.
Ja, ein Lenkungskonzept wurde beschlossen. Daran waren sowohl drei große Mountainbike-Verbände als auch Bund Naturschutz, Ornithologische Gesellschaft und Landesbund für Vogelschutz sowie Vertreter aus Landratsamt und Stadt München beteiligt. Die Gruppe hat auf jeder Isarseite einen Mountainbike-Trail festgelegt. Mit einem einzigen Trail auf jeder Seite können auch die Naturschützer leben. Mit Bauchschmerzen zwar, aber sie können das akzeptieren. Dieses Lenkungskonzept existiert aber nur auf dem Papier, draußen ist noch kein einziges Schild aufgestellt! Und es ist auch noch nicht richtig an die Öffentlichkeit kommuniziert worden.

Wenn keine Schilder stehen, woher weiß ein Mountainbiker dann, wo er fahren darf?
Der weiß nichts! Auf ein paar großen Tafeln ist das Lenkungskonzept erklärt, an der Grünwalder Brücke steht zum Beispiel so eine. Ich habe allerdings noch nie einen Mountainbiker dort stehen sehen. Daneben gibt es noch uralte Schilder, die sind aber verwirrend. Darauf steht „Radfahren verboten“ oder „Vorsicht Steinschlag“. Wir brauchen eine neue und eindeutige Beschilderung!

Wenn es Verbotsschilder gibt, braucht man jemanden, der das kontrolliert.
Es gibt Isar-Ranger, also Naturschutz-Wächter, aber es sind zu wenige. Für ein ganzes Wochenende sind aktuell vielleicht vier Mann eingeteilt und die sollen alles kontrollieren, von Brandgefahr bis zum Biberschaden zwischen Grünwald und Ismaning. Die Ranger sind hauptsächlich ältere Leute, die richten nicht mehr so viel aus. Das sind gutwillige Leute, aber die legen sich nicht mit einem Mountainbiker an. Wir brauchen dringend personelle Verstärkung. Die neuen Ranger müssen selbst Mountainbiker sein, mit anständiger Uniform, entsprechender Weisungsbefugnis und einem Funkgerät, um die Polizei zu rufen. Allerdings kommt die Polizei ja nur, wenn es eine entsprechende Verordnung gibt, auf die sie sich berufen kann. Aber diese Verordnung existiert noch nicht.

 

„Durch die Mountainbiker ist eine Verschlechterung eingetreten.“

 

Müsste das Münchner Isartal als Naturschutzgebiet ausgewiesen werden, um eine derartige Verordnung zu erlassen?
Das Münchner Isartal ist FFH-Gebiet, also Flora-Fauna-Habitat-Gebiet. Das ist Naturschutz! Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie ist verbindliches, europäisches Naturschutzrecht. Ein FFH-Gebiet ist sogar mehr als ein Naturschutzgebiet: dort gilt ein Verschlechterungsverbot. Durch die Mountainbiker ist aber eine Verschlechterung eingetreten! Wir hätten also die Instrumente in der Hand, um eine entsprechende Verordnung zu erlassen.

 

Biotop in den Isarauen

Die Isarauen sind ein europäisches Naturschutzgebiet.

 

Was wünschen Sie sich für das Isartal?
Jeder sollte wissen, welche schützenswerten Tierarten dort leben. Und ich wünsche mir, dass die zuständigen Behörden endlich ihrer Pflicht nachkommen. Die FFH-Richtlinie ist europäisches Naturschutzrecht, das umgesetzt werden muss! Frederic Vester hat vor 20 Jahren ein Buch geschrieben, es heißt „Der Wert eines Vogels“. Darin hat er zusammengerechnet, wie viel ein Blaukehlchen wert ist. Nicht nur den Materialwert, also Knochen, Federn, Fleisch, sondern auch der Wert seiner Leistungen: Schädlinge vertilgen, Samen verbreiten und dem Menschen Freude bringen. Diesen Wert müsste man eigentlich für jedes Tier und für jede Pflanzenart festlegen.

[Anm. d. Verf.: Der Materialwert eines Blaukehlchens liegt bei 1,5 Cent. Seine Leistungen sind jährlich 154,09 Euro wert.]

 

Manfred Siering

Manfred Siering wurde 1946 geboren und wuchs in Grünwald an der Isar auf, wo er heute noch lebt. Seit seiner Jugend ist er von der Vogelwelt fasziniert. Er engagiert sich seit Jahrzehnten im Naturschutz, ist Vorsitzender der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern, aktives Mitglied beim Landesbund für Vogelschutz in Bayern, stellvertretender Vorsitzender der BUND Naturschutz Kreisgruppe München und Dozent für Naturkunde an der Münchner Volkshochschule. Er berät Naturschutzbehörden, leitet vogelkundliche Exkursionen und begeistert Menschen für den Schutz der Natur. Für sein großes und vielfältiges Engagement erhielt er 2009 das Bundesverdienstkreuz.