Das Publikum ist bunt. Vermutlich senken wir den Altersdurchschnitt ein wenig. 50-jährige Männer mit gegelten, blondierten Spitzen, Metalband Shirts unter Lederjacken, karierte Kurzarmhemden, zu schmale, rechteckige Brillen mit dünnem Gestell. Der Hipster ist auch da. Rotes Beanie, die Ohren natürlich nicht bedeckt, enge Jeans und Adidas Retro Sneaker – High Tops, ist klar. Vermutlich hat aber auch er die 30 schon hinter sich gelassen. Einige Besucher lösen Mini-Playback Show Déjà-Vus in mir aus. Ich sehe, wie sich die Schiebetür öffnet, und Monika, acht Jahre, die Treppen im Nebel herunter hopst: Frecher Fransenschnitt, weiße Stiefel mit kleinem Absatz, Kurzarmhemd aus der Herrenabteilung in den High-waist Bund der Mom Jeans gestopft. Moonwashed natürlich. Manche Outfits heute Abend kommen daher wie Monika, aber Ende 40. Jede 20-Jährige wäre neidisch auf ihr Outfit. Ich auf jeden Fall.

Ob ich auf einer bunten 80er Jahre Party gelandet bin? Fast, heute findet das Alphaville Konzert im Technikum München statt. Woran mich der Song Forever Young erinnert, das war die Frage eines Facebook-Gewinnspiels, bei dem man Karten für das Konzert gewinnen konnte. An die Abschlussballszene in Napoleon Dynamite: Da steht er ohne Date vor der Tanzfläche und es läuft Forever Young. Als Alphaville 1984 ihr Debutalbum veröffentlichten, gab es mich noch gar nicht. Ich war kein frisch verliebter Teenie auf meinem Abschlussball. Trotzdem verbinde ich Erinnerungen mit dem Song. Er lief bei Schuldiscos, Uniparties, mittlerweile auf Hochzeiten – immer dann, wenn die 80er Playlist startet und es Zeit wird, zu gehen. Die Karten habe ich tatsächlich gewonnen; zwei Stück. Ich werde zumindest nicht allein hier stehen, wenn das Lied läuft. Was mich heute Abend sonst noch erwartet? Ich weiß es nicht. Ein Blick durchs Publikum lässt vermuten, dass einige der Besucher auf eine kleine Zeitreise hoffen.

Von der Originalbesetzung ist einer übrig

Der Sänger Marian Gold kommt schnippend und klatschend auf die Bühne. Das kann ja was werden. Begleitet wird er von einer vierköpfigen Band: Gitarrist, Drummer, Bassistin und Keyboarder. „All die Jahre vorbei und mein Make-Up verblasst.“ Er singt eine deutsche Version von Romeo. Im Hintergrund laufen alte Aufnahmen der damals noch sehr jungen Musiker. Davor der schnippende, 64-Jährige. Was für ein Bild. Aber vor allem: Was für ein grandioses Opening. Ich glaube das wird richtig gut hier! Es folgt Dance with Me und ab da tanze ich durch das Konzert. Die Besucher um mich herum nämlich auch. Bei Flame und Jerusalem singen alle leidenschaftlich mit. Zu Nevermore wird es laut, dramatisch und düster. Von der Leinwand im Hintergrund starrt mich eine grinsende Horrormaske an, alle rasten aus.  Vor allem der Keyboarder. Ich bin seit dem ersten Song sein Fan. Er tanzt ununterbrochen, spielt insgesamt auf vier verschiedenen Geräten, auf einem davon sogar in der Luft.

Es leben die 80er und Synthesizer

Dann spielen sie alle zehn Songs vom Forever Young Album. Alle! Sogar in der fast richtigen Reihenfolge. Genial. Die Hits erkennt man eindeutig an der Anzahl der zum Filmen gezückten Handys. Ein Phänomen, das ich bisher nur von Teenie-Konzerten kannte. Bei Big in Japan sehe ich die Bühne also nur noch durch kleine Bildschirme. Einer meiner absoluten Lieblingssongs, den ich tatsächlich schon seit 20 Jahren kenne. Wenn auch erst nur die Coverversion von Guano Apes. Als 14-jähriger Teenager braucht man Musik, zu der man den pubertären Pickelfrust rausschreien kann. Ich bin froh, dass ich das Original dann doch für mich entdeckt habe.

Bei Forever Young fällt mir vor allem das breite Grinsen auf den Gesichtern um mich herum auf. Jeder singt mit, einige stehen Arm in Arm nebeneinander und schwingen langsam im Takt hin und her. Ich frage mich, an was sie sich wohl gerade erinnern. Erste große Liebe? Abschlussball? Lieder, die Erinnerungen für immer festhalten und vor allem wachrufen können – eine große Kunst. Der Grund, warum ich Konzerte liebe. Zwei Zugaben zum Abschluss, dann ist das Konzert vorbei. Zwei großartige Stunden Synthiepop. Sehr zu empfehlen. Seit heute Morgen läuft bei mir eine neue Spotify Playlist: Zurück in die 80er.

 

Der Originalartikel erschien am 27. April 2019 auf mucbook.de