„Get your motor runnin‘, head out on the highway, lookin‘ for adventure…“; Oh yeah, diese Lady aus dem niederbayerischen Rohr was really „born to be wild“! Ich kenne Loretta schon lange. Meist laufen wir uns auf Rockfestivals über den Weg. Da donnert sie dann auf ihrer 535 Yamaha an. Klar, eine Chopper-Maschine zum Cruisen, wie im Kultfilm „Easy Rider“. Niemals würde sie auf einen „Joghurtbecher“ steigen, wie sie abfällig vollverkleidete Sportmotorräder nennt. Es ist immer ein Hingucker, wenn sie ankommt und dann in ihren schwarzen Lederklamotten vom Stahlross steigt, ihren Helm abnimmt, ihre dunklen Haare mit den lila Strähnen schüttelt und einen breit angrinst. Irgendwann hat sie mir erzählt, ihre Oma mütterlicherseits sei eine „Zigeunerin“ gewesen. Auch Loretta sieht sich irgendwie als „Gypsy Woman“.

Heute besuche ich die 54 Jährige zuhause. Das ist in Rohr. Ein verschlafenes Nest. Hauptsächlich bekannt durch das riesige Benediktiner-Kloster mit Gymnasium. Die etwas Älteren in der Region verbinden mit Rohr womöglich noch etwas anderes aus ihrer Jugendzeit. Da gab es einmal eine berühmt- berüchtigte Rock-Diskothek. „Drogen auf dem Lande“ lautete Ende der 70er die Überschrift eines mahnenden Artikels in einer Jugendzeitschrift. War es die  „Bravo“ ? Ich meine mich vage daran erinnern zu können, dass die Diskothek in Rohr da an erster Stelle genannt worden war. Auch Loretta erinnert sich noch bestens an den Schuppen. „War a gscheid wuide Zeit, aber da hats vui dabröselt, damals“, sagt sie. „Zuviel Aitsch im Umlauf“. Mit „Aitsch“ meint sie Heroin, abgekürzt mit dem Anfangsbuchstaben H, englisch ausgesprochen. Sie selbst habe sich von dem Zeug immer ferngehalten, sagt sie. Loretta liebt das Leben, aber auch die Arbeit.

Mit dem Lamborghini ins Holz

Als ich bei ihr zuhause ankomme, empfängt sie mich mit einer Motorsäge, quasi im Anschlag. Loretta bemerkt meinen etwas erschrockenen Blick und grinst. Sie komme gerade aus dem „Holz“. Nach den Stürmen der letzten Tage sei jede Menge Bruchholz zusammengekommen. „Des muaß raus, wegam Borkenkäfer.“ „Du hast einen Wald?“ frage ich ehrlich überrascht. „Fuchzehn Dowerk“, sagt sie in ihrem echt niederbayerischen Slang, also 15 Tagwerk. „Do muaß i scho mit meim Lamborghini hintre fahrn“. „Was?“ frage ich völlig verwirrt, „Lamborghini? Du? Wo? Und was bitte willst du damit im Wald? Willst du mich auf den Arm nehmen?“„Geh mit“, sagt sie. Sie führt mich in eine landwirtschaftliche Maschinenhalle, drei Bulldogs stehen da. Aha, tatsächlich ist einer der drei Traktoren ein Lamborghini. Die Firma stellt neben Luxus-Sportwagen auch Traktoren her. Das muss man erst mal wissen. Daneben steht auch die Yamaha 535, ihr Bike. Abgemeldet, es ist Februar.

Mitten drin im Hexenkessel

Wer aber denkt, Loretta steigt im Winter nicht auf das Motorrad, der liegt völlig falsch. Loretta ist eine von den Harten. Und nur die kommen bekanntlich in den Garten, z.B zum jährlichen Elefantentreffen in Solla, mitten im tiefverschneiten Bayerischen Wald. Natürlich war Loretta auch heuer wieder mit dabei, Anfang Februar. Sie hat noch eine Wintermaschine, eine 125er Yamaha. Mit der fährt sie jedes Jahr und bei jedem Wetter mitten hinein in den „Hexenkessel“ von Solla. Alleine. Aber dort ist sie bei fast jedermann (sic!) bereits bestens bekannt. Erstens gibt es so viele Frauen bei diesem Wintertreffen, das häufig auch mal zur Schlammschlacht ausartet, nicht. Und zweitens kann Loretta mit einer Motorsäge umgehen. Wenn es in der Nacht bitterkalt wird und auch die härtesten Jungs zu frösteln beginnen, trotz mehrerer im Zwiebellook übereinandergezogener Kutten und Pullover, dann muss Brennholz her.  Loretta hilft gerne und schmeisst  ihre Motorsäge an. Das ist Heavy Metal, wie ihn die Jungs da draussen lieben. Die Sitten dort sind rauh. „Des muaßt scho meng“, sagt Loretta. „Als Frau deafst do net zimperlich sei. Da stehst scho moi fast knietief im Morast drin, oder wennst mit der Maschin voll durch den Schlamm bretterst und di schmeißts, dann bist halt von oben bis unten sterm voll Dreck“. Loretta schwärmt vom Gemeinschaftsgefühl dort. „Da wenn oam d´Maschin verreckt, da hilft da a jeda glei, gibt da a Werkzeug oder Ersatzteile. Schraubm dua I lieber selber an meinem bike“, sagt Loretta lachend und zieht dabei ihren lilablassblauen Lippenstift nach. Sie liebt den „Benzinschmatz“, also Fachsimpeleien rund um Motorräder. Man muß wissen, zum Elefantentreffen kommen die hartgesottenen Biker aus ganz Europa. Aus Spanien, Portugal, Frankreich oder aus Russland. Manche fahren viele tausend Kilometer weit, nur um dabeizusein. Was nervt, sagt Loretta, sind die „Warmduscher“, die mit dem Auto kommen, ihr Bike bei zu viel Schnee zuhause lassen und in der Pension übernachten. Das geht für eine waschechte Bikerin wie Loretta überhaupt nicht. Das echte, „wuide“ Lagerleben spielt sich ihr zufolge am Zeltplatz bei minus 10 bis minus 20 Grad ab. „Da brauchst scho a paar Schichten übereinander und a dicks Fell“.

Motorradtreffen sind keine Pfadfindertreffen

Je später der Abend , umso „hochprozentiger“ die Gesellschaft im Hexenkessel von Solla; da werde auch schon ganz schön viel Unsinn getrieben, meint sie. Besonders viel Spaß hat sie mit dem „Petrus“, der auch bei fast jedem Bikertreffen dabei ist und auch mit den Jungs von den „Black Creeks“, einer oberpfälzischen Motorradgang. Oder mit den Jedi Riders aus Hienheim. Die sammeln BHs, erzählt Loretta sichtlich belustigt, und hängen die erbeuteten Teile dann im Zelt oder später im Clubheim auf. Loretta hilft ihnen bei der Trophäenjagd, weil sie am ehesten Zugang zu den wenigen Frauen hat, die auf solchen Treffen zugegen sind. Sie bekommt dafür “Schokolade“, sagt sie mit einem breiten Lächeln. Oder irgendwas anderes. Ein Tauschgeschäft eben. Was das nun wirklich genau mit dem BH-Sammeln auf sich hat, ich habe es trotz mehrmaliger Erklärversuche seitens Loretta noch immer nicht ganz verstanden. Egal, Loretta erzählt schon wieder eine andere Anekdote. Vor zwei Jahren sei eine frischgebackene Braut beim Elefantentreffen gewesen. „Die hod grod an Biker gheirat und is mit langem Brautkleid und Bikerkutte durch den Matsch stolziert“. Ein gefundenes Fressen für Presse und Kamerateams, die auch immer gerne mal vorbeischauen, weil sie „uns Vogelwuide“ fotografieren wollen, sagt Loretta nicht ganz ohne Stolz. „Aber mir ham dann a gscheit dreckig glacht, als a Fernsehreporterin im weißen Pelzmantel von a Maschin, die im Schlamm durchdraht hat, die volle Ladung Dreck abkriagt hat.“ Es habe halt superlustig ausgesehen, ohne es böse gemeint zu haben, sagt Loretta.

Höchste Zeit fürs Kloster

Erschrocken schaut sie auf die Uhr. Sie könnte mir da noch unzählige verrückte Geschichten erzählen, aber sie müsse jetzt zur Arbeit, sagt Loretta. Mir fällt auf, dass ich gar nicht weiß, womit Loretta ihr Geld verdient. Als ich sie frage sagt sie mit ernster Miene: „I bin ins Kloster ganga“. Ich halte kurz irritiert inne. Da bricht auch schon ihr typisches spitzbübisches Lächeln hervor: „Ich bin zur Belustigung der Patres dort“, sagt sie mit einem Zwinkern. Was ich ihr auf der Stelle abnehme. Sie arbeitet als Reinigungskraft dort. Immer wenn sie das Kloster betritt, dreht sie ihre Motorradkutte auf links um, sagt sie. Ist sie nebenan im dazugehörigen Gymnasium tätig, zieht sie ihre Kutte wieder normal an. Die Schüler fänden das cool.
„Pfiat di Oida, schreib bloß koan Scheiß“, sagt sie, steigt auf ihre Yamaha 125, die Wintermaschine, und knattert davon. In Richtung Kloster.