Unerhört gut: Die Hörspiele von Lindenblatt Records

Kleine Independent Labels produzieren akustische Kinofilme für Erwachsene, weit über den Mainstream hinaus und kaum jemand weiß das. Wie entstehen moderne Hörspiele für Erwachsene und von wem werden sie produziert? Ein Blick hinter die Kulissen von Lindenblatt Records. eine Reportage von Julia Rank

Stefan veröffentlichte sein erstes Hörspiel 2011. Also genau zu der Zeit, als der erste Hörspielboom bereits vorbei war. Schuld war wieder einmal der Zufall. Er wollte seine erste Kurzgeschichte ursprünglich als Buch herausbringen. Sein Bruder Thomas ist der Sänger von Schandmaul. Sein Tonstudio lag um die Ecke, in dem bis heute ein Großteil der Hörspiele produziert wurde. Das ermöglichte auch technisch von Anfang an eine hochwertige Produktion. Da beide das Medium Hörspiel mögen, sei es nahe liegend gewesen, diesen Weg zu gehen.

Ein beschriebenes Blatt – Ein Label entsteht

Unter dem Namen Gebrüder Thot produzierten sie zusammen Die Spinne. Thomas und Stefan erwecken mit ihren Stimmen die unheimlichen Erzählungen zum Leben. Um sie unters Volk zu bringen, gründete Stefan 2011 sein Label Lindenblatt Records. Ein Jahr darauf folgte Deja Vu, ebenfalls eine Sammlung unheimlicher Kurzgeschichten. Während Die Spinne mit einem Erzähler mehr an eine szenische Lesung erinnert, sind hier bereits mehrere Sprecher beteiligt. Doch das war erst der Anfang.

Foto: © Lindenblatt Records

Stefan geht zu einem Regal, das mit Büchern und verschiedenen Tonträgern gefüllt ist. Auch eine Art, seinen Raum schalldicht zu kriegen. Er zieht sein bisher größtes, selbst verfasstes Hörspielwerk hervor: Humanemy. An seinem vierteiligen Dark Future Cyberpunk Epos waren knapp hundert Sprecher beteiligt. Es wurde über ein Jahr produziert. Prominente Sprecher und Künstler wie Oliver Mink, Claudia Urbschat Mingues, Tonio von der Meden und Simon Pearce liehen Stefans erdachten Charakteren ihre Stimmen und ihre Seelen. Man merkt, dass die Leute hier mehr als ihren Job machen. Das liegt nicht zuletzt an Stefan selbst. Er verbreitet eine Ruhe, die es sicherlich angenehm macht, mit ihm zu arbeiten.

Studio Impressionen (Foto: © Lindenblatt Records)

Guten Tag, was halten sie von Cyperpunk Hörspielen?

Sein trockener Humor schleicht sich oft ganz unbemerkt ein. Zum Beispiel als er erzählt, dass Hörspiel-Messen ein wesentlicher Bestandteil des Geschäfts sind:

Auf den großen Messen geht es etwas förmlicher zu. Man kommt sich etwas komisch vor, wenn man zu einem Geschäftsmann im Anzug geht und fragt: ‚Guten Tag, was halten sie von Cyberpunk Hörspielen?‘

Man kann sich gut vorstellen, dass es eine gewisse Komik hat, wenn Stefan als Pendant mit seinen langen Haaren, in Schlaghose und T-Shirt, über die dystopischen Zukunftsszenarien seiner Humanemy Science-Fiction Welt spricht. Auf der Hörmich in Hannover, die 2010 von Fans für Fans aus einem Hörspielflohmarkt entstanden ist, ginge es dagegen unkonventionell in Jeans und T-Shirt zu. Die persönliche Atmosphäre dort ist durch die Leidenschaft für das Medium geprägt und macht sie bei den Fans so beliebt. Inzwischen kommen daher jährlich auch immer größere Labels hinzu. Auf beiden Messen fand sein Cyberpunk-Mehrteiler Humanemy großen Anklang. Fans erwarten die zweite Staffel des dystopischen Zukunftsszenarios bereits gespannt. Die Arbeit daran steht für dieses Jahr auf Stefans analoger To-Do Liste.

Hörmich Messe in Hannover (Fotos: © Lindenblatt Records)

Interlude: Ein Herz und zwei Seelen

Die Studiotür geht auf und Stefans Frau Mary lugt herein. Sie wolle uns nicht unterbrechen. Stefan gönnt sich eine kleine Verschnaufpause und geht eine rauchen. Mary ist das organisatorische Talent von Lindenblatt Records. „Man weiß ja, wie das mit den starken Frauen hinter den kreativen Männern ist“, sagt sie in sympathischem Schweizerdeutsch und lächelt. Mary koordiniert Messebesuche und kümmert sich um die Sprecher, die die familiäre Atmosphäre im Hause Lindner sehr zu schätzen wissen. Stefan kommt zurück und es wird Zeit mehr über das Label zu erfahren.

Lindenblatt Hörspiele sind Progressive Rock für die Ohren

Für manche Hörspielfans hat Humanemy bereits Kultstatus. Warum? Stefan ist ein Musikfreund und das merkt man. Seine Hörspiele zeichnen sich durch ihre besondere Soundästhetik aus. Der Musikanteil ist überdurchschnittlich hoch, und der Einsatz geht über den klassischen Score hinaus. Musik wird cineastisch eingesetzt, um Schnitte und Szenenwechsel zu unterstreichen. Die Art des Sounds prägt die Stimmung der Hörspiele. Zum Glück schwimmt er hier buchstäblich auf einer Wellenlänge mit seinem Komponisten und langjährigen Freund Stephan Gossen, der für die musikalische Dramaturgie der Lindenblatt-Hörspiele verantwortlich ist. Die Band Vortex, in der er zusammen mit Humanemy Co-Autor Johnny Wittermann gespielt hatte, erntete großes Lob für den Soundtrack dieses Hörspiels. Mit seiner neuen Band Arl3cch1no sorgt er weiterhin für den atmosphärischen Sound des Labels, den man als Postrock/-metal mit elektronischen Einflüssen einordnen kann. Daneben tragen viele andere Bands immer wieder Musik bei oder übernehmen auch mal einen Sprecher-Part, so wie Holly Loose (Letzte Instanz) in Humanemy. Stefan Lindners Vorliebe für anspruchsvolle Musik spiegelt sich auch im Anspruch seiner Geschichten an die Hörer wider.

Anspruchsvolles Hören muss wiederentdeckt und gelernt werden. Hörspiele mit Zeitsprüngen sind wie Progressive Rock für die Ohren: Ich brauche erst mal ein paar Minuten, um die Songstruktur zu erkennen. Das muss man wollen.

Stefan wirkt in seinen Aussagen sehr selbstbewusst. Er weiß, was er will und was er seinen Hörern zumuten kann. Da Deutschland trotz der Nischenexistenz des Mediums den größten Hörspielmarkt hat, könnten die Chancen gut stehen, dass der eine oder andere in Zukunft sein Interesse für anspruchsvolle Hörspiele entdeckt.

 

 

Der Scheideweg – Wie geht es weiter für Lindenblatt Records?

2016 wurde Stefans BASSWOOD Studio mit zwei adaptierten Kurzgeschichten von Erfolgsautor Wolfgang Hohlbein eingeweiht, deren Veröffentlichung er bald plant: Frankenstein & Co und Hamlet 2066. Dieses Jahr startet Stefan die Produktion der ersten zwei Episoden von Hohlbeins Erfolgsserie Der Hexer von Salem. Es wird sein erstes Horror-Hörspiel sein und gleichzeitig über den Weitergang seines Labels entscheiden. Denn sollte es sich finanziell nicht lohnen, muss er die gesamte Produktion runter fahren. Mit der Serie Der Hexer von Salem hat er die Chance ein ganz neues Publikum anzusprechen. Das Genre Horror bietet ihm die Möglichkeit, auch Fantasy- und Horror-Freunde auf einschlägigen Messen zu erreichen, obwohl sie mit dem Medium noch nicht vertraut sind. Vielleicht verhilft auch die zunehmende Popularität des Mediums in Amerika und die Produktion von Großkonzernen hierzulande tatsächlich dem Hörspiel aus dem Schattendasein hervor zu treten. Stefan könne sich auch Live Events in Clubs und Bars vorstellen. „Es gibt so viele potentielle Hörer, die erst darauf gebracht werden müssen, dass es mehr gibt als sprechende Elefanten und Junior Detektive“, ist Stefan überzeugt. Es bleibt zu hoffen, dass sich die dystopischen Visionen seiner Humanemy Reihe nicht verwirklichen und Großkonzerne die Produktion der kleinen Labels bedrohen. Außerdem wäre es schade, wenn das Mikrofon einsam und ungenutzt in der Sprecherbox bliebe.

 

Studio Impressionen (Foto: © Lindenblatt Records)

Veröffentlichte Hörspiele von Lindenblatt Records:

Klicken Sie auf den jeweiligen Titel für eine Hörprobe.
Alle Hörspiele sind erhältlich unter www.lindenblatt-records.de

 

Live Lesung von Lindenblatt Records auf der Hörmich 2016:

 

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Wandel fordert Mut zur Veränderung. Gleichzeitig bietet er uns die Chance zu wachsen. Für mich ist es wichtig, stetig zu lernen, um mich immer wieder auf neue Situationen einzulassen. Unsere Informationsquellen und Erzählwelten breiten sich auf verschiedenste Kanäle aus. Doch wie verknüpfen wir sie am besten? Als studierte Theaterwissenschaftlerin bin ich mit Dramaturgie vertraut. Gleichzeitig bin ich ein audiovisuell geprägter Mensch und konnte mir bereits durch mein Volontariat in der Film-und Fernsehproduktion fundiertes Wissen aneignen. Die Weiterbildung an der Journalistenakademie zur Online Redakteurin Crossmedia bedeutet für mich, meine Erfahrungen und Talente zu verknüpfen. Mit diesem Wissen möchte ich plattformübergreifend neue Inhalte kreieren, um dem technischen und gesellschaftlichen Wandel gerecht zu werden.