Toasten statt Wegwerfen

Heinrich Traublinger führt die Traditions-Bäckereikette gleichen Namens in München mit insgesamt 24 Filialen. Zusätzlich betreibt Traublinger in Giesing eine Verkaufsstelle ‚Gutes von Gestern‘. Hier werden nicht verkaufte Backwaren vom Vortag zu einem günstigeren Preis angeboten. Der Laden setzt ein Zeichen für einen bewussteren Umgang mit Lebensmitteln. ein Interview von Susanne Richter

Rentiert sich Ihr ‚Gutes von Gestern‘ Laden oder ist es der ‚gute Gedanke‘, der zählt?

Nein, er rentiert sich eigentlich nicht. Der Laden arbeitet nicht einmal kostendeckend – leider. Aber wir haben ein Gegenstück zu den Bäckereien geschaffen, die ab 17 Uhr alles billiger verkaufen.

Weshalb produzieren Lebensmittelbetriebe so viel überschüssige Ware?

Wir sind heute dem Wettbewerb ausgesetzt und auch dem Druck, dass wir in vielen Läden den Warenbestand bis zum Schluss aufrecht erhalten müssen. Das heißt, wir müssen versuchen, das volle Sortiment bis zum Schluss für den Kunden parat zu haben. Logischerweise sind dann die Retouren deutlich höher, als wenn um 17 Uhr mal etwas aus geht. Wir möchten mit unserem Resteladen einfach ein Zeichen setzen.

2016 mussten wir 33 Tonnen nicht verkaufte Ware wegwerfen

Was passiert mit  den Backwaren, die auch nicht mehr in Ihrer ‚Gutes von Gestern‘ Filiale verkauft werden können?

Backwaren aus dem Laden ‚Gutes von Gestern‘ oder Backwaren, die nicht mehr verkauft werden können, werden bei uns entsorgt und gehen an eine Biogas-Anlage. Das betrifft beispielsweise Vanillekrapfen. Wegen der Füllung, die schneller verderblich ist, können wir diese Art von Ware nicht weitergeben.

Jeden Morgen werden die Retourenkisten aus den 24 Traublinger-Filialen beim ‚Gutes von Gestern‘ Laden angeliefert. (Foto: © Susanne Richter)

Verwerten Sie Backwaren auch als Futtermittel?

Verwertung von Backwaren zu Tierfutter ist problematisch, da nicht alles dafür geeignet ist. Zum Beispiel dürfen Backwaren mit tierischen Rohstoffen nicht verfüttert werden.

Wieviel Lebensmittel müssen Sie trotz aller Maßnahmen wegwerfen?

2016 waren es 33 Tonnen. Und dieser Wert wäre noch sehr viel höher, wenn wir den Laden ‚Gutes von Gestern‘ nicht hätten.

Krapfen für 29 Cent anzubieten ist eine Frechheit

Arbeiten Sie mit Organisationen zusammen, die Lebensmittel an Bedürftige weitergeben? Ich denke da zum Beispiel an die Tafeln …

Wir arbeiten auch mit der Tafel zusammen, aber das ist leider problematisch. Die Tafel benötigt die Backwaren bereits zu Tageszeiten, wo wir nicht abschätzen können, was wir noch brauchen und verkaufen können. Auch das ist in die Überlegung des Resteladens mit eingeflossen.

Was halten Sie von Menschen, die nicht verkaufte Lebensmittel bei Betrieben abholen und dann kostenlos an andere Menschen weiterverteilen, so wie die Foodsharing Initiative?

Natürlich ist es besser, die Lebensmittel zu verbrauchen als wegzuwerfen. Foodsharing kooperiert aber mit Einzelhandelsunternehmen, die mit ihren Dumpingangeboten – Krapfen für 29 Cent – den Bäckern das Leben schwer machen. Die großen Ketten verramschen alles zum Billigstpreis, um Kunden anzulocken, und dann wird das, was nicht verkauft wurde, auch noch kostenlos verteilt. Hier läuft doch etwas schief. Hier wird der Produzent ausgenutzt und der kleine Bäcker bleibt auf seiner Ware sitzen. Also ich habe da schon ein Problem damit.

Traublingers ‚Gutes von Gestern‘ Filiale in München-Giesing.(Foto: © Susanne Richter)

Foodsharing prangert das System ‚Alles voll bis zum Schluss‘ an. Wenn sie nicht wären, würden noch mehr Lebensmittel weggeworfen werden …

Es wäre in meinen Augen auch Aufgabe von diesen Organisationen, den Finger in die Wunde zu legen und auf diesen Missstand hinzuweisen. Ich als kleiner Bäcker habe hier keine Möglichkeit, etwas zu bewegen. Auch unsere Verbände sind hier leider nicht in der Position. Solange der Kunde die Möglichkeit hat, diese Waren zu bekommen, wird er sicherlich auch nicht dagegen sein. Natürlich kann man jetzt sagen, dass diese Organisation zumindest etwas gegen die Wegwerfmentalität unternimmt, und dass es immer noch besser ist, als das alles wegzuwerfen. Das ist grundsätzlich richtig und dennoch von Grund auf falsch. Das ist meine ganz ehrliche Meinung dazu.

Brot, das drei Tage alt ist, wird entsorgt. Warum nicht mal toasten?

Was ist also die größte Herausforderung für einen Bäckereibetrieb in Bezug auf Entsorgung überschüssiger Ware?

Die größte Herausforderung ist das Bewusstsein der Verbraucher. Da bei uns das Lebensmittel keinen Wert mehr hat, wird es auch sehr viel leichter weggeworfen. Brot, das drei Tage alt ist, wird entsorgt. Warum nicht mal toasten?

Was also tun?

Ich bin der Meinung, dass sich die Kunden wieder etwas mehr besinnen sollten. Aber auch die Lebensmittelanbieter sind da gefordert. Brauchen wir wirklich diese Flut an Angeboten? Braucht der Kunde dies überhaupt? Oder wird da nicht übermäßig eingekauft und dann stellt man fest, dass man es gar nicht benötigt.

Wo müsste mehr Aufklärung betrieben werden?

Dem Kunden muss erklärt werden, was denn Mindesthaltbarkeitsdatum bedeutet. Selbst wenn das Verfallsdatum  überschritten ist, können viele  Lebensmittel problemlos noch eine gewisse Zeit gelagert und gegessen werden. Hier wird oft von einem Verfallsdatum ausgegangen, was definitiv falsch ist.

In Norwegen kostet ein Stück Käsekuchen 9 EUR

Was ist das große Problem in Deutschland?

Die Deutschen werfen jedes Jahr rund 18 Millionen Tonnen Lebensmittel weg. Wir brauchen in Deutschland ein grundsätzliches Umdenken. Und solange sich der Einzelhandel mit immer günstigeren Angeboten bekämpft, wird alles andere leider auf der Strecke bleiben. Ich bin ein Betroffener,  der jeden Tag ein paar 100kg Lebensmittel wegwerfen muss. Es tut mir weh. Wir stecken so viel Energie und Herzblut in die Herstellung unserer Backwaren hinein, und dann werden die Retouren am nächsten Tag kistenweise in den Container geworfen. Das weiß der Verbraucher alles nicht und die wenigsten denken darüber nach, dass der Bauer den Salat auch pflanzen, gießen und ernten muss. Im Supermarkt wird dieser dann für 29 Cent verramscht. Das ist genau das, was mich an dieser Sache ärgert. Die Ketten setzen die Produzenten massiv unter Druck.

Lebensmittel, die mehr kosten, sind folglich auch mehr wert?

In Norwegen kostet ein Stück Käsekuchen 9 EUR, in New York zahlen Sie für einen Teller Spaghetti Bolognese 23 Dollar. Beides habe ich selber erlebt. Sie müssen sich das in Oslo mal ansehen, wie die jungen Leute ab 16 Uhr die Restaurants stürmen. Die legen noch Wert auf genussvolles Essen. Einer meiner Ausbilder hat immer gesagt, dass der Deutsche an dem spart, was er braucht, um sich das leisten zu können, was er nicht braucht. Wie beispielsweise einen noch größeren Fernseher. Da ist wirklich viel Wahres dran. Wenn wir unsere Lebensmittel wieder mehr schätzen, dann wären wir hinsichtlich Lebensmittelverschwendung nicht das Schlusslicht in Europa. Wenn wir an diesem Punkt ansetzen, dann hätten alle schon sehr viel gewonnen.

Herr Traublinger, danke für das Gespräch.

 

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Reportage Die Lebensmittel-Retter

Wandel ist die Summe vieler kleiner Veränderungen. Wandel geschieht, wenn jeder aus seinem eigenen Kosmos heraustritt, sich auf neues Terrain begibt. Als Kind der ehemaligen DDR bin ich im Rheinland aufgewachsen und habe viele Jahre im Ausland verbracht. Mein Interesse an anderen Kulturen und Systemen brachte mich zu meinem Studium der Europäischen und Internationalen Beziehungen in den Niederlanden, England und Kanada. Es spiegelt sich wider in meinen beruflichen Stationen, beim Auslandssender Deutsche Welle und bei verschiedenen Unternehmen. Zu ergründen, was Menschen bewegt, wie Gesellschaft funktioniert und wie Konflikte entstehen, ist Antrieb für mich – und für dieses Dossier.