Auch Knaben lieben Kräuter

Naturwanderer besichtigen seltene Pflanzen im Isartal


Eine Reportage von Kerstin Schröder


Treffpunkt ist ein Parkplatz zwischen Sträuchern und Bäumen an der Isar. Dort fährt ein voll besetzter Wagen vor. Aus dem Auto schwingt sich ein agiler älterer Herr mit weißem Lockenkopf. Der rüstige Senior stützt sich auf einen Stock. „Hallo“, ruft er freudestrahlend den wartenden rund 40 Menschen zu. Es ist Paul Riederer, stellvertretender Vorsitzender der Bund Naturschutz - Kreisgruppe Landshut, ein verdienstvolles Urgestein des Naturschutzes in Bayern. Er und Dr. Xaver Menhofer, Vorsitzender des Naturwissenschaftlichen Vereins Landshut, sind wie alle Wartenden engagierte Naturliebhaber. Zusammen unternehmen sie heute eine Führung durch die Fluss- und Weiherlandschaft und den Auenwald im Isartal zu seltenen Orchideen, besonders zum Helmknabenkraut, das jetzt hier blüht.

Dieter Nuhn, Mitglied in beiden Vereinen und wissenschaftlicher Pflanzenkundler, ist der Mann mit dem superguten Auge. Seinem Blick entgeht keine Pflanze und er kennt sie hier in der Gegend fast alle. Der Mann mit der roten Schirmmütze verteilt Listen mit 130 Pflanzennamen in Deutsch und Latein. Er weist darauf hin, dass die seltenen Pflanzen geschützt werden müssen: „Bitte bleiben Sie auf dem Weg! Graben Sie nichts aus. Vieles wächst ohnehin in den Gärten nicht“, sagt er.

Begeisterung für Alltagspflanzen

Nuhn bückt sich, zupft einen Grashalm ab und hebt ihn in die Höhe. Schon beginnt ein munteres Rätselraten in der Gruppe: „Ein Rispengras, ein Seggenhalm? Kennst du die Blüte?“ Nuhn klärt fachkundig auf: „Das ist das bekannte und sehr häufige Knäuelgras.“ Die Gruppe betrachtet an diesem Tag einmal ganz bewusst auch bekannte Pflanzen, Seggen, Schilf, Kräuter, so zum Beispiel das Lab- und Hirtentäschelkraut, Schwertlilien, Hainbuchen, Hartriegelsträucher und Kornelkirschen, Erlen, Weidenbäume. Naturschützer Paul Riederer freut sich: „Was für eine ungewöhnlich reiche Fülle und Vielfalt an Pflanzen!“ „Und die Farben sind so verschieden“, sagt jemand aus der Menge voller Bewunderung. Ein anderer zählt auf: „Gelbgrün, Blaugrün, Silbergrün, Smaragdgrün, Graugrün… .“

Der weiße, kalkige Weg führt an einem Hinweisschild des Bund Naturschutz vorbei und nach einer Kurve tiefer in die Auwald- und Teichlandschaft hinein. Es riecht nach Wasser. Undurchdringliches Gebüsch säumt den Weg. Langsam gehen die Wanderer an einem Zaun vorbei. Sie stehen plötzlich vor einer großen Wiese, die eher spärlich bewachsen ist. Auffallend viele Schilfhalme wachsen darauf. Wieder mahnt Wanderführer Nuhn: „Vorsicht, keine Pflanzen niedertreten! Es könnten seltene betroffen sein.“ Dann erklärt er: „Viele Orchideen, wie der Frauenschuh, sind schon in der Region ausgegraben und damit zerstört worden, nachdem erst einmal ihr Standort bekannt war.“ Der Naturschützer rückt seine rote Kappe zurecht. Er hofft auf Vernunft bei der Wandergruppe, die endlich die seltenen Pflanzen sehen will.

Eine botanische Sensation

Paul Riederer erklärt, dass der Bund Naturschutz vor einigen Jahren das Gelände gekauft, gepflegt und umzäunt hat, damit sich Tiere und Pflanzen ungestört entwickeln können. Es besteht aus rund zwei Hektar Fläche, einer Wiese, einer Uferrandzone und einem See, an dem Wasservögel brüten und in dem viele Fische leben.
Der Wiesenboden sei aus Schlamm und Sand und ausgesprochen mager, sagt er: „Deshalb gibt es hier die seltenen Pflanzen.“ Er zeigt mit seinem Stock über das Areal. Er hofft auf Vernunft bei der Wandergruppe, die endlich die seltenen Pflanzen sehen will.

Dieter Nuhn ergänzt: „Früher waren hier eine Kiesgrube und eine Kieswaschanlage. Daraus entstanden der See und die Wiese.“ „Der feine Sand aus der Kieswaschanlage“, erklärt Paul Riederer, „wurde auf diesem Grundstück neben dem See gelagert. Das Grün ist das Ergebnis der Pflege durch unsere Naturschützer. Hier wachsen unter anderem rund 300 Pflanzen des Helmknabenkrautes.“ Das ist eine ausgesprochen seltene heimische Wildorchideenart. Außerdem finden sich in der mageren Wiese verschiedene Arten des Klappertopfes mit seinen strahlend gelben Blüten. Nuhn schätzt, dass es speziell 500 Exemplare des großen Klappertopfes zu finden gäbe und rund 2000 der äußerst seltenen Spargelerbse sowie der Sumpf-Stendelwurz. „Das“, so der Pflanzenkundler, „sind Raritäten. Es handelt sich um eine botanische Sensation.“ Endlich darf die Gruppe jetzt sogar einen kleinen Schritt in die Pracht der wilden Pflanzenraritäten machen und diese bewundern. Das Helmknabenkraut blüht rosa und weiß. Es ragt etwas über die Bodenkräuter hinaus. Nur hier sind so viele Pflanzen dieser Art beieinander zu sehen. Paul Riederer richtet mit seinem Stock einige niedergetretene Pflanzen wieder auf. „So vorsichtig muss man mit der Natur umgehen“, kommentiert eine ältere Dame mit roter Jacke, blauen Gummistiefeln und weißer Mähne: „Man muss auf jeden Schritt achten, den man macht.“

Weiter geht die Tour, vorbei an rosa blühenden Hundsrosen, zu einem Weiher und durch ein Stück urwaldartigen alten Auenwalt, wie er nach Aussage der Naturforscher früher hier überall ausgesehen haben mag. Hier hängen Hopfenlianen und andere Schlingpflanzen von den Bäumen und Sträuchern.
An der Isar beschließen die Naturwanderer, den Weg über den Damm zu nehmen. Dieter Nuhn zeigt über die weite Wasserfläche. Schwäne kreuzen über den Fluss. Ein Kuckuck ruft sein Lied. Ein älterer Mann mit Fernglas sagt, dass im Baum eine Goldammer singt. „Es hört sich an wie ein schnell hingehauchtes bayerisches Zizizi, sitzt der Giggerl auf dem Miieeeest“, meint er ein wenig ausgelassen. „Mit solchen Sprüchen haben wir früher die Vogelstimmen kennengelernt.“ „Alles könnte so schön sein“, sagt Dieter Nuhn. „Doch die Aussichten sind trübe. Denn wegen des Klimawandels und der Unvernunft der Menschen werden vermutlich viele Pflanzen in den nächsten Jahren hier nicht mehr zu finden sein.“