„Ich bin bereit, Opfer zu bringen“

Lehrer im Sondereinsatz bietet Schülern mit Kreativität neue Perspektiven


Ein Interview von Karolina Holz


Michael Wagner (49) ist seit zwölf Jahren als Förderschullehrer im Einsatz. Seit 2007 unterrichtet er an der Münchener Anni-Braun-Schule, einer Förderschule. Doch sein Arbeitstag endet nicht mit dem Unterricht. Nach dem Korrigieren, Vor- und Nachbereiten sowie administrativen Arbeiten, geht es erst richtig los. Seit einigen Jahren bietet Wagner seinen Schülern Möglichkeiten, sich zu entfalten - über das Standardschulprogramm hinaus. Der Pädagoge dreht Filme, spielt Theater oder sprüht Graffitis. Dabei entdecken viele seiner Schützlinge, was in ihnen steckt.

Herr Wagner, was hat Sie motiviert, mit ihren Schülern kreative Projekte umzusetzen?

Schon im Referendariat habe ich Projektarbeit gemacht. Das war intuitiv. Ich komme ja auch aus dem praktischen Bereich, bin ursprünglich Handwerker und habe eine künstlerische Ader. Ich favorisiere den reformpädagogischen Ansatz und sehe, dass die künstlerische Arbeit für die Schüler ein großer Gewinn ist. Sie sehen, was für ein Potential in ihnen steckt und werden selbstbewusster.

Wie nehmen die Schüler das Angebot an?

Teilweise werde ich schon von ihnen gefragt, ob sie in dem jeweiligen Schuljahr einen Film drehen können. Wenn ich in den Klassen Filme aus den vergangenen Projekten zeige, kommen die Jugendlichen schnell auf den Geschmack und möchten so etwas gerne von sich aus umsetzen.

Genau das ist wichtig, dass die Schüler den Eindruck haben, sie wollen das machen und ich tue ihnen einen Gefallen. Schließlich müssen Sie ein Jahr dabei bleiben und es gefällt ihnen so gut, dass bisher alle Durchhaltevermögen bewiesen haben.

Für Ihre Projekte holen Sie Profis, wie zum Beispiel den Schauspieler Joseph Hannesschläger, mit ins Boot. Wie kommt es dazu?

Joseph Hannesschläger habe ich über einen Bekannten, der bei dem Projekt mitgemacht hat, kennengelernt. Den Schauspieler Manfred-Anton Algrang habe ich zum Beispiel per Zufall beim Rodeln mit meinem Sohn getroffen. Er stand neben mir und ich habe ihm dann von meinen Projekten mit den Schülern erzählt. Das gefiel ihm. Er war spontan bereit, bei dem Nächsten mitzumachen.

Wie arbeiten die Profis mit den Schülern zusammen?

Die merken am Set oft gar nicht, dass sie mit Laien arbeiten. Die Regisseure weisen die Schüler so gut ein und bereiten mit ihnen das Set so vor, dass wie bei einem professionellen Filmteam gearbeitet werden kann. Allerdings bin ich als Lehrer dafür verantwortlich, dass die Pädagogik vor der Kunst Vorrang hat. Schade ist es, wenn dann das Künstlerische etwas untergeht.

Was sagen Ihre Kollegen und Vorgesetzten dazu, dass Sie sich künstlerisch mit Ihren Schülern über den schulischen Alltag hinaus engagieren?

Anfangs wurde das skeptisch beäugt. Inzwischen haben wir eine neue Rektorin, die findet das gut. Ebenso hat sich das Kollegium verjüngt und ich merke, dass durch beide Veränderungen die Akzeptanz stärker geworden ist. Unsere Konrektorin hatte zum Beispiel auch eine Rolle in einem Film.

Engagierter Lehrer

Michael Wagner in Aktion
Foto: Karolina Holz

Wie bringen Sie Schule und außerschulische Projekte unter einen Hut?

Manchmal ist es schon sehr anstrengend und eine harte Arbeit mit den Schülern. Doch das ist Teil meines Lebens. Ich bin bereit, Opfer zu bringen. In Zukunft möchte ich allerdings etwas kürzertreten, kleinere Projekte machen.

Von einem modernen Kurzfilm zu Carmen bis zu einem Krimi über Internetkriminalität: Woher nehmen Sie die Ideen?

Entweder kommen wir zufällig auf ein Thema oder es werden die Klassiker aus dem Deutschunterricht neu interpretiert. Als Grundlage verwende ich vom Kindermann Verlag, Weltliteratur für Kinder. Da wird anspruchsvolle Literatur einfach und verständlich dargestellt. Ansonsten arbeite ich eher frei, ohne Vorgabe und spielerisch. Manche Szenen entstehen aus den Übungen.

Wie wird das Ganze finanziert?

Das ist ein ganz schwieriges Thema. Wir haben bei jedem Projekt Profischauspieler, Regisseur und Kameramann dabei. Denen wollen wir wenigstens eine Aufwandsentschädigung zahlen.

Für den letzten Film habe ich bei rund 50 Stiftungen und beim Bund nachgefragt. Ich habe mir dabei die Finger wundtelefoniert und -geschrieben. Doch es kamen nur Absagen. Das war ziemlich frustierend.

Dann habe ich Freunde, Bekannte und Kollegen motiviert, etwas zu spenden. So kamen stolze 7.000 Euro zusammen. Trotzdem ist es eine Erleichterung, wenn jemand wie Joseph Hannesschläger, als Gage einen Schweinebraten ordert.

Was motiviert Sie, trotz widriger Umstände, weiter zu machen?

Die Wirkungen auf meine Schüler. Das Filmprojekt „Carmen“ vor fünf Jahren wurde wissenschaftlich begleitet. Dabei stellte sich heraus, was ich schon immer intuitiv gespürt hatte. Das Selbstwertgefühl der Schüler steigt signifikant nach einem künstlerischen Projekt. So etwas bestärkt mich natürlich.

Ein anderes Beispiel: Einer meiner Schüler war besonders schüchtern und wählte - eher versehentlich - bei Othello, die Hauptrolle. Die Projektphase entwickelte sich sehr leidvoll. Doch auf der Bühne, bei der Vorführung war der Junge super. Er hat die Rolle so sicher und selbstbewusst gespielt. Dafür gab es dann tosenden Applaus.

Planen Sie ein neues Projekt?

Ja. Es ist ein selbst geschriebenes, biografisches Theaterstück mit Elfjährigen. Das Stück heißt „Paradies“ und handelt von einer realen Fluchtgeschichte des afrikanischen Kindes Hofi. Der Junge erzählt von seinem Traum - dem Paradies Europa. Die Schüler werden Hofis Geschichte auf der Bühne modern und spielerisch umsetzen. Das ist ein schwieriges Thema, aber die Schüler haben sich das ausgesucht. Und es passt ja aktuell zum Weltgeschehen.