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Gefährliche Liebschaften
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Fiktive Welten

Gefährliche Liebschaften

In Alfred Hitchcocks Filmklassiker „Notorious“ verschmelzen Thriller und Liebesgeschichte zu einem perfekten Meisterwerk

„Berüchtigt ist der ultimative Liebesfilm“, heißt es in einer Rezension von Jennifer Ullrich auf Moviepilot.de. Die lobenden Worte  stammen aus diesem Sommer, sind also taufrisch. Sie gelten  dem Film Notorious aus dem Jahre 1946 von Alfred Hitchcock. Der ultimative Liebesfilm? Ein Schwarz-Weiß-Streifen von Hitchcock? Wer den Film nicht kennt, mag sich die Augen reiben. Und doch stimmt das Urteil. Genauso übrigens wie das gut 50 Jahre alte Verdikt des französischen Regisseurs und Hitchcock-Bewunderers Francois Truffaut. Für ihn war Notorious „Hitchcocks Quintessenz“ und sein persönlicher Favorit aus der unbunten Phase des Regisseurs.

Suspense aus Liebe und Rivalität

Die Quintessenz also. Im Falle Hitchcock bedeutet das  Suspense, also eine satte Portion an fesselnder Spannung für den nach Nervenkitzel hungernden Zuschauer. Zum Meisterwerk macht Notorious, dass Hitchcock Suspense und Romantik brillant verknüpft. Und zwar auf die denkbar einfachste Weise: Spannung entsteht im Kern aus Fragen, die sich um Liebe, Enttäuschung, Verrat, Rivalität und Todesgefahr ranken.

Spionage im Nazi-Nest

Die lebenslustige und trunksüchtige Alicia (Ingrid Bergman), Tochter eines verurteilten Nazi-Kollaborateurs, erhält vom CIA einen wichtigen Auftrag. Sie soll in Rio de Janeiro die Umtriebe in der Villa ihres alten Bekannten Alexander Sebastian (Claude Rains) auskundschaften. Das Haus dient als Treffpunkt von Nazi-Agenten. Für ihre Mission angeworben wird Alicia vom CIA-Mann T. R. Devlin (Cary Grant). Die beiden verlieben sich sofort ineinander. Aber genauso schnell gibt es harte Bewährungsproben für das junge Glück.

Portraitbild von Alfred Hitchcok, der Anzug und Krawatte trägt

Alfred Hitchcock führte zwischen 1925 und 1976 Regie in 53 Kinofilmen. „Notorious“ ist die Nummer 32 in dieser Liste. Foto: skeeze/Pixabay

Um an die brisanten Informationen für den Geheimdienst zu kommen, muss Alicia mit Sebastian schlafen und ihn dann sogar heiraten. Devlin lässt die Hochzeit scheinbar gleichgültig geschehen. Als im Nazi-Nest auffliegt, dass Alicia eine amerikanische Spionin ist, wird sie schleichend vergiftet. Devlin trifft die Todgeweihte kurz und hält sie für nur betrunken. Die für Hitchcock kennzeichnende Suspense ergibt sich jetzt aus der Frage, ob der CIA-Agent die Gefahrenlage rechtzeitig begreift und seine Herzensdame retten kann.

Darsteller in Höchstform

Reichlich Futter für Romantikliebhaber, dargeboten vom einem Darstellertrio in Höchstform. Der Zuschauer fragt sich zeitweise, ob die Liebe des Altnazis Sebastian zu Alicia nicht tiefer geht als die des eigentlichen Helden Devlin. Claude Rains zählt fraglos zu Hitchcocks besten, weil doppelbödigsten Schurken. Für zusätzliche Würze sorgen drei weitere Zutaten: Erstens Uranium in Weinflaschen – im Keller der Nazis lagert Material für eine Atombombe. Zweitens Leopoldine Konstantin als Alicias eifersüchtige Horrorschwiegermutter. Sie alleine lässt einem das Blut in den Adern gefrieren.

Längster Kuss der Filmgeschichte

Drittens der bis dahin längste Kuss der Filmgeschichte zwischen Bergman und Grant. Er dauert zweieinhalb Minuten und wurde wegen der damaligen Moralvorschriften in Hollywood alle paar Sekunden von Säuseleien unterbrochen. Erlaubt waren nur drei Sekunden Kuss am Stück, nach kurzem Dialog durfte die Uhr neu gestoppt werden. Diese Mischung macht es, dass Ullrich und Truffaut beide recht haben. Unter den vielen wundervollen Hitchcock-Filmen in Schwarz-Weiß ragt Notorious ob seiner perfekten Komposition heraus.

Header-Bild: succo/Pixabay