Grüne Freiräume für München

13. Oktober 2017
Grüne Freiräume für München

Ein Interview mit Irene Nitsch von der Umweltorganisation Green City e.V. über Geschichte, Probleme und Formen des Urban Gardening in München.

Irene Nitsch hat einen eigenen Kleingarten und kümmert sich um den Krautgarten in der Nachbarschaft. Bei Green City setzte sie sich lange ehrenamtlich für eine grünere Stadt ein. Seit 2014 betreut sie einige Urban-Gardening-Projekte der Organisation auch hauptamtlich. Im Interview schildert sie die Wurzeln des „Urban Gardening“ in München und stellt zwei Green City-Projekte vor: den Giesinger Grünspitz und die Essbare Stadt im Stadtteil Giesing.

 

Irene Nitsch von Green City im Grünspitz © Anna-Marie Mamar

Irene Nitsch von Green City im Grünspitz © Anna-Marie Mamar

Die Geschichte des Urban Gardening in München ^

Eigensinn: Urban Gardening in München – was ist das überhaupt?
Irene Nitsch: Urban Gardening beschreibt das Gärtnern, insbesondere den Gemüseanbau, mitten in der Stadt. Es gibt die unterschiedlichsten Formen des urbanen Gärtnerns in München.

Seit wann gibt es Urban Gardening in München?
Das Gärtnern hat in München eine lange Tradition. In der mittelalterlichen Stadt hatten alle Häuser noch einen Gemüsegarten im Hinterhof. Das wandelte sich jedoch während der Industrialisierung. Unternehmen wie die Brauereien zogen in den Stadtkern und rekrutierten Arbeiter, die in großen Mietwohnanlagen wohnten. Da die Arbeiter weiterhin für den Eigenbedarf Gemüse anbauen wollten, wurden sogenannte Mietergärten angelegt.

Dann gab es die Schrebergartenbewegung. Fast alle Kleingartenanlagen, die es in München gibt, wurden von der Stadt München oder von der Bahn, entlang der Gleise, angepachtet. Insgesamt gibt es in München nur um die 12.000 Kleingärten.

Deswegen hat die Stadt 1999 das sogenannte Krautgarten-Projekt begonnen. Dahinter stehen Bauern, die innerhalb des Stadtbereichs Flächen besitzen. Die Stadt München vermittelt für je eine Saison eine Parzelle, die man fürs Gemüsegärtnern anpachten kann. Die Nachfrage ist groß. Alle Krautgärten sind ausgebucht, obwohl sie am Stadtrand liegen. Jedes Jahr kommt mindestens ein neuer Krautgarten hinzu.

„Jeder Quadratmeter Grün trägt zur Stabilisierung des Klimas in der Stadt bei“ ^

Warum ist Urban Gardening relevant für München?
Zum einen ist es der Stadtbevölkerung zunehmend wichtig, bis zu einem gewissen Grad ernährungssouverän zu werden. Als 2010 der große isländische Vulkanausbruch den  Flugverkehr zum Erliegen brachte, kam es zu Engpässen bei der Belieferung der Supermärkte. Der Stadtbevölkerung ist nun klar geworden, dass sie immer noch abhängig vom Umland und von den Agrargebieten weltweit ist. Zum anderen reduziert Urban Gardening den Verkehr, da weniger Lebensmittel antransportiert werden müssen. Alle sind sich einig, dass innerhalb des Mittleren Rings der motorisierte Individualverkehr reduziert werden soll, um die Luftqualität zu verbessern.

Überdies ist Urban Gardening ein Beitrag zum Klimaschutz. Bäume alleine können das Stadtklima nicht retten. Dazu braucht man Fassaden- und Dachbegrünung. Green City berät Bauherren und Eigentümer, welche Möglichkeiten es gibt, um zum Beispiel Carports, Fertigbaugaragen oder Müllhäuschen zu begrünen. Jeder Quadratmeter Grün trägt zur Stabilisierung des Klimas in der Stadt bei und beugt der Erwärmung der Städte vor.

Welche Probleme beim Urban Gardening gibt es in München?
In München gibt es enormen Wohnungsdruck. Flächen, die derzeit noch für den Anbau von Gemüse genutzt werden, werden zunehmend bebaut. Ein Beispiel ist Feldmoching im Münchner Norden. Dort soll auf den sehr großen landwirtschaftlich genutzten Flächen ein ganzes Stadtviertel entstehen, um neuen Wohnraum zu schaffen.

Andere Städte, die ein Negativwachstum haben, haben dieses Problem nicht. In den neuen Bundesländern werden Häuser teilweise sogar zurückgebaut. Dort entstehen neue Flächen für Gemeinschaftsgärten.

Kann man für Urban Gardening auf Parks zurückgreifen?
München hat im Vergleich zu anderen Großstädten in Deutschland relativ wenig Grünflächen. Insofern ist die Möglichkeit, in öffentlichen Grünanlagen Gemüse anzubauen, irgendwann erschöpft, da sie der Erholung dienen.

Man kann außerdem nicht jede Fläche nutzen. In vielen Münchner Parks fehlen Wasseranschlüsse und aus Fließgewässern darf man in Bayern nicht einfach Gießwasser schöpfen. Beim Gemüseanbau ist Wasser jedoch dringend notwendig.

Gibt es auch Guerilla Gardening in München?
Das hat oftmals wenig Bestand, da alle drei Wochen ein Subunternehmer der Stadt auftragsgemäß die öffentlichen Grünflächen wie beispielsweise Verkehrsinseln mäht. Wenn jemand vor seiner Haustür in Guerilla-Gardening-Manier gepflanzt hat, werden die Pflanzen immer wieder abgemäht. Daher bietet Green City seit vielen Jahren das Grünpaten-Programm an, bei dem Bürger in Absprache mit der Stadt die Grünstreifen vor den Häusern bepflanzen und pflegen, ohne dass sie abgemäht werden.

Die Essbare Stadt“ im Stadtteil Giesing ^

Im Münchner Stadtteil Giesing ist Green City Katalysator und Koordinator zweier Urban-Gardening-Projekte. Das eine Projekt ist die „Essbare Stadt“, bei dem Anwohner eine Beetpatenschaft für eine Parzelle in der Baumschule Bischweiler übernehmen und gärtnern können. Wie kam es dazu?
2014 gab es die Anfrage der Grünen an den Stadtrat, ob es nicht möglich sei, in öffentlichen Grünanlagen Flächen auszuweisen, auf denen Leute gärtnern können. Die Stadt München beauftragte daraufhin das Baureferat Gartenbau, eine geeignete Fläche auszusuchen. Die Wahl fiel auf die Baumschule Bischweiler, weil dort zum einen Wasser vorhanden ist. Zum anderen, weil die Anlage bei Dunkelheit geschlossen und so vor Vandalismus geschützt ist. Die Fläche gehört seit 1870 der Baumschule und dadurch ist es unbedenklich, in der dortigen Erde zu gärtnern.

Das Gartenbaureferat wandte sich an Green City und fragte, ob wir das Projekt „Essbare Stadt“ dort koordinieren könnten. Die Beetpaten legen ihre Beete selbst an, bepflanzen sie und kümmern sich darum. Wir unterstützen sie und führen kleine Workshops zum Thema Gärtnern durch. Die Parzellen sind zwei Quadratmeter groß. Wir stellen 130 Parzellen zur Verfügung. Die Nachfrage ist riesig.

Was lernen diejenigen, die beim Gärtnern mitmachen?
Jeder, der ein Gemüsebeet betreut, erkennt, wie viel Arbeit es ist, Bio-Gemüse anzubauen. Die Stadt München legt einen großen Wert darauf, dass keine Mineralstoffe im Dünger eingesetzt werden: keine Pestizide, keine torfhaltige Erde. Wir arbeiten auch mit Bingenheimer Samen, was bedeutet, dass man aus den Früchten das Saatgut wiedergewinnen kann. Die Wertschätzung für die Arbeit der Gärtner steigt. Bei den Feedback-Runden am Ende der Saison hören wir regelmäßig: „Wir verstehen jetzt, warum Bio-Gemüse teurer sein muss als konventionell angebautes Gemüse.“

Der Giesinger Grünspitz ^

Das zweite Projekt ist der Giesinger Grünspitz, eine Freifläche zur Zwischennutzung, die den Anwohnern Beete zum Gärtnern sowie Raum für weitere ökologische und kulturelle Aktionen bietet. Wie ist der Giesinger Grünspitz entstanden?
Der Grünspitz wurde 2014 gegründet. Das Ganze wurde von einer Gruppe von etwa zehn Leuten losgetreten, die sich zusammengefunden hatten und in einem Gemeinschaftsgarten gärtnern wollten. Sie suchten nach einer geeigneten Fläche. Dieser Gemeinschaftsgarten war die Keimzelle für den heutigen Grünspitz. Die Gruppe machte ein Hostel ausfindig, das 100 Stockbetten entsorgen wollte. Diese Stockbetten wurden auseinandergeschraubt und zum Grünspitz gebracht, um ein Gartenhäuschen und Stellagen für Blumenbeete oder Hochbeete aus den Lattenrosten und Pfosten zu bauen.

Im hinteren abgegrenzten Teilbereich des Grünspitz wird bis heute Gemüse angebaut. Es gibt etwa 20 Hochbeete, die jeweils einen Beetpaten haben. Es wird nur dort Gemüse angebaut, weil dieser Teilbereich von hohen Mauern umgeben ist. Dahinter liegt die Feinstaubbelastung nur noch bei zehn Prozent. Wir gärtnern im Grünspitz nur in Hochbeeten und nicht in der Erde, da wir nicht wissen, ob die Fläche selbst nicht vorher belastet war.

Wie erfahren die Anwohner etwas über das Projekt?
Wir haben einen E-Mail-Verteiler mit über 600 Menschen aus dem Viertel. Sie bekommen mindestens einmal im Monat einen Newsletter mit den Terminen und mit allem, was gerade so ansteht.

Beete im Giesinger Grünspitz © Anna-Marie Mamar

Beete im Giesinger Grünspitz © Anna-Marie Mamar

Wie wird das Thema Kraut und Unkraut in den beiden Projekten verhandelt?
Die engagierten Gärtner haben unterschiedliche Vorstellungen. Es gibt die, die gerne „naturgärtnern“. Die finden es super, dass in einer Ecke des Giesinger Grünspitz Kornblumen und Rucola wild durcheinander wachsen. Und dann gibt es andere, die alles, was nicht Zierpflanze ist, ausreißen, weil das ihr Verständnis von Gärtnern ist. Daher ist oft eine Mediation zwischen den verschiedenen Vorstellungen notwendig.

Mit welcher Kritik an den Projekten sah sich Green City bisher von Anwohnern konfrontiert?
Es gibt Anwohner, die meinen, dass es so unordentlich aussieht. Das ist wieder dieses Thema: Wie „wild“ darf Gärtnern sein? Es gibt unterschiedliche Ansichten.

Welches Klientel besucht die Urban-Gardening-Projekte in Giesing?
In Bischweiler betreuen viele Familien mit Kindern und Kindergartengruppen die Beete. Im Grünspitz sind weniger Familien dabei, da die Eltern Angst haben, dass die Kinder auf die Straße laufen könnten. Teenager gehen eher zum Skater-Platz. Aber junge Leute ab 18 oder 19 Jahren kommen hierher. Berufstätige, die von der U-Bahn kommen und hier Halt machen. Leute, die ihre Mittagspause hier verbringen. Rentner nutzen den Platz, um soziale Kontakte zu pflegen. Es trifft sich auch eine Gruppe zum gemeinsamen Schnitzen. Oder um gemeinsam Musik zu machen. Es ist ein Platz ohne Konsumzwang. Davon gibt es hier im Viertel wenig. Man muss sich nicht wie im Café etwas kaufen.

Wieviel kostet die Teilnahme?
In der essbaren Stadt liegt der Beitrag bei 50 Euro pro Saison. Im Grünspitz ist die Beetpatenschaft dieses Jahr noch kostenfrei.

Ein Tierheim für Pflanzen mitten in Giesing ^

Gibt es viel Vandalismus oder Diebstahl?
Es gibt es nur wenige Fälle von Vandalismus. Ganz im Gegenteil: Wenn jemand etwas nicht mehr braucht, kommt er auf den Gedanken: „Ach, das kann ich ja beim Grünspitz abstellen.“ Das ist für uns ein Problem, weil wir es dann beim Sperrmüll entsorgen müssen. Die positive Seite dessen ist natürlich, dass alle Pflanzen im Grünspitz von den Anwohnern gestiftet wurden. Es kommen immer wieder Anwohner, die sagen: „Ich habe hier eine Pflanze auf dem Balkon. Könnt ihr die brauchen?“ Manche bringen ganze Bäume, für die sie keinen Platz mehr haben, weil sie zu groß geworden sind. Oder wir finden Kisten mit Blumen und einem Zettelchen versehen, dass die Leute in den Urlaub fahren und die Blumen im Grünspitz abgeben, weil sie wissen, dass sie in guten Händen sind. Hier geht es manchmal zu wie in einem Tierheim. [lacht] Darüber freuen wir uns ja auch.

 

Titelbild: © Anna-Marie Mamar

 

Weiterführende Links

Urban Gardening Interview mit Filmemacherin Ella von der Haide

Giesinger Grünspitz

Essbare Stadt

 

 

 

 

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