Dossier Begegnung

Vier Partner mit kalter Schnauze

Eine Reportage von Jasmin Jobst

Die Gesichter sind kaum zu erkennen unter den dicken Kapuzen. Minus 10 Grad Celsius herrschen im finnischen Lappland. Die karge Einöde ist von einer dicken Schneeschicht bedeckt, die in der Sonne glitzert. 22 Füße in warmen Winterstiefeln treten den Schnee platt, um warm zu bleiben. Die Gäste auf Harriniva, einer Lodge, sind keine typischen Wintersport-Fans. Doch alle elf wagen das Abenteuer und schwingen sich auf die Kufen eines Huskyschlittens.

Husky-Gehege

In dem weiträumigen Gehege warten die aufgeregten Vierbeiner im Schnee auf das Startsignal für die Tour.
Foto: Jasmin Jobst

„Wenn ich den Arm hebe, heißt das: Losfahren.“ Mit wilden Bewegungen demonstriert die kleine Frau mit den rotblonden Locken, der Lapplandmütze und den dicken Pelzstiefeln, was zu tun ist. Sie heißt Henni und ist die Gruppenleiterin auf der 20 Kilometer langen Huskytour. „Sinkt mein Arm zur Seite, steigt ihr alle auf die Bremse“, ergänzt Henni und deutet auf das halbrunde Metallteil mit den zwei großen nach unten zeigenden Zacken hinten zwischen den Schlittenkufen. Alle elf Teilnehmer der Huskyschlitten-Tour nicken mit den Köpfen, wirken aber gleichzeitig leicht verwirrt. Eine gepflegte, dunkelhaarige Frau Ende 30 schaut verunsichert und lächelt verlegen. „Hallo, ich bin Sabine“, stellt sie sich kurz vor. „Mein Mann Michael und ich machen so etwas zum ersten Mal. War das jetzt die komplette Einweisung?“ Es sieht ganz danach aus, denn Henni geht bereits zielstrebig Richtung Hundegehege. Sie winkt und die Truppe folgt ihr durch die verschneite Anlage.

Huskys mit leuchtenden Augen und in allen Fellschattierungen von Graumeliert über Tiefschwarz bis Creme mustern die elf Abenteurer mit einer Mischung aus Anspannung und Desinteresse als diese an ihnen vorbeigehen. Da ich alleine unterwegs bin, bekomme ich anstatt des üblichen Sechsergespanns nur vier Hunde. Diese scheinen ihre beiden fehlenden Kollegen aber mit ihrer überschüssigen Energie jederzeit wettzumachen. Sie zerren wild an der Führungsleine, bellen aus Leibeskräften und der schwarzweiße Leithund mit den eisblauen Augen bäumt sich auf, als wolle er den Schlitten ganz alleine ziehen. Ein kleines Teufelchen, das ich auf den ersten Blick ins Herz schließe. Samu, der zweite Guide, drückt uns die Leinen in die Hand und alle stellen sich fest mit beiden Beinen auf die Bremse. Ich brauche meine ganze Körperkraft, um den vier Energiebündeln am anderen Ende standzuhalten.

Hundeschlitten

Tolles Team: Vier Profis und eine Anfängerin auf einem Abenteuertrip durch die Wildnis.
Foto: privat

Dann hebt Henni den Arm und gibt das Startsignal. Vorsichtig wechsle ich einen Fuß nach dem anderen von der Metallbremse auf die Schlittenkufen – und werde prompt nach vorne gerissen. Sechzehn Pfoten und ein Schlitten fliegen über den platt gefahrenen Schnee und ich versuche, einigermaßen elegant dabei auszusehen. Der Wind pfeift in den Ohren als es unter einer kleinen verschneiten Brücke durchgeht. Ich lege mich in die Kurve und mein Puls beschleunigt sich mit dem rasant wachsenden Tempo. Aus irgendeinem Grund ist mein Vierergespann schneller als alle anderen. Während ich mich noch frage, wann genau meine Hunde mir die Zügel aus der Hand gerissen und die Kontrolle über den Schlitten übernommen haben, düse ich an dem Zweierteam vor mir vorbei. Ich versuche, mit einem Fuß die Bremse zu erreichen, verliere das Gleichgewicht und lande in einem Schneehaufen am Wegrand. Die Hunde zerren den Schlitten noch ein paar Meter weiter, bevor sie, brav wie Lämmchen, stehen bleiben und sich umsehen. Innerhalb von Sekunden ist Henni da, schaut besorgt und fragt: „Alles in Ordnung?“

Fünf Minuten hat das Abenteuer bisher gedauert. Doch bis auf ein angekratztes Ego geht es mir bestens. Henni wartet, bis ich wieder auf meinem Schlitten stehe, gibt das Startsignal und ich reihe mich tapfer in die Kolonne ein. Dieses Mal fahre ich mit angezogener Bremse: Ein Fuß auf den Kufen, einer auf dem Metallstopper. Und es funktioniert, obwohl die jungen Wilden versuchen, immer wieder mal durchzugehen. Aber jetzt bin ich der Boss und habe die Zügel fest im Griff.

Die Sonne bricht gelegentlich durch die Wolken und bringt den Schnee zum Glitzern. Kleine Waldstücke säumen den Weg. Es ist nichts zu hören – absolut gar nichts, außer dem fröhlichen Gebell der Huskys. Die große Stille ist beeindruckend und vermittelt den Frieden der finnischen Winterwelt.

Finnische Landschaft

Diffuses Licht, Bäume und jede Menge Schnee machen den Zauber Lapplands aus.
Foto: Jasmin Jobst

Doch er hält nicht lange an. Es geht auf eine Kurve zu und schräg gegenüber sprintet ein Sechsergespann über die weite Ebene, dicht gefolgt von einem Italiener im braunen Schneeanzug. Es scheint noch hoffnungslosere Fälle als mich zu geben. Der zweite Guide Samu fängt das Team wieder ein, und die Gruppe nimmt das letzte Stück Weg in Angriff. Motorschlitten haben ihre Spuren hinterlassen. Die Strecke ist holprig, und die Schlitten hüpfen zwischen den kargen Sträuchern am Rand über die kleinen Erhebungen. Ich lege mich mit dem ganzen Körper in die Kurven und halte den Schlitten mit der Kraft meiner Oberschenkel in der Spur. Eigentlich gar nicht so schwer.

Doch das Wintermärchen neigt sich viel zu schnell dem Ende zu. In der Ferne ist der hölzerne Torbogen von Harriniva zu erkennen. Es sind gut zwei Stunden vergangen, die sich wie zwei Minuten anfühlen. Nur meine Oberschenkel werden sich morgen mit heftigem Muskelkater beschweren. Trotzdem, ein unvergessliches Erlebnis, und im Moment würde ich am liebsten noch eine Runde mit meinen vier Partnern mit der kalten Schnauze drehen.

 

Weiterführende links:

Harriniva

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Finnland als Reiseziel