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Das war „Mehr E-Demokratie wagen“

Der Veranstalter des Fachtags, das Grimme-Institut, kann sich freuen. „Mehr E-Demokratie wagen“, das sah man überall im Saal: Fast alle hatten irgendein mobiles Kommunikationsgerät dabei. Es wurde fotografiert, per Notebook, Tablet oder Smartphone untereinander kommuniziert. Für die Referenten war das manchmal irritierend – alles schweigt und tippt – ein Glück, dass nicht auch noch im Hintergrund die Twitterwall zum Hashtag #edemok eingeblendet wurde. Aber in meinem Abschluss-Statement soll sie nicht fehlen.

„Regieren Sie einfach mit“
Moderatorin Ulrike Langer zitierte eingangs ein Flugblatt der Piraten in Berlin: “Regieren Sie doch einfach mit”. Das Konzept der liquid democracy ist in Nordafrika nicht erwünscht. Und hier? Es sei doch, so Ulrike Langer immer nur ein kleiner Teil, der sich beteilige.
Gegenfrage von Jens Best (der nicht anwesend war) auf Twitter: Wie repräsentativ waren die, die die alten analogen Partizipationswege genutzt haben?
In der Podiumsdiskussion am Nachmittag wettete Max Ruppert (TU Dortmund) mit dem Publikum: „Die zweite Fragen werden weniger als fünf Personen mit „ja“ beantworten. Zuerst fragte er: „Wer nutzt Wikipedia?“ Alle Hände gingen hoch. „Und wer hat schon mal einen Artikel bei Wikipedia editiert?“ Das waren zwar mehr als fünf, aber deutlich weniger als zuvor, und Ruppert musste eine Runde Wasser ausgeben. Doch es zeigte klar: Aktiv ist meist eine Minderheit.

Bei der Diskussionsrunde am Vormittag fragte Ulrike Langer weiter: „E-Democracy ist eine gute Sache. Aber doch nur für die, die sich im Internet auskennen?“ Christoph Bieber sah keinen digital divide, sondern eine rasche Aufholjagd. Die Gruppe derjenigen, die nicht teilnehmen, werde immer kleiner. Doch die reine Technik genüge nicht. Das kommentierte ein Zwischenruf von Jürgen Ertelt (hier im Saal, auf Twitter): „@drbieber: Zugang reicht nicht, Begleitung zur Kompetenz ist untrennbar notwendig!“

Immer die gleichen?
Sind es nicht doch immer die gleichen, die partizipieren? Stoßseufzer der grünen Politikerin Tabea Rößner (MdB): „Die Hälfte derjenigen, die mir auf Abgeordneten-Watch schreibt, kommt aus Mainz und kennt mich persönlich…“
Dass der direkte Dialog förderlich sei, finden unter der Überschrift „e-democracy“ eigentlich alle auf dem Podium. Tobias Bürger schreibt etwas entnervt auf twitter: „Face to face, direkten dialog, bürgergesprache, diskussionsforen, … to be continued…“ Zum Glück fordert anschließend in der Podiumsdiskussion die Journalistin Bettina Hammer, bekannt als Twister: „Schluss mit den Worthülsen!“
Ingmar Hagemann von campact wies darauf hin, dass man die Online-Diskussionen hinaustragen müsse in die politischen Veranstaltungen, Bundestag, Parteitage etc.

Die politische Teilhabe per Mausklick, fragte Ulrike Langer, ist das die Verflachung, von der Frank Schirrmacher schreibt? Der Politikwissenschaftler Thomas Zittel stieß mit seiner Antwort auf heftigen Widerspruch. Er sagte: „Die Beteiligungsforschung hat herausgefunden, dass Politik für viele Menschen viel weniger wichtig ist, als wir „Polit-Junkies“ denken. Iris Witt ärgerte sich via Twitter über Thomas Zittel und seine Aussage: es gebe nur eine kleine Gruppe politisch interessierter Menschen, und dieses sei in Stein gemeißelt.
Twister widerspricht in der Diskussion Thomas Zittel direkt. Sie sagt: Es gibt keinen Menschen, der nicht täglich mit den Auswirkungen von Politik zu tun hat.

Wie sieht es mit der Rückkopplung aus?
In der Präsentation „Top down oder bottom up?“ stellte Adrienne Fichtner politnetz.ch aus der Schweiz vor. Dort sind bei 8 Millionen Einwohnern mehr als die Hälfte bei Facebook. Hier bleiben die Milieus eher unter sich, es findet kaum Dialog mit „neuen“ Wählerinnen statt. Anders bei politnetz.ch: Über die Medienpartner, z. B. „20 Minuten“, eine Gratiszeitung und Online-Plattform, wandern Aussagen der Politiker auch in die Presse.
Tobias Bürger fragt über Twitter: Mich würde da jetzt auch interessieren, ob die Politiker nach der Wahl auch auf ihre Aussagen überprüft werden können? Die Frage nach der Kontrolle, der Rückkopplung, wurde in der Diskussion zum ersten Podium aufgenommen. Thomas Zittel stellte fest: die Rückkopplung der kommunikation an die politik ist noch mangelhaft.
Uwe Kammann vom Grimme-Institut fragte in der Diskussionsrunde, ob nicht die passive Partizipation – mehr Information für alle – nicht auch wichtig sei?
Tobias Escher kommentierte via Twitter: Zittel’s „Kommunizieren ist nicht Regieren“ klingt nicht nur gut, sondern zeigt das Hauptproblem von eBeteiligung z.Z. auf.

Daniel Reichert stellte Liquid Democracy e.V. vor und fragte: Warum reichen die klassischen Methoden der direkten Demokratie nicht aus? Seine Antwort: Dort findet im Vorfeld kein breiter Diskussionsprozess statt. „Delegated Voting“ biete unterschiedliche Rollenmodelle der Partizipation. Das sei Realität, nicht irgendeine virtuelle Welt – beim Telefonieren glaube ja auch keiner, dass es sich um ein virtuelles Gespräch handele.
Der Satz fand nicht nur mehrfach ein Echo auf Twitter (durch Roland Schweins), auch Christoph Bieber nahm in der Diskussion den Diskurs auf Twitter auf: Ist das Internet wirklich so eine Parallellwelt? Ist es nicht Teil der Realität?

Die Zukunft: Datenjournalismus?
Zum Auftakt des 2. Teils stellte David Schraven, ursprünglich von den „Ruhr-Baronen“, das Upload-Portal bei „DerWesten“ vor. Das ist eigentlich eine Leak-Plattform. Darüber findet die Redaktion Themen und recherchiert dann dazu weiter. Umgekehrt veröffentlicht sie umfangreiche Dokumente und lässt die Leser selbst weiter recherchieren. Journalistische Beiträge erscheinen, die Behörden müssen reagieren… so wird die Redaktion dem demokratischen Auftrag gerecht. Allerdings, so Schraven, brauche man dazu Datenjournalisten, die Flash können und HTML5.

Das ging Christiane Eilders von der Heinrich-Heine-Universität nicht weit genug: Die Technik allein richtet’s nicht, Journalisten müssten auch hier Organisatoren, Kuratoren, und Wegweiser und Moderatoren sein, um ihrer gesellschaftlichen Aufgabe nachzukommen.
Auf Twitter kommentiert Tim Bartel: „Mir missfällt ein wenig die Sicht auf „die Internetnutzer“ als „Amateure“ in Gegenüberstellung zu den „Profis“ aus Presse/Science“.

Wie verändert das den Journalismus?
Alfons Pieper vom Wir-in-Nrw-Blog beschrieb, wie die Lokaljournalisten in seinem Blog arbeiteten – ganz journalistisch, aber wirtschaftlich unabhängig.
Tim Bartel, auch bekannt als „Avatar“ vom Guttenplagwiki, fasste die Aussage von Kai Biermann (Zeit.de), auch bekannt als „bedenkentraeger“, zusammen (auf Twitter natürlich): „Der @bedenkentraeger möchte Gatekeepingfaktoren des Journalismus und Fähigkeiten der Netzuser übers Netz verwuselt zusammenbringen“. Kommentar von Kai Biermann steht noch aus.

Eins steht fest: Ohne klassische Medien gäbe es vieles online nicht. Szene aus dem 1. Podium: Ulrike Langer stellt Christoph Biber vor mit den Worten „Einige kennen ihn vielleicht aus dem Fernsehen“. Bieber sagt: „Das kuckt doch keiner mehr!“ Langer: „Dochdoch. Sonst könnte man’s ja nicht twittern!“

Twitterfeeds und Metakommunikation
Die Dokumentation des Fachtags „Mehr E-Demokratie wagen“ wiederum war Thema auf Twitter: Jürgen Ertelt twittert, „Es gibt ein Ton- und Beamer-Problem (und schwaches WLAN). Das muss so nicht sein – bitte der Technik in der Orga wichtige Prio geben.“ Einer, der nicht dabei ist, Jens Best, mischt sich ein: „Was nervt ist ‚kein stream’ – Wer hat das denn zu verantworten?“
Nun, vielleicht ist es ganz gut, dass nicht auch noch gestreamt wurde. Denn dann hätte die Metakommunikation endgültig gewonnen.

Mehr E-Demokratie wagen: Auf der Tagung selbst hat es jedenfalls geklappt. Es gab fast keine Parallellwelten. Per Twitter diskutierten die Anwesenden mit Nicht-Anwesenden. Die Podiumsgäste nahmen auf, was bei Twitter gefragt (und kritisiert) wurde. Das Wagnis „Mehr E-Demokratie“ hat funktioniert. Willy Brandt hätte es sicher gefallen.

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